Bundestag verschäft Asylrecht: Geistige Brandstifter und reale Feuerteufel
Es brennt in Deutschland – im übertragenen wie auch im wörtlichen Sinne. Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte weiter nehmen zu. In Dresden-Friedrichstadt wurden am 24. Juli drei DemonstrantInnen, die gegen einen NPD-Aufmarsch vor einer DRK-Notunterkunft für Flüchtlinge aus Syrien protestierten, von Rechtsradikalen angegriffen und verletzt.
Der Fremdenhass eskaliert – Hetze und Gewalt nehmen dramatische Ausmaße an. Lübeck, Vorra, Freital, Meißen, Reichertshofen, Mengerskirchen – diese Städte und Gemeinden haben eines gemeinsam: Bevor Menschen dort Schutz vor Krieg und Verfolgung finden konnten, wurden ihre Unterkünfte mit Naziparolen beschmiert und angezündet.
Zuletzt tobte in Freital bei Dresden wochenlang eine Auseinandersetzung um eine Erstaufnahmeeinrichtung. Rechtsradikale »Wutbürger«, unter ihnen Pegida-Chef Lutz Bachmann, erzeugten eine progromartige Stimmung. 30 Kilometer entfernt brannte es in der Domstadt Meißen in einer Unterkunft, in die 35 AsylberwerberInnen einziehen sollten. Dies geschah wenige Stunden, nachdem sich der rechte Mob, die »Initiative Heimatschutz«, zusammengerottet hatte. In Böhlen, südlich von Leipzig, schossen Unbekannte auf ein Flüchtlingsheim.
Die Bundesregierung registrierte im Jahr 2013 offiziell 55 Angriffe auf Flüchtlingsheime durch rechtsmotivierte Täter, in 2014 waren es schon 198 – ein Anstieg um nahezu das Vierfache. Im ersten Halbjahr 2015 wurden nach Angaben des Bundesinnenministeriums bereits 202 Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte verübt. Organisationen wie »Pro Asyl« vermelden eine noch höhere Zahl von Angriffen: Demnach kam es bereits 2014 neben 36 Brandstiftungen zu 211 Übergriffen, darunter Straftaten wie Sprengstoffanschläge, Hausfriedensbruch, Körperverletzung, Sachbeschädigung. Die Amadeu Antonio Stiftung, die sich dem Kampf gegen rechte Gewalt verschrieben hat, listet für 2014 darüber hinaus 292 flüchtlingsfeindliche Kundgebungen auf.[1]
Die Zunahme der Anschläge fällt mit dem Niedergang der NPD zusammen. In ihrer Hochburg Sachsen flog sie im letzten Jahr aus dem Landtag. Damit scheiterte ihre Strategie, über die parlamentarische Arbeit zu wachsen. Jetzt nutzt die NPD die steigende Zahl von Flüchtlingen, um neue Anhänger zu mobilisieren. So initiiert sie beispielsweise Bürgerinitiativen besorgter Nachbarn wie »Nein zum Heim in Köpenick« oder »Freital wehrt sich«.
Als indirekte Aufforderung, Aktionen gegen die »Überfremdung« selbst in die Hand zunehmen, diente bis vor kurzem[2] eine von Neonazis auf der Internetseite von Google eingepflegte Deutschlandkarte mit dem Titel »Kein Asylantenheim in meiner Nähe«. Darauf waren Hunderte Standorte von Flüchtlingsunterkünften mit exakter Adresse und Zusatzinformationen zum Gebäude wie Umbaukosten und Anzahl der Bewohner verzeichnet.
Während die rechten Hetzer ungehindert agieren, verstärken Teile der Berliner Großen Koalition mit ihrer Politik der Abschottung die Ressentiments gegenüber Flüchtlingen. Sie schüren damit in jenen Teilen der Bevölkerung, die vom Anwachsen der »Flüchtlingsströme« beunruhigt sind, eine ablehnende, ja feindselige Haltung. Gleichzeitig wiegeln Biedermänner und geistige Brandstifter mit ihrer rechtspopulistischen Rhethorik die Menschen auf und liefern den realen Feuerteufeln die Brandbeschleuniger für ihre schändlichen Taten.
Wenn der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer heute erneut, wie das die deutsche Politik schon vor 25 Jahren getan hat, von »massenhaftem Asylmissbrauch« schwadroniert, muss er sich nicht wundern, wenn heute wie damals, Flüchtlingsunterkünfte brennen. Heribert Prantl kommentiert in der Süddeutschen Zeitung: »Man hatte gehofft, die Politik habe gelernt, dass es flüchtlingsfeindliche Hetze wie damals nicht mehr geben darf; aber die CSU ist offenbar unbelehrbar.« (20.7.2015)
Nicht nur die CSU. Die rechtskonservativen Kräfte in der Bundesrepublik benutzen seit Anfang der 1990er Jahre, als sich die rassistischen Gewalttaten in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen zu regelrechten Pogromen gesteigert hatten, die gleiche Strategie. Sie bedienen mit ihrem Gerede von »Asylmissbrauch« und drohender »Überfremdung« die Vorurteile jener Bürger, die Flüchtlinge als Eindringlinge und Schmarotzer betrachten. Zugleich schaffen sie in diesem aufgeheizten Klima gesetzliche Fakten, indem sie das Asylrecht verschärfen.
Anfang Juli verabschiedete der Bundestag das »Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung«. Nach Auffassung von Experten ist dieses Gesetz die einschneidendste Verschärfung seit der Asylrechtsänderung im Jahr 1993.
Das Positive vorweg: Jungen Flüchtlingen, die bisher alle sechs Monate zur Ausländerbehörde gehen müssen, um ihre Duldung verlängern zu lassen, kann, wenn sie eine Ausbildung machen, die Duldung für die Dauer ihrer Lehre verlängert werden. Eine sichere Aufenthaltserlaubnis ist das jedoch nicht. Erleichterungen gibt es auch für Ausländer, die seit vielen Jahren mit einer Duldung in Deutschland leben. Wenn sie gut integriert sind und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können, kann ihnen unter bestimmten Bedingungen eine gesicherte Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.
Alle anderen Bestimmungen des neuen Aufenthaltsgesetzes laufen auf eine Kriminalisierung der Flüchtlinge hinaus und zwar einschließlich der Möglichkeit ihrer umgehenden Inhaftierung. In Zukunft soll u.a. in Abschiebehaft genommen werden können, wer hohe Geldsummen an Schleuser gezahlt hat. Im Gesetzestext wird das damit begründet, dass ein Flüchtling, der viel Geld für seine Einreise nach Deutschland investiert hat, verdächtig ist, sich seiner Auslieferung zu entziehen.
Verhaftet werden können auch diejenigen, die ihre Identität per »Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten« verschleiern. Dies trifft vor allem jene, die ohne ihre Papiere fliehen mussten. Das neue Gesetz ermöglicht die Internierung von Flüchtlingen, die über Ungarn oder Italien nach Deutschland gekommen sind. Flüchtlinge, die aufgefordert worden sind, Deutschland zu verlassen, können vier Tage vor ihrem Abschiebetermin in Gewahrsam genommen werden.
Das alles beinhaltet ein Gesetz, das den Aufenthalt von Menschen regeln soll, die ihre Heimat verließen, weil sie politisch verfolgt wurden oder vor menschenunwürdigen Verhältnissen in den Kriegsgebieten geflohen sind, um sich in Europa eine neue Zukunft aufzubauen. Tatsächlich ist seit der ersten Änderung des Asylparagrafen 16 jede sogenannte Reform der Asyl- und Aufenthaltsgesetzgebung nichts als eine Verschärfung der inhumanen Haltung gegenüber Schutzsuchenden.
Die Absurdität der deutschen Asylpolitik wird nur noch von der bayerischen Staatsregierung übertroffen, die nach Verabschiedung des Gesetzes sofort die Einrichtung von zwei neuen »Asylzentren für Flüchtlinge mit geringer Bleibewahrscheinlichkeit« an ihren Landesgrenzen zu Südost-Europa verkündete. In diesen Abschiebelagern sollen vor allem Asylbewerber aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten wie Serbien, aber auch aus Albanien, Kosovo und Montenegro interniert werden. In beschleunigten Verfahren sollen sie möglichst schnell wieder in ihre Heimat abgeschoben werden.
Diese Politik der Abschreckung findet nicht nur die ungeteilte Zustimmung der Bundesregierung, sondern fällt auch beim Deutschen Städte- und Gemeindebund auf fruchtbaren Boden, denn dies könne, so der Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg im WDR-Radio, »die Städte und Gemeinden entlasten, die an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit geraten sind«.
Die Probleme der Kommunen sind real und mit den Mitteln vor Ort nur schwer beherrschbar. Die europäische Flüchtlingspolitik des Dublin Verfahrens war schon zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung gescheitert – statt humanuitärer Hilfe und europäischer Solidarität war es eine Politik des cordon sanitaire, den sich das EU-Zentrum erkauft hatte.
Und so wie es aussieht, sind die politischen Hauptkräfte – die sich zunehmend unter rechtspopulistischem Druck wähnen – kaum zu Verfahrensänderungen in der Lage. Politik erweist sich hier nicht als Bewältigung eines Notstands, sondern als Teil desselben.
[1] Vgl. Rassistische Gewalt gegen Flüchtlinge nimmt dramatisch zu. www.mut-gegen-rechte-gewalt.de 30.6.2015.
[2] Inzwischen hat Google auf die Proteste reagiert. Wie der Internetkonzern über Twitter verlauten ließ, wurde die Karte gelöscht. www.netzwelt.de 21.7.2015.
Otto König/ Richard Detje, Sozialismus, 26.07.15