Saubere Luft per Gericht?
Belastung mit Abgasen und Feinstaub in vielen Städten hoch. Deutsche Umwelthilfe will Einhaltung von Grenzwerten nun auf juristischem Weg durchsetzen
Gemeinsam mit der britischen Nichtregierungsorganisation »ClientEarth« hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) Klage gegen mehrere Bundesländer eingereicht. Der Grund: In etlichen Städten werden die lokalen Luftreinhaltepläne nicht ausreichend umgesetzt bzw. sie stellen nicht sicher, dass die von der Europäischen Union festgelegten Grenzwerte eingehalten werden. Das teilte die DUH am Donnerstag in Berlin mit. Die Belastung der Atemluft mit Stickstoffdioxid (NO2) und Feinstaub (PM10) sei in der Folge vielfach zu hoch, teilte die DUH am Donnerstag mit. Von der Klagewelle betroffen sind vor allem die Städte Köln, Bonn, Aachen, Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen, Frankfurt am Main und Stuttgart. Addressat der Klagen sind die jeweiligen Länder, weil sie für die Luftreinhaltung zuständig sind.
Wegen der anhaltenden Überschreitung der Grenzwerte in München, Darmstadt und Wiesbaden hat die DUH dort außerdem Maßnahmen zur Zwangsvollstreckung gegen die Umweltministerien von Bayern und Hessen beantragt. In diesen Fällen waren bereits rechtskräftige Urteile ergangen, die allerdings bis heute nicht eingehalten werden.
Die Umweltorganisation will mit den Klagen erreichen, dass endlich geeignete Schritte unternommen werden, um die Luftverschmutzung deutlich zu senken. Bislang zeige die Politik wenig Interesse an einer substantiellen Verringerung der Konzentrationen von Stickoxid und Feinstaub, so die DUH. NO2 stammt vornehmlich aus Autoabgasen. Es reizt die Schleimhäute, kann die Atemwege schädigen sowie Kopfschmerz und Schwindel auslösen. Die Weltgesundheitsorganisation stuft es als »für Menschen krebserregend« ein. Allein in Deutschland komme es dadurch nach einer Untersuchung des Helmholtz-Zentrums München im Auftrag des Umweltbundesamtes jährlich zu 10.000 bis 19.000 vorzeitigen Todesfällen. Daher werde man nun »saubere Luft auf dem Gerichtsweg einklagen«, sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. »Weitgehende Fahrverbote für schmutzige Diesel-Pkw, Diesel-Taxis und -Busse sind geeignet, sehr kurzfristig die Grenzwerte selbst in Städten wie Stuttgart einzuhalten.« Resch macht darüber hinaus deutlich, dass die sogenannten Umweltzonen weiterentwickelt werden müssten. Dazu schlägt er vor, Fahrzeuge, die im realen Betrieb niedrige Abgaswerte aufweisen, künftig mit einer Blauen Plakette hervorzuheben. Zudem müssten kurzfristig alle Busse des öffentlichen Personnennahverkehrs mit Systemen ausgerüstet werden, welche die Emission von Feinstaub und Stickoxiden real verringern. Tausende moderne Busse hätten bis heute »weder einen Partikelfilter an Bord« noch verfügten sie über eine wirksame Stickoxidabgasreinigung im normalen Fahrbetrieb. Außerdem sollten der öffentliche Nahverkehr stärker gefördert und innerstädtische Parkmöglichkeiten reduziert werden.
Linksfraktion Veranstaltung UNO
Alan Andrews, Rechtsanwalt der britischen Nichtregierungsorganisation ClientEarth, erklärte, die Klagen seien »Teil einer europaweiten Bewegung«, in der Aktive auf juristischem Wege Maßnahmen zur Luftverbesserung erstreiten wollen. Seine Organisation werde ihre Erfahrungen aus einem erfolgreichen Verfahren gegen die britische Regierung einbringen. Sie hatte 2011 Klage gegen das Vereinigte Königreich eingereicht, weil der Grenzwert für NO2 in 16 Regionen überschritten wurde. Das Verfahren durchlief alle Instanzen bis hin zum Europäischen Gerichtshof und wurde im April dieses Jahres an den Obersten Gerichtshof in Großbritannien zurückverwiesen. Dieser forderte daraufhin die Regierung auf, sofort Maßnahmen zu ergreifen, um die Einhaltung der Grenzwerte so schnell wie möglich sicherzustellen.
Rechtsanwalt Remo Klinger, der die DUH seit zehn Jahren in Verfahren zur Luftreinhaltung vertritt, erklärte, die Situation in Deutschland sei ähnlich. »Obwohl die Rechtslage in Deutschland seit Jahren geklärt ist, versuchen die zuständigen Behörden, die Sache einfach auszusitzen«, sagte er. Dabei sei die Luftverschmutzung in Deutschland nicht erst seit Bekanntwerden der Manipulation der Abgaswerte von VW-Dieselfahrzeugen ein Problem.
Auch die EU-Kommission hat ein Problem mit der Luftqualität in Deutschland und hat deshalb im Juli ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Im vergangenen Jahr wurden die Jahresmittelwerte für NO2 an über der Hälfte der 500 Messstationen überschritten. Die entsprechenden Grenzwerte gibt es aber nun schon seit 2005, und sie müssen seit 2010 eingehalten werden. Hierzulande war dies allerdings nie der Fall.
Bernde Müller, jw, 21.11.15