Zwangsarbeiter:innen im Landkreis Gießen – Vor dem Vergessen bewahren!
Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Verbunden damit war die weitere Steigerung der Rüstungsproduktion bei gleichzeitiger Rekrutierung aller wehrfähigen Männer; möglich war dies nur durch die Intensivierung der Zwangsarbeit, insbesondere durch Deportation vorwiegend junger Menschen aus allen von der Wehrmacht besetzten Gebieten nach Deutschland. Historiker schätzen die Zahl der eingesetzten Zwangsarbeiter auf über 7 Millionen Menschen, unter Einbeziehung von Fluktuation geht man von 11 Millionen Betroffenen aus.
Heute, 80 Jahre später, erinnert an den Orten der Zwangsarbeit im Kreis Gießen nichts mehr an die Schicksale der hier eingesetzten Zwangsarbeiter. In allen Rüstungsbetrieben des Kreises waren Hunderte von Zwangsarbeitern eingesetzt, bei Buderus in Lollar, bei Didier in Mainzlar, bei Schunk in Heuchelheim, bei Dönges in Krofdorf, bei Poppe in Gießen, um nur einige, wenige beispielhaft zu nennen. In jedem Dorf waren Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft eingesetzt, in vielen Haushalten Besserverdienender und bei Nazibonzen im Haushalt.
Etliche Zwangsarbeiter fielen den unmenschlichen Arbeitsbedingungen bei mangelhafter Ernährung und unzureichender Unterkunft zum Opfer, kamen bei
Arbeitsunfällen um oder wurden ermordet. Alle diese Fälle wurden niemals aufgeklärt, die Opfer vergessen, verdrängt, die Taten vertuscht, die Täter, Mittäter und Verantwortlichen geschont.
Exemplarisch sei hier an Jania Hryszkiewicz erinnert. Die junge Frau war geboren am 27. Januar 1926, in der Gegend von Wilna und wurde nach der deutschen Besetzung Litauens nach Deutschland verschleppt und ab dem 1.August1942 bei Buderus in Lollar als Zwangsarbeiterin eingesetzt. Aus dem Mitgliederbuch der Betriebskrankenkasse der Buderus Heiztechnik geht hervor, dass sie zum 9. Juni 1944 ausgelistet wurde. Grund dafür war ihre Schwangerschaft und sie wurde, wie zahlreiche Leidensgenossinnen in das „Krankenlager“ Pfaffenwald im Kreis Hersfeld verbracht.
Hier mussten die Frauen ihre Kinder zur Welt bringen oder es wurden Zwangsabtreibungen vorgenommen, letzteres nach geltenden Richtlinien, wenn der
„Schwängerer“ dies forderte. Ihr Sohn Heinrich kam am 3. Dezember 1944 im Lager Pfaffenwald zur Welt. Das Lager Pfaffenwald verließen beide nicht mehr lebend, es war ihre Endstation. Wer als nicht mehr arbeitsfähig galt, wurde verhungernd seinem Schicksal überlassen oder umgebracht und auf dem „Waldfriedhof Beiershausen“ verscharrt. Janias Tod ist vom Standesamt Bad Hersfeld für den 23. Januar 1945 beurkundet, Heinrichs Tod für den 20. März 1945. Sowohl Todesdaten als auch die Todesursache „Lungentbc“ sind als erfunden zu werten.
Die meisten Opfer unter den Zwangsarbeitern kamen aus der Sowjetunion, aber es waren auch andere Nationen betroffen. Die Französin Germaine Durocher wurde in Hadamar ermordet, weil sie sich im Poppe-Lager mit TBC angesteckt hatte. Der Italiener Carlo Rota wurde in Lollar wegen angeblichem Kartoffeldiebstahl erschossen. Der Belgier Charles Raes „starb“ im Buderus Lager an Lungenentzündung. Der Niederländer Johannes van Esch im Buderus Lager mit 21 Jahren an Typhus und „Kreislaufschwäche“. Der Franzose Paul Monsenergue wurde in Großen-Linden „auf der Flucht erschossen“. Der Franzose Eugene Lebrun stürzte in einer Scheune in Krofdorf ab und starb. Die Dönges Zwangsarbeiterin Maria Loginowa aus der Sowjetunion wurde in Hadamar umgebracht, weil sie sich im
Krofdorfer Lager mit TBC angesteckt hatte. Die sowjetische Schunkzwangsarbeiterin Sonja Morewa wurde ebenfalls in Hadamar umgebracht. Die sowjetische Zwangsarbeiterin Liubow Prabda beging in Mainzlar angeblich Selbstmord.
Dies sind nur Beispiele. Dieter Bender arbeitet gegenwärtig an einer Dokumentation und Darstellung dieser unmenschlichen Praktiken in der Region. Im Herbst wird der Text vorliegen und in Veranstaltungen vorgestellt.
Die Gießener Linke nimmt den 80. Jahrestag des Überfalls der Hitler-Armeen auf die Sowjetunion zum Anlass, angemessene Formen des ehrenden Gedenkens an die Opfer in den Kommunen und Betrieben zu fordern. Das Schweigen muss ein Ende haben!
Dokumente des Pressegesprächs:
PK 80-Jt-DB
Erschossen für eine Handvoll Kartoffel
GAZ 80igster Jahrestag Überfall SU