Linker mischt Labour auf
Großbritannien: Jeremy Corbyn hat gute Chancen, der nächste Parteichef zu werden
Seit dem 14. August werden die Stimmzettel zur Wahl des zukünftigen Vorsitzenden der Labour-Partei verschickt. 600.000 Menschen haben drei Pfund gezahlt, um sich zu registrieren. In den letzten Stunden vor Ablauf der Anmeldefrist stürzten die Rechner der Parteizentrale ab.
Glaubt man Umfrageergebnissen, dann wird von diesem Ansturm vor allem der linke Kandidat Jeremy Corbyn profitieren. Laut einer Befragung von YouGov vom 11. August könnte er schon im ersten Wahlgang 53 Prozent der Stimmen und damit eine absolute Mehrheit erzielen.
Auf jeden Fall schlägt die Corbyn-Kampagne in Großbritannien hohe Wellen. Tausende Menschen kommen zu seinen Kundgebungen. Oft sind die Hallen zu klein. Es sind längst nicht nur alte Hasen des Politgeschäftes, die sich für Corbyn interessieren. Viele Jugendliche wollen wissen, was er zu sagen hat.
Nur wenige Parlamentsabgeordnete rebellierten so oft gegen die eigene Parteiführung wie er. Corbyn forderte schon vor dem Bankencrash 2008 stärkere Regulierungen für die Finanzmärkte. Er stimmte gegen den Irakkrieg und ist bis heute Aktivist der Antikriegsbewegung. Er hat eine Vergangenheit als gewerkschaftlicher Vertrauensmann in einem Krankenhaus. Dort lernte er die negativen Folgen neoliberaler Privatisierungspolitik aus erster Hand kennen.
Jetzt fordert er für seine Partei ein linkes, keynesianistisches Programm. Steueroasen und Steuerschlupflöcher für große Konzerne will er schließen. Die Eisenbahnen sollen verstaatlicht, die Privatisierung des Gesundheitswesens gestoppt werden. Corbyn fordert ein Ende der Sparpolitik. Das britische Atomwaffenprogramm will er abschaffen.
In der Vergangenheit äußerte Corbyn oft seine Sympathien für sozialistische Ideen. Aber ein explizit sozialistisches Programm präsentiert er nicht. Dennoch sorgt seine Kandidatur für hysterische Reaktionen in den Reihen der britischen Herrschenden. Die Parole »Stoppt Corbyn« ist für sie zur Tagesaufgabe geworden.
Der ehemalige Premierminister und Kriegsverbrecher Anthony Blair hat in einem Artikel für The Guardian zu »Rugbymethoden« auffordert. Ansonsten drohe die Labour-Partei unwiderruflich über die Klippe zu fallen. Schuld seien auch die großen Gewerkschaften, die zur Wahl von Corbyn aufrufen. In den 1980er Jahren seien diese »Stimmen der Vernunft« gewesen. Nun seien sie in die Hände von »Linksradikalen« gefallen.
Innerhalb von Labour wird bereits an einer Verhinderung eines Corbyn-Vorsitzes gearbeitet. So wird behauptet, linke Kräfte außerhalb von Labour würden die Partei infiltrieren, um für Corbyn zu stimmen. Konkret wird dieser Vorwurf gegen das sozialistische Wahlbündnis TUSC erhoben. Deren Sprecher Clive Heemskerk wies den Vorwurf in einem BBC-Interview zurück. Man werde sich hüten, den Herrschenden eine derartige Propagandawaffe in die Hand zu geben.
Corbyn wird es in den kommenden Wochen schwerhaben. Wie wird er mit dem Parteiapparat umgehen? Welche Kompromisse wird er eingehen? Und welche Rolle sollen all die Menschen spielen, die durch seine Kandidatur in Bewegung geraten sind? Es besteht nun die historische Chance für die Neuentstehung einer starken linken politischen Kraft in Großbritannien. Sie zu nutzen wird die Herausforderung nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses am 12. September.