Ein schmaler Grat
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras forderte die internationalen Geldgeber – EU, EZB und IWF – zu Nachbesserungen an ihrer Konzeption für eine Lösung des Schuldenstreits auf. Das inzwischen vorliegende Papier ist in einer Chef-Beratung zwischen Bundeskanzlerin Merkel, dem französischen Staatspräsidenten Hollande, EU-Kommissionschef Juncker und EZB-Chef Draghi entwickelt worden.
Der neue Realismus der Gläubiger: Die Chefs der Troika mussten sich endlich der harten ökonomischen Realität beugen. Statt eines prognostizierten Wirtschaftswachstums für 2015 von 2,9% werden jetzt nur noch 0,5% Zuwachs erwartet. Die Wachstumsaussichten für 2016 wurden von 3,6 auf 2,9% gesenkt. Angesichts des harten Pokers um die Zukunft der griechischen Gesellschaft ist das Ziel von einem halben Prozent Wirtschaftswachstum zudem mittlerweile ehrgeizig.
Logischerweise mussten die Gläubiger auch ihre Vorgaben für den Primärhaushalt revidieren. Das neue Papier aus Berlin sieht vor, dass Griechenland 2015 nur noch einen Primärüberschuss von 1% erwirtschaften soll. 2016 sollen es 2% sein und im Jahr darauf 3%, von 2018 an dann 3,5%. Bisher waren für dieses Jahr 3% gefordert und dann je 4,5%.
Die Illusionen der Geldgeber sind geplatzt, nachdem die griechische Wirtschaft wieder nachhaltig in die Rezession gerutscht ist. Mit einem geringeren Primärüberschuss ist die Schuldenquote ohne Schuldenschnitt nicht wie vom IWF verlangt bis Ende des Jahrzehnts auf 124% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu drücken.
Weil die Frage der Tragfähigkeit der Staatsschulden im Lichte der realen ökonomischen Entwicklungstrends neu bewertet werden muss, ist der Internationale Währungsfonds wegen seiner Statuten gezwungen, tendenziell aus dem Sanierungsprozess auszusteigen. Einem Mitgliedsland kann der IWF keine weiteren Tranchen aus einem laufenden Unterstützungsprogramm mehr auszahlen, wenn ein Zustand der Überschuldung in Sicht ist. Die IWF-Generaldirektorin, Christine Lagarde, lobte das »konstruktive Treffen« in Berlin, das ohne Beteiligung des Krisenfalles Griechenland stattfand. Sie signalisierte ein Entgegenkommen des Währungsfonds, was die Kreditauflagen betrifft. Der IWF zeige Flexibilität, um den politischen und sozialen Bedingungen in Griechenland Rechnung zu tragen. Griechenland weist mit 25,6% die höchste Arbeitslosenquote der Eurozone auf. Lagarde deutete an, dass Auflagen für den Arbeitsmarkt gelockert werden könnten und der Zeitrahmen des Restrukturierungsprogramms gestreckt werden könnte.
In den Zusammenhang des »Entgegenkommens« gehört auch die Bündelung der Rückzahlungstranchen an den IWF für den Monat Juni von ca. 1,6 Mrd. Euro auf das Ende des Monats. Diese Bündelung der Kreditraten ist zuvor von Griechenland beantragt worden. Es ist das erste Mal in der seit fünf Jahren andauernden Schuldenkrise, dass die Regierung in Athen die Rückzahlung einer fälligen Tranche an seine Euro-Partner oder den IWF verschoben hat. Ob am Monatsende der fällige Betrag an den IWF gezahlt werden wird, ist unklar.
Zum einen muss die griechische Regierung die Mehrheit in der Syriza-Regierungsfraktion von einer Fortführung des Sanierungspakets überzeugen und damit die Grundlage für ein entsprechendes Parlamentsvotum legen. Zum andern dürfte die Bezahlung der Raten im Juni auch davon abhängen, ob endlich die blockierten Gelder aus den laufenden Programmen freigegeben werden. Wenn der IMF seine Tranche zurückhält, kann Griechenland zum einen mit 4,2 Mrd. Euro rechnen. Außerdem wollen die Gläubiger Griechenland Zugriff auf einen Teil der bisher für die Rettung maroder Banken reservierten 10,9 Mrd. Euro aus dem Hilfspaket verschaffen. Damit könnte es seinen Finanzbedarf für den Sommer abdecken, wenn es unter anderem 6,7 Mrd. Euro an die EZB zurückzahlen muss. Auch eine Verlängerung des laufenden Hilfsprogramms über den Sommer hinaus ist im Gespräch.
Die griechische Regierung schätzt die Zielgröße eines Überschusses im Primärhaushalt von 1% im laufenden Jahr gleichfalls als illusionär ein, und weiß, dass die Einhaltung dieses Zieles mit einer Verlängerung und Verschärfung des Austeritätsprozesses verbunden ist. Härte Sparmaßnahmen bedeuten eine weitere Verletzung der »roten Linien«, zu deren Einhaltung sich die Regierungspartei verpflichtet hat. Außerdem würde mit weiteren Kürzungsmaßnahmen der sozial-ökonomische Abwärtstrend verstärkt. Erklärtes Ziel der Linksregierung ist es aber gerade, aus der Spirale von Schrumpfung der wirtschaftlichen Leistung und immer neuen Kürzungen endlich herauszukommen.
Für ihr »Entgegenkommen« verlangen die Gläubiger unter anderem Rentenkürzungen, auch bei den niedrigsten Renten, und das Festhalten an der Privatisierung von Staatseigentum.[1] Der IWF und die Euro-Partner wollen weiterhin Rentenkürzungen im Umfang von einem Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) durchsetzen. Außerdem sollen 800 Mio. Euro durch Einschnitte bei den Pensionen für Geringverdiener eingespart werden. Tsipras solle auch auf die Rücknahme der Rentenreform und auf eigenmächtige Schritte bei Maßnahmen am Arbeitsmarkt verzichten. Die Mehrwertsteuer solle im Volumen von einem Prozent des BIP angehoben werden. Die Geldgeber bestünden desweiteren auch auf der Privatisierung der Häfen in Piräus und Thessaloniki, von Ölkonzernen und Netzbetreibern sowie des Telefon-Unternehmens OTE. Diese Vorschläge laufen auf ein Überschreiten der roten Linien hinaus.
Geht man davon aus, dass Griechenland im laufenden Jahr 2015 beim Wirtschaftswachstum nicht weiter zurückfällt und mit einer Stagnation davonkommt (0,5% BIP-Zuwachs), dann lassen sich die Forderungen der Gläubiger für das Erreichen der Zielmarke von 1% Überschuss im Primärhaushalt quantifizieren. Die Geldgeber fordern weitere Sparmaßnahmen in Höhe von rund drei bis fünf Mrd. Euro.
Die griechische Regierung schlägt Maßnahmen (Kürzungen und Steuermehreinnahmen) in Höhe von 1,8 Mrd. Euro vor. Sicherlich ist vorstellbar, dass sich in diesem Korridor eine Verständigung erreichen lässt. Es wäre politisch gefährlich, wegen einer Differenz von 2-3 Mrd. Euro den Verständigungsprozess platzen zu lassen. Gleichzeitig ist unübersehbar, dass die politischen Bedingungen für einen Kompromiss schwer herstellbar sind.[2]
Ministerpräsident Tsipras hat seinen Ministern nach dem Treffen mit Juncker erklärt, »extreme Forderungen« der Gläubigerstaaten könnten nicht akzeptiert werden. »Jedem muss klar sein, dass das griechische Volk in den vergangenen fünf Jahren sehr gelitten hat.« Das griechische Finanzministerium fordere »realistischere« Vorschläge.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Griechenland im Ringen um weitere Milliardenhilfen der internationalen Gläubiger zu Zugeständnissen aufgerufen. Nötig seien »deutliche Anstrengungen von Seiten Athens«, sagte Merkel nach Präsentation des Positionspapiers der Gläubiger. Es bleibe das Ziel der derzeitigen Verhandlungen, dass Griechenland in der Eurozone bleibe. Finanzminister Schäuble schließt, im Gegensatz zu seiner Chefin, auch einen Austritt des klammen Landes aus der Währungsunion ausdrücklich nicht (mehr) aus. Der Finanzminister hat dabei auch die Stimmung in der CDU/CSU im Blick, wo mehrheitlich ein Ende des Unterstützungsprozesses für Griechenland befürwortet wird. Schäuble sprach sich auf dem Kirchentag in Stuttgart gegen einen Schuldenerlass für Griechenland aus. Bei armen Ländern wie Nepal könne im Einzelfall ein Schuldenerlass möglich sein, sagte er. In der EU aber zahle »Griechenland durch die solidarische Haftung aller anderen Euromitgliedstaaten für seine gesamte Staatsverschuldung einen niedrigeren Zinssatz als zum Beispiel Deutschland«. In der Unionsfraktion wird mit Skepsis registriert, dass die Gespräche auf einen neuen Schuldenschnitt hinauslaufen.
Die Mehrheit der Medien und der Wirtschaftsexperten unterstützt gleichfalls die harte Linie. Wirtschaftsexperten warnen die Bundesregierung im Schuldenstreit mit Griechenland vor weiteren Zugeständnissen. Die griechische Regierung um Ministerpräsident Alexis Tsipras werde sich auch an neu vereinbarte Reformauflagen nicht halten, sagte der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Clemens Fuest, der »Bild«-Zeitung. Deshalb sollte Deutschland keinesfalls neue Kredite vergeben.
EZB-Präsident Mario Draghi bekräftigte nach der Sitzung des EZB-Rates: »Der EZB-Rat will, dass Griechenland im Euro bleibt.« Dafür sei ein »starkes Abkommen« Voraussetzung. Kriterium dafür sei, dass die Vereinbarung in Griechenland das Wachstum stärke. Es müsse sozial verträglich, umsetzbar und für Griechenland bezahlbar sein. Er signalisierte, dass die Notenbank weiterhin die stark angeschlagenen griechischen Banken mit Notfallhilfen (Ela-Krediten) unterstützen wird. Die Bedingungen für die Sicherheiten, die Banken im Gegenzug gewährleisten müssen, würden nicht verschärft. Ohne die Flexibilität der EZB wäre der Verhandlungsprozess infolge einer staatlichen Insolvenz längst geplatzt.
Fest steht mittlerweile: In den nächsten Tagen wird die Entscheidung fallen, ob Griechenland gegen weitere Zugeständnisse bei Kürzungsmaßnahmen eine Freigabe von Kredittranchen erhält. Eine Verlängerung des laufenden Hilfsprogramms bis Jahresende könnte eine Doppelchance einschließen. Die griechische Ökonomie könnte den mühsamen Prozess des Ausbruchs aus der Rezession fortführen und zugleich könnte ein neues Abkommen verhandelt werden, bei dem der Schwerpunkt auf der wirtschaftlichen Stabilisierung und Rekonstruktion einer lädierten Ökonomie liegt.
[1] http://www.tagesspiegel.de/downloads/11874400/1/Liste%20der%20%22Prior%20Actions%22
[2] http://www.tagesspiegel.de/downloads/11870514/2/Regierungsvorschlag%20Griechenland