Kampfdrohnen – der Mythos vom Schutz der Soldat*innen – Gezieltes Töten
Im Eiltempo wollten die CDU/CSU-Verteidigungspolitiker*innen der GroKo vor der Bundestagswahl die Bewaffnung der Bundeswehr mit Kampfdrohnen beschließen. Rüstungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) war entschlossen, die Entscheidung noch vor dem Jahresende 2020 durchzudrücken.
Als gäbe es in Zeiten der Corona-Pandemie nichts Dringenderes als neue Rüstungsprojekte, erklärte AKK Mitte Dezember in ihrer Rede zum Rekord-Militärhaushalt 2021 im Bundestag: »Wir sind für die Bewaffnung von Drohnen, damit wir unsere Soldatinnen und Soldaten schützen können.« Noch vor Weihnachten sollte das Parlament für den Kauf der Raketen grünes Licht geben.
In einer Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der LINKEN Ende November hieß es, die Bundesregierung beabsichtige noch in diesem Jahr die entsprechenden Mittel für eine Bewaffnung der German HERON-TP[1] »mit einer 25-Mio.-Euro-Vorlage für die Beauftragung der bewaffnungsspezifischen Ausbildung sowie der Beschaffung von Munition und entsprechender technischer Zusatzausstattung zu beantragen«. Bis der Bundeswehr gegen Ende der 2020er Jahre eine Eurodrohne (MALE RPAS) zu Diensten sein soll, wurden als »Brückenlösung« bis 2029 fünf Heron-TP-Drohnen für Gesamtkosten In Höhe von 1.024 Mio. Euro vom israelischen Rüstungskonzern »Israel Aerospace Industries« geleast.
Im schwarz-roten Koalitionsvertrag vom Februar 2018 wurde festgehalten, dass der Bundestag über die Beschaffung von Drohnen nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung entscheiden werde: »Hierzu wird die Bundesregierung eine gesonderte Vorlage erstellen und dem Deutschen Bundestag zuleiten. Vor einer zukünftigen Beschaffung von bewaffnungsfertigen Drohnen sind die konzeptionellen Grundlagen für deren Einsatz zu schaffen. Völkerrechtswidrige Tötungen lehnen wir kategorisch ab, auch durch Drohnen.« (Koalitionsvertrag)
Doch die in Berlin mitregierenden Sozialdemokraten grätschten AKK und der Bundeswehrspitze auf der Zielgeraden dazwischen und verweigerten die Zustimmung zum geplanten Rüstungsvorhaben. Vor allem der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans und der Fraktionschef der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, erteilten dem Rüstungsprojekt, gestützt von großen Teilen der Parteibasis, eine Absage – zunächst auf Zeit. Mit dem SPD-Fraktionsbeschluss von Mitte Dezember ist die Bewaffnung von Drohnen in der sich zu Ende neigenden 19. Wahlperiode vom Tisch genommen worden.
Ein Argument war: Die im Koalitionsvertrag geforderte »ausführliche und breite Debatte« habe es bis heute nicht gegeben. Mützenich bekräftigte in einem RND-Interview: »Ich wünsche mir eine Debatte, die nicht nur in Fachkreisen oder dem Verteidigungsausschuss geführt wird, sondern die politisch zugespitzt ist.« Anders könnten große Teile der Gesellschaft nicht erreicht werden. Tatsächlich war die vom Verteidigungsministerium veranstaltete sogenannte »Drohnendebatte« 2020 ein großer Bluff.
Am 3. Juli lieferte das Bundesverteidigungsministerium einen Bericht über die #DrohnenDebatte2020 im Verteidigungsausschuss ab. Darin empfahl es – wenig überraschend – die Bewaffnung der bereits geleasten G-Heron-TP-Drohnen. Dagegen ist in dem Arbeitspapier »Heron TP – und dann? Implikationen einer Bewaffnung deutscher Drohnen« der »Stiftung Wissenschaft und Politik«, die aus dem Haushalt des Bundeskanzleramts finanziert wird, zu lesen, dass die Vorbildwirkung des jetzt zur Debatte stehenden Systems für andere neue Waffensysteme »die Fortsetzung der unabgeschlossenen gesellschaftlichen Diskussion« erfordere.[2]
Die harschen Reaktionen auf die erzwungene Verschiebung waren voraussehbar. Das Lager der Kampfdrohnenbefürworter aus CDU, AfD, FDP, Bundeswehrführung und Rüstungsindustrie schäumte. Gemeinsam mit Teilen der bundesdeutschen Leitmedien strapazierten sie das über 100-jährige Narrativ von den Sozialdemokraten als »vaterlandslose Gesellen«. Von einem »sicherheitspolitischen Offenbarungseid« sprach der Spiegel, sein militärpolitischer Korrespondent Konstantin von Hammerstein schwelgte in Erinnerungen an Zeiten, als sich die SPD unter den Verteidigungsministern Helmut Schmidt, Georg Leber und Peter Struck noch als »Partei der Bundeswehr« verstanden habe. Die Sozialdemokraten würden ihre »Rolle als ernstzunehmende Gestaltungskraft im Feld der Verteidigungspolitik« aufgeben, kommentierte die Welt. Die SPD-Führung wolle der Anschaffung von bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr nicht zustimmen, »weil über das Für und Wider noch nicht breit genug diskutiert worden sei.
In der Tat: In den Kindergärten sind die Vor- und Nachteile dieser Waffe noch nicht intensiv genug erörtert worden, und auch die Stellungnahme des Hasenzüchterverbands steht noch aus«, ätzte der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Berthold Kohler voller Verachtung. In der Drohnen-Frage stehe für das »linksgestrickte« Führungstrio Mützenich, Esken und Walter-Borjans das Image der SPD als »Friedens- und Abrüstungspartei an oberster Stelle«.
Am schärfsten reagierte das CDU-geführte Bundesverteidigungsministerium auf die SPD-Entscheidung. Der Verzicht auf die Beschaffung bewaffneter Drohnen setze »das Leben unserer Soldatinnen und Soldaten aufs Spiel«, verlautbarte es per Twitter. Worauf die CSU gleich eine Kampagne unter dem Motto »Soldaten schützen – Drohnen beschaffen« startete. Tatsächlich erschöpfen sich die mantrahaft wiederholten Argumente der Befürworter im Wesentlichen darin, dass bewaffnete Drohnen defensiv ausgerichtet und zum Schutz der eigenen Soldaten notwendig seien. Im Umkehrschluss: Wer die Bewaffnung der Drohnen ablehnt, gefährdet das Leben der Soldat*innen.
Doch wie ernsthaft ist das Schutz-Argument wirklich? Das hänge stark vom Einsatzszenario ab, sagt Anja Dahlmann von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik im Gespräch mit der Deutschen Welle (11.12.2020). Für die Landesverteidigung, die Hauptaufgabe der Bundeswehr, brauche man keine Kampfdrohnen. Anders sei es in Auslandseinsätzen, in denen der Bundeswehr Angriffe durch Aufständische oder Terrorgruppen drohen. Da könne es von Nutzen sein, eine erkannte Gefahr direkt bekämpfen zu können. Will heißen: Bei Kampfdrohnen geht es um »Targeted Killing«, also gezieltes Töten, ohne dass sich am Einsatzort eigene Truppen aufhalten. Die Anschaffung der neuen Tötungsinstrumente dient der Ausweitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr.[3]
Ebenso wenig verfängt das Argument von der angeblich »sauberen« Kriegsführung. Die USA haben Tausende von Drohnenangriffen durchgeführt – in Afghanistan, Pakistan oder im Jemen –, bis hin zur gezielten Tötung des iranischen Generalmajors Qasem Soleimani auf irakischem Territorium. Kritiker*innen sprechen zurecht von der »Hinrichtung Verdächtiger ohne Gerichtsverfahren« und weisen darauf hin, dass mit dieser Waffe auch die Zivilbevölkerung terrorisiert werde. »Statt von Kampfdrohnen sollte von Killerdrohnen gesprochen werden – ein Luftkampf in diesem Sinne findet ja nicht statt, vielmehr muss die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten jederzeit mit Terror aus der Luft rechnen, ohne die Möglichkeit, sich zu ergeben«, so der KI-Experte Jakob Foerster im Gespräch mit Telepolis (TP, 15.12.2020). Das US-Militär halte die Zahlen über zivile Opfer unter Verschluss, doch laut der britischen Nichtregierungsorganisation Bureau of Investigative Journalism (TBIJ) wurden zwischen 2004 und 2011 mindestens 291 Einsätze durchgeführt, bei denen zwischen 2.292 und 2.863 Menschen starben. Bis zu 775 Unbeteiligte seien getötet worden, darunter 164 Kinder (TP, 16.12.2020).
Die Drohneneinsätze im Jemen, in Somalia und zuletzt der Einsatz türkischer Kampfdrohnen im Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um Berg-Karabach im Südosten des Kaukasus belegen das zerstörerische Potenzial dieser Waffe. Zwar hat die schwarz-rote Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag erklärt, dass sie »völkerrechtswidrige Tötungen« durch Drohnen ablehne, doch sind bewaffnete Drohnen erst einmal beschafft, fürchten Friedensaktivist*innen, könnten solche Restriktionen schrittweise aufgeweicht werden.
Zudem droht mit Kampfdrohnen ein neuer Rüstungswettlauf – ein unkontrolliertes, teures und ruinöses Wettrüsten. In Westeuropa geht es um die Entwicklung autonomer Rüstungsprojekte wie das »Future Combat Air System« (FCAS), das Deutschland, Frankreich und Spanien in eine führende Position in der autonomen Kriegsführung bringen soll. Die Kriegsführung, der Einsatz von Sprengmitteln wird damit niederschwelliger, der Trend zur Automatisierung des Krieges wird forciert. Diese Sorge bestätigt auch Anja Dahlmann der vorgenannten SWP-Studie: »Sollte die Heron TP bewaffnet werden, wäre dies der erste Schritt zur Beschaffung weiterer deutscher Kampfdrohnen. Dazu gehören die (…) Eurodrohne wie auch das Future Combat Air System (FCAS). [M]it der Bewaffnung ferngesteuerter Drohnen [ist] auch ein Trend zu autonomen Fähigkeiten verbunden (…). Technische Entwicklungen von Hard- und Software ermöglichen eine eigenständige Navigation und Steuerung. Langfristig wird das System auch imstande sein, in komplexen Lagen dynamische Ziele auszuwählen und zu bekämpfen.«
Dennoch ließen sich SPD-Verteidigungspolitiker*innen wie der Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Fritz Felgentreu, und die Wehrbeauftragte Eva Högl nicht davon abhalten, im Gleichschritt mit AKK ihre Partei zur Zustimmung der Bewaffnung von Drohnen zu drängen – Seit an Seit mit Außenminister Heiko Maaß und SPD-Fossile wie Sigmar Gabriel, die in die Kampagne gegen die aufrüstungskritischen Genossen*innen einstimmten.
Mehrere Aufrufe und Appelle von Aufrüstungsgegner*innen zeigen dagegen, wie weit sich Abgeordnete von den friedenspolitischen Positionen der sozialdemokratischen Basis entfernt haben. »Ich hatte einen deutlichen Unmut in meiner Fraktion und Partei wahrgenommen, nachdem aus meiner Fraktion Zustimmung zu einer möglichen Bewaffnung von Bundeswehr-Drohnen signalisiert worden ist«, erklärte der SPD-Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Hagen/Ennepe-Ruhr, Rene Röspel (TP, 16.12.2020) Die Drohnen-Entscheidung der SPD-Fraktion zeigt, dass sich mit der Parteiführung unter Esken/Walter-Borjans und mit Mützenich an der Spitze der Fraktion doch etwas geändert hat. Letzterer hatte schon im Wahlkampf im Sommer 2013 klar formuliert: »Der Einsatz bewaffneter Drohnen verwischt den Unterschied zwischen Krieg und Frieden und droht, die Hemmschwelle zur Anwendung militärischer Gewalt zu senken.«[4]
Die SPD hat sich bewegt, weil es Druck und gute Argumente gibt. Doch der Fraktionsbeschluss eröffnet den Weg zu weiteren Abrüstungsschritten. So muss darauf gedrängt werden, dass sich Deutschland für die internationale Ächtung dieses perversen Waffentyps einsetzt. Doch dies ist nur möglich, wenn der außerparlamentarische Druck stärker wird. Die Zukunftsfragen – von der Bekämpfung des Klimawandels, der Verwirklichung der politischen und sozialen Menschenrechte bis hin zu Fragen globaler sozialer Gerechtigkeit – sind nur im Frieden zu lösen.
Anmerkungen:
[1] Als Drohnen gelten in Deutschland ferngesteuerte unbemannte Luftfahrzeuge (UAVs oder RPAV – Remotely Piloted Aerial Vehicles). Die Bundeswehr setzt seit zehn Jahren die Aufklärungsdrohne Heron 1 ein – sowohl in Afghanistan als auch in Mali. Anfang 2010 hat die Bundeswehr drei Aufklärungsdrohnen vom Typ Heron 1 von einem Konsortium bestehend aus dem deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall und Israel Aerospace Industries (IAI) geleast. Im Juni 2018 hat der Haushaltsausschuss des Bundestages die Anmietung von weiteren fünf bewaffnungsfähigen Drohnen vom Typ Heron TP mit einem Kostenumfang von 900 Millionen Euro beschlossen. Die Bewaffnung der Aufklärungsdrohnen soll eine Brückenlösung für die Ende der 2020er Jahre geplante, von Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien entwickelte bewaffnete Eurodrohne (MALE RPAS) darstellen.
[2] Anja Dahlmann: Heron TP – und dann? Implikationen einer Bewaffnung deutscher Drohnen, SWP-Aktuell, September 2020.
[3] Siehe auch Otto König/Richard Detje: Ausweitung deutscher Militäreinsätze. Kanonenbootpolitik bis vor Chinas Haustür, Sozialismus.de Aktuell, 17.11.2019.
[4] https://www.rolfmuetzenich.de/publikation/exekutive-exekutionen-bewaffnete-drohnen ,21.06.2013.
12. Januar 2021 Otto König/Richard Detje:, sozialismus