Pasionaria des 21. Jahrhunderts
Porträt: Ada Colau will nach dem Sieg bei den Kommunalwahlen Bürgermeisterin von Barcelona werden
Pasionaria des 21. Jahrhunderts
„Wollt ihr POLITIK in Großbuchstaben sehen?“, twitterte Ada Colau am Tag nach der Kommunalwahl in Barcelona. Der Tweet enthielt ein Foto der Wahlnacht: drei Frauen und ein Mann im Backstage-Bereich, alle mit schlafenden Kindern im Arm. Sie ergänzte: „Ohne Fürsorge ist kein Sieg möglich.“ Zwei Herzchen dazu.
Das ist eine neue Art von Politik und Kommunikation: persönlich, rebellisch und zugleich nah an den Menschen, deren Alltag, Bedürfnissen und Sorgen. Die Zeitung El País sieht Colaus Erfolgsgeheimnis darin, dass sie „noch Person und nicht Figur“ sei und nannte sie eine „Pasionaria“ des 21. Jahrhunderts, ein Vergleich mit Dolores Ibárruri (1895 – 1989), Revolutionärin und Ikone der spanischen Kommunisten. Mit ihrer Plattform Barcelona En Comú (Gemeinsam in Barcelona), zu der auch Podemos (Wir können) gehört, gewann die 41-jährige Ada Colau Ballano bei den Kommunalwahlen 25,2 Prozent der Stimmen. Damit hat sie reale Chancen, Bürgermeisterin der Millionenstadt zu werden, wofür sie eine Koalition mit der Vereinigten Linken und der Sozialistischen Partei anstrebt.
Colau ist in der Stadt geboren und aufgewachsen, sie hat an der Philosophischen Fakultät der Universität Barcelona studiert, ihr Studium jedoch nicht abgeschlossen. Landesweit bekannt wurde sie als Sprecherin der Plattform der Hypothekengeschädigten (PAH), die sie 2009 mitbegründet hatte. Sie war verantwortlich für den Sektor Wohnen bei der Beobachtungsstelle für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Observatorio DESC) in Barcelona. Dieser Mission gingen lange Jahre einer Aktivistin voraus: als Gegnerin der Golfkriege in den 80er und 90er Jahren sowie der US-Invasion im Irak 2003, in der Antiglobalisierungsbewegung und bei G 8-Protesten.
¡Si se puede!
Zusammen mit ihrem Partner Adrià Alemany – Ökonom, PAH-Mitglied und Vater ihres Sohnes – hat Ada Colau zwei Bücher verfasst: Zunächst Verschuldete Leben, das die Gründe und Schuldigen der Hypothekenkrise benennt und beklemmende Schicksale beschreibt. Im Jahr 2013 folgte die Erfolgsgeschichte der PAH unter dem Titel ¡Si se puede! (Ja, es geht!), das zum Schlachtruf der Aktivisten gegen das politische Establishment wurde und am Abend des 24. Mai, dem Wahltag, bei der Pressekonferenz einer sichtlich stolzen und zu Tränen gerührten Colau in Chören erklang.
Sie will den alten Formen von Politik den Garaus machen und hat die katalanische Regierungspartei Convergència i Unió mit der russischen Mafia verglichen. Es würden bei deren Establishment private und öffentliche Interessen vermengt – es gäbe undurchsichtige Finanzbeziehungen und Korruption.
Als Bürgermeisterin müsste sie freilich mit den Banken kooperieren, die sie als „kriminell“ qualifiziert hat. Umso mehr betont sie ihre Bereitschaft zum Dialog und beteuert, dass BComú für die ganze Stadt regieren werde: „Wir sind gegen niemanden.“ Das glauben ihr nicht alle. Colau polarisiert. Der Chef der Stadtpolizei hat seinen Rücktritt angekündigt für den Fall, dass sie Bürgermeisterin werden sollte. Großprojekte von Formel-Eins-Rennen über Technologiekongresse bis zu einem Luxushotel im Gebäude der Deutschen Bank in privilegierter Lage, hat sie in Frage gestellt. El País bewertet Colaus Blick auf die soziale Ungleichheit in Barcelona als „leicht karikaturistisch“ – sprich: einseitig und vereinfachend – und kritisiert den „Adanismus“, den radikalen Zuschnitt der BComú-Liste auf ihre Person, was auf Kosten von Fachkompetenz gehe. Gleich nach der Wahl zeigte sich auch, wie schwer das Legalitätsverständnis einer Occupy-Aktivistin mit den Erwartungen an eine Person der öffentlichen Ordnung in Einklang zu bringen ist: Colau besuchte die besetzte Zentrale des Telefonica-Konzerns und demonstrierte Solidarität mit den Arbeitern.
„Das Staatsmodell ist am Ende“
Colaus Sieg bedeutet nicht zuletzt eine schwere Erschütterung für die katalanische Politik, da das Thema Unabhängigkeit nun gegenüber sozialen Themen ins Hintertreffen geraten kann. Eine knappe Woche nach der Wahl hat Colau im katalanischen Fernsehsender TV3 andererseits ihren Beistand für die Souveränitätsbestrebungen bekundet: „Es ist offensichtlich – das Staatsmodell ist am Ende.“ Ihre Bewegung unterstütze jedwede Mobilisierung zugunsten von Rechten und Freiheiten. Die Bürger müssten das letzte Wort haben, eben auch zur nationalen Frage.
Ada Colau will aus Barcelona ein internationales Vorbild machen, was Transparenz, würdige Gehälter, Arbeitszeiten, Arbeitssicherheit und Umweltstandards betrifft, und schlägt dafür ein kommunales Siegel vor. Sie will dagegen vorgehen, dass 80.000 Wohnungen leer stehen. Und sie kann das, denn das Hypothekenrecht ist staatlich geregelt. Sie hätte auf kommunaler Ebene die Möglichkeit, Wohnungsleerstand zu ahnden: „Wir haben eine Notlage, und eine Wohnung muss eine soziale, nicht spekulative Funktion erfüllen.“ Weil das ihr Wichtige wichtig bleiben muss, ließ sich Colau zwei Tage nach der Wahl, wie auch in den Jahren zuvor, für eine Nachtaktion als eine von 700 Ehrenamtlichen einteilen, die Obdachlose in den Straßen von Barcelona zählen. „Vergessen wir nie, wer wir sind, und warum wir hier sind. Wir sind hier, um die Menschen ins Zentrum der Politik zu rücken, besonders die Verwundbarsten, ohne Ausnahme“, postete Colau auf ihrer Facebook-Seite, die fast 155.000 Likes hat.
Als Colau nachts unterwegs war, wurden fast 1.000 Menschen registriert, die unter freiem Himmel übernachteten. Es gäbe viel zu tun für eine Bürgermeisterin Ada Colau.
von Verena Boos, sie ist Schriftstellerin und Expertin für katalanische Politik, aus: freitag