370 Superreiche warnen: Zu viel Geld gefährdet Demokratie
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Dramatischer Appell an die Politik. Superreiche fordern höhere Steuern – für sich selbst. Zu diesem Schritt bewogen hat sie eine einfache Erkenntnis.
Vor wenigen Tagen veröffentlichte die Hilfsorganisation Oxfam ihren neuen Ungleichheitsbericht [1]. Das Vermögen eines Milliardärs vergrößerte sich im vergangenen Jahr im Schnitt um zwei Millionen US-Dollar – pro Tag. Die reichsten zehn Milliardäre wurden sogar sage und schreibe um durchschnittlich 100 Millionen US-Dollar pro Tag reicher.
Gegenläufig: Pünktlich zum Beginn des Weltwirtschaftsforums unterschrieben 370 Millionäre und Milliardäre aus 22 Ländern einen offenen Brief an die führenden Politiker der Welt [2], die sich derzeit in Davos versammeln.
Organisiert wurde die Aktion unter anderem von der Entwicklungsorganisation Oxfam und dem Netzwerk Patriotic Millionaires, einem Zusammenschluss reicher US-Amerikanerinnen und Amerikaner, die sich für ein gerechteres Steuersystem starkmachen. Es ist nicht das erste Mal, dass diese Gruppe ihre Wünsche publik macht und genau dies fordert “Besteuert uns endlich! [3]“.
Schlussstrich
Unter der Überschrift “Extremer Reichtum ist extreme Kontrolle. Wir müssen einen Schlussstrich ziehen”, heißt es in diesem Brief:
Wenn Sie sich in diesem Jahr wieder in Davos treffen, sollten Sie Folgendes verstehen: Das Phänomen des konzentrierten und extremen Reichtums untergräbt alles, was uns lieb und teuer ist. Bei Reichtum geht es nicht mehr nur um den Wert. Es geht um Kontrolle. Wenn Sie, unsere gewählten Staats- und Regierungschefs, die Krise des Wohlstandsextremismus weiterhin vernachlässigen, werden die zerbrochenen Fundamente unserer hart erkämpften Demokratien weiter Schaden nehmen.
Überall auf der Welt genießen einige derjenigen, die den gleichen wirtschaftlichen Status haben wie wir, auch ein ungeheures Maß an Einfluss und Macht. Eine Handvoll extrem reicher Menschen kontrolliert die Medien, die schmeicheln, überzeugen und manchmal auch falsch informieren; sie beeinflussen unsere Rechtssysteme in unzulässiger Weise und verwandeln Recht in Unrecht; und sie tragen dazu bei, unsere Demokratien in den Niedergang zu führen.
Fast als ob die Wirklichkeit diese Aussagen bestätigen wollte, umgab sich der neue US-Präsident Donald Trump auf seiner Antrittsfeier – also genau einen Tag vor Erscheinen des offenen Briefes – mit vier der fünf wohlhabendsten Menschen der Welt: Elon Musk, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg und Bernard Arnault. Sky News berichtete, dass sich das Gesamtvermögen dieser erlauchten Gäste [4] auf mehr als eine Billion US-Dollar beläuft.
Selten ist deutlicher zutage getreten, wie eng politische Macht und Reichtum zusammenhängen. Gemeinhin nennt man dies nicht Demokratie, sondern Plutokratie.
Abigail Disney, Emmy-prämierte Dokumentarfilmerin und Mitglied der Patriotic Millionaires, unterschrieb den offenen Brief (wie auch frühere offene Briefe mit dieser Forderung). Ihre Begründung [5]:
Es ist leicht, die Wahl einer Figur wie Donald Trump als eine Verirrung zu betrachten, aber das ist nicht der Fall. Donald Trump – und sein so genannter “erster Kumpel” Elon Musk – sind die endgültige und unvermeidliche Konsequenz aus der jahrzehntelangen Untätigkeit der führenden Politiker der Welt, die extreme Ungleichheit einzudämmen.
Es fällt schwer, optimistisch zu sein, was in den nächsten vier Jahren – und vielleicht noch länger – auf uns zukommt, aber wenn die Verantwortlichen etwas tun wollen, um die Stabilität unserer Demokratien zu gewährleisten, müssen sie nur die politische Entschlossenheit aufbringen, reiche Leute wie mich ein für alle Mal zu besteuern.
Selbsteinschätzung
Die Patriotic Millionaires veröffentlichen zeitgleich eine neue Umfrage [6], die mehr als 2.900 Millionäre aus den G-20-Ländern zu ihren Einschätzungen befragte. Die Ergebnisse belegen einen erstaunlich breiten Konsens.
Hier die Schlüsselergebnisse:
- 55 Prozent meinen, dass extremer Reichtum eine Bedrohung für die Demokratie ist
- 54 Prozent meinen, dass extremer Reichtum eine Bedrohung für die demokratische Stabilität ihres Landes darstellt
- Zwei Drittel meinen, dass sich die Superreichen in unangemessener Weise in die US-Wahl 2024 eingemischt haben
- Knapp zwei Drittel meinen, dass die Rolle, die die Superreichen bei der Präsidentschaft von Donald Trump spielen werden, eine Bedrohung für die globale Stabilität darstellt
- Drei Viertel meinen, dass Superreiche politischen Einfluss kaufen
- Knapp drei Viertel meinen, dass Superreiche die öffentliche Meinung durch die Kontrolle der Medien unverhältnismäßig stark beeinflussen
- 71 Prozent meinen, dass Superreichen die öffentliche Meinung durch die Kontrolle von Social-Media-Plattformen überproportional beeinflussen
- 71 Prozent meinen, dass der Einfluss der Superreichen zu einem Rückgang des Vertrauens in die Medien führt
- 71 Prozent meine, dass der Einfluss der Superreichen zu einem Rückgang des Vertrauens in das Justizsystem führt
- 69 Prozent meinen, dass der Einfluss der Superreichen zu einem Rückgang des Vertrauens in die Demokratie führt
Die unbequeme Wahrheit
Während man leichthin Äußerungen weniger Reicher über die Einflussmöglichkeiten des großen Geldes schulterzuckend als Meinung Unwissender abtun kann, so ist dies im Blick auf das Urteil von Superreichen nicht möglich. Im offenen Brief betonen sie entsprechend ihrer Erfahrung:
Wir sollten uns Sorgen darüber machen, wohin uns das führt. Die Oligarchie kann nicht aus der politischen Angst geboren werden, die Superreichen zu verärgern. Sie mögen das als Übertreibung abtun, aber wir wissen es anders.
Wir sind Menschen, die Reichtum haben. Wir wissen, wie man sich mit Geld Zugang kaufen kann. Unsere Erfahrung sagt uns, dass den Superreichen mehr Mitspracherechte eingeräumt werden als allen anderen. Das ist die unbequeme Wahrheit. Das Vertrauen in unsere Demokratien schwindet, weil die politischen Führer zu viel Zeit damit verbracht haben, uns, die politische Geberklasse, zu verwöhnen, und zu wenig Zeit damit, für alle Menschen etwas zu leisten. Das Ergebnis ist die größte Ungleichheit seit hundert Jahren.
Demokratischer Mehrheitswille
Die Umfrage zeigt eine weitere Erkenntnis. Die Forderung der Unterzeichner des offenen Briefes repräsentiert keineswegs eine Minderheit unter den Gutbetuchten, die sich vielleicht aus Versehen mit dem Virus des Gutmenschentums infiziert haben.
Denn: 72 Prozent sprechen sich für eine Erhöhung der Steuern für Superreiche aus, um auf diese Weise die Ungleichheit zu verringern und in öffentliche Dienstleistungen zu investieren. Das Ergebnis korrespondiert mit der Auffassung von drei Vierteln der Deutschen, die sich für höhere Steuern auf sehr hohe Einkommen in einer Umfrage des Deutschen Kinderhilfswerks [7] aussprechen.
Fehlender politischer Wille
Im offenen Brief fordern die Millionäre und Milliardäre zudem:
Die Verteidigung und das besondere Privileg des extremen Reichtums kann nicht weitergehen. Wir müssen einen Schlussstrich ziehen. Das sollte nicht schwierig sein. Es gibt eine einfache Lösung, die schnell umgesetzt werden kann.
Man muss uns, die Superreichen, besteuern. Die Millionäre wollen dies, die Öffentlichkeit will es, und unsere globale Politik verlangt es. Abgesehen von einer kleinen Minderheit, die entschlossen ist, ihren übergroßen Einfluss und ihre unverdiente Position zu bewahren, wer hält Sie davon ab?
Was die demokratisch gewählten Volksvertreter daran hindert, meinen 55 Prozent der befragten Millionäre zu wissen: Sie glauben nicht, dass die politische Führung den Willen hat, den extremen Reichtum zu bekämpfen. Daher schreiben die Unterzeichner den adressierten Politiker ins Stammbuch:
Die Millionäre in den G20-Ländern glauben, dass man sich mit extremem Reichtum politischen Einfluss erkaufen kann und sehen darin eine Gefahr für die Demokratie. Wir wollen oder brauchen nicht noch mehr Zugang oder Macht. Stattdessen wollen wir, dass diejenigen, die wir wählen, eine bessere Zukunft mit gerechten Demokratien, starken Volkswirtschaften, die allen dienen, einem blühenden Planeten und Gesellschaften, in denen wir alle gedeihen können, aufbauen.
Wir müssen einen Schlussstrich ziehen und dem extremen Reichtum ein Ende setzen. Und Sie müssen das für uns alle tun. Beginnen Sie mit der einfachsten Lösung: besteuern Sie uns, die Superreichen.
In Deutschland herrscht Wahlkampf. Man darf gespannt sein, ob die sehr deutlichen Forderungen der Superreichen gehört werden. Denn ihre Forderungen kann man keineswegs mit dem Kampfbegriff “Neiddebatte” diskreditieren.
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https://www.heise.de/-10255348
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/features/Zahl-der-Milliardaere-steigt-weltweit-Oxfam-fordert-Zerschlagung-der-neuen-Aristokratie-10248916.html
[2] https://wemustdrawtheline.org
[3] https://www.telepolis.de/features/Patriotic-Millionaires-fordern-in-Davos-Besteuert-uns-endlich-9984004.html
[4] https://news.sky.com/story/net-worth-of-trump-inauguration-attendees-tops-1-trillion-with-worlds-richest-in-the-crowd-13293260
[5] https://patrioticmillionaires.org/press/nearly-two-thirds-of-millionaires-think-influence-of-the-super-rich-on-trump-presidency-is-threat-to-global-stability/
[6] https://static1.squarespace.com/static/672a91dca87f7b30946a0be6/t/67851f693c5ee26a89f2a373/1736777577565/Patriotic+Millionaires+Davos+2025+Survey+Summary.pdf
[7] https://www.spiegel.de/panorama/bildung/kinderhilfswerk-umfrage-geld-fuer-bildungschancen-und-gegen-kinderarmut-durch-reichensteuer-a-e30e4d8a-6eaa-4d79-b3a4-887daacc9c17
aus: teleöpolis,