AfD-Ergebnisse bei den hessischen Kommunalen: War das wirklich nur eine »klassische Protestwahl«?
Bei den Kommunalwahlen in Hessen kam die CDU nach dem vorläufigen Trendergebnis landesweit auf 28,2%, die SPD auf 28,0%, die AfD holte 13,2%, die Grünen 11,6%. Die FDP erholte sich im Vergleich zur letzten Kommunalwahl 2011 deutlich, erreichte landesweit 6,3%. Die Linke lag bei 3,7%. Die Wahlbeteiligung lag mit 48,0% um 0,3 Prozentpunkte höher als vor fünf Jahren.
Auch wenn das endgültige Ergebnis erst in einigen Tagen feststehen wird, kann doch am starken Abschneiden der rechtspopulistischen AfD (»Alternative für Deutschland»)[1] kein Zweifel bestehen: Hinter der CDU und der SPD ist die AfD drittstärkste Kraft im Land. »Die Macht der etablierte Parteien bröckelt«, triumphierte die AfD-Vorsitzende Frauke Petry.
In Städten, Gemeinden und Landkreisen, in denen sie angetreten ist, holte sie zumeist zweistellige Wahlergebnisse: Dietzenbach (Stadt): 14,7%; Offenbach (Kreis ): 14,7%; Fulda (Kreis): 14,3%; Bensheim (Stadt): 13,3%; Gießen (Stadt): 12,9%; Darmstadt-Dieburg (Kreis): 12,9%; Wiesbaden (Stadt): 12,8%; Main-Taunus-Kreis: 12,7 %; Odenwaldkreis: 12,7%; Hochtaunuskreis: 11,2%; Kassel (Stadt): 11,0%; Darmstadt (Stadt): 9,2%; Frankfurt (Stadt): 8,9%.
Der hessische Ministerpräsident Bouffier (CDU) bestreitet diese Erschütterung des politischen Systems. Er sieht den Wahlerfolg der AfD lediglich als Resultat einer Protestwahl, die sich gegen den Strom der Zufluchtsuchenden und die dadurch hervorgerufene Krise der Bundesregierung richte. Die AfD werde so schnell wie einst die Republikaner wieder verschwinden. Auch als Abstimmung über die Politik der schwarz-grünen Landesregierung versteht er die Kommunalwahlen vom Sonntag nicht. Rückschlüsse auf großstädtische Themen wie hohe Mieten und Schulmisere lässt die CDU nicht gelten.
Demgegenüber will der Extremismusforscher Benno Hafeneger von der Universität Marburg zwar nicht ausschließen, dass sich Geschichte wiederholt, äußert daran aber Zweifel: »Mit der AfD haben wir ganz neue Leute in der Politik, aus dem Bürgertum. Leute, die weit in die Mitte der Gesellschaft hineinstrahlen«, sagt er im Hessischen Rundfunk. »Von daher muss man befürchten, dass die AfD kein vorübergehendes Phänomen ist, sondern ein Dauerproblem der Republik wird.«
Zurzeit jedenfalls sei ein hohes Potenzial an Aggressivität, Hass und Ablehnung in Teilen der Bevölkerung gegenüber der Politik und der Demokratie vorhanden, sagt Hafeneger. Es gebe Wutbürger, die mit allem irgendwie unzufrieden seien, aber auch BekenntniswählerInnen mit rechtsextremistischen Einstellungen und Orientierungen.
Und: Republikaner und auch die NPD sind nicht einfach verschwunden. Sie sind an vielen Orten in Hessen präsent und traten in mehreren Gemeinden anstelle der AfD zur Wahl an. In Büdingen (21.000 Einwohner), mitten in Hessen, kam die NPD auf über 14% der Wählerstimmen. Dort steht ein Erstaufnahmelager mit 500 Flüchtlingen. Die Zahl der Flüchtlinge entspricht etwa zweieinhalb Prozent der Einwohner Büdingens. Das kann wohl nicht der ausschlaggebende Grund zur Wahl der Rechtsradikalen gewesen sein. Hier ist es vielmehr gute Tradition, den 30. Januar 1933, die Machtübernahme der Nazis mit Plazet des Bundesverfassungsgerichts zu feiern. In Leun im Lahn-Dill-Kreis kam die NDP auf 11,2%. Vor fünf Jahren erzielte sie dort 5,2%.
Der Wetteraukreis gilt als Hochburg der Rechtsextremen. Die gesamte Region Oberhessen sei historisch anfällig für rechtes Gedankengut, sagt die Politologin Alexandra Kurth (Uni Gießen). Die NPD zog zwar mit dem üblichen »Asylflut stoppen« in den Wahlkampf und konnte die Flüchtlingskrise für sich nutzen: »Sie ist aber nur der äußere Anlass, der Katalysator. Es gibt ein rechtsextremes Einstellungspotenzial« so Kurth (Spiegel-online vom 7.3.16). Und es gibt rechtsradikale Gewalt mit Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte fast täglich.
Eine Anfälligkeit für rechtspopulistische Einstellungen gibt es in ganz Hessen, was das Gesamtergebnis der AfD im ganzen Land (nach dem Trendergebnis 13,2%) deutlich macht. Zum einen kann man feststellen, dass es entlang des Gefälles zwischen Armut und Reichtum von Nord nach Süd eine Parallele zur Verteilung der Hochburgen des Rechtsextremismus mit ihren Schwerpunkten im nördlichen und mittleren Hessen gibt.
Zum anderen schreitet die soziale Spaltung auch in den Städten voran. Fehlende Wohnungen, Spekulanten und hohe Mieten verursachen bei immer breiteren Schichten das Gefühl, aus ihrer heimischen Umgebung verdrängt zu werden. Die Bildungsmisere, also marode und fehlende Schulen und Kitas und natürlich auch zu wenig LehrerInnen und ErzieherInnen, verschärft sich von Jahr zu Jahr. Sie führt insbesondere in Frankfurt inzwischen jährlich zu immer krasseren Verteilungskämpfen um fehlende Plätze in Schulen und Kitas innerhalb der städtischen Bevölkerung.
Die Kommunen können oft nicht energisch gegensteuern, weil ihnen wegen der vom Bund und vom Land Hessen praktizierten Sparpolitik (»schwarze Null«) nicht ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Die Einnahmen der Kommunen lassen sich allein durch Strafzettel und höhere Gebühren (Frankfurt weist bereits den teuersten Einzelfahrschein im öffentlichen Nahverkehr der Republik auf) oder Anheben der Gewerbesteuer nicht im nötigen Umfang erhöhen. Und sie vermögen schon gar nicht für Gerechtigkeit beim Wohnen und bei Bildung zu sorgen oder auch nur eine vernünftige Infrastruktur und Teilhabe aller an Kultur zu ermöglichen.
Das sich in der Bevölkerung ausbreitende Gefühl, mit Ängsten und Sorgen unverstanden zu bleiben, macht es der AfD leicht, die Asylfrage mit den wachsenden Existenzängsten zu verknüpfen, auch abseits der traditionellen ländlichen rechtsextremen Hochburgen in den Städten Ressentiments in der Bevölkerung gegen Flüchtlinge zu mobilisieren und damit neues Terrain zu erobern. Die AfD wird in der Landeshauptstadt Wiesbaden drittstärkste, in Darmstadt und Kassel viertstärkste Partei und verfehlt auch in Frankfurt nur knapp ein zweistelliges Ergebnis.
Auffallend ist, dass die Mischung aus pauschaler rechtsradikaler Polemik gegen die »etablierten« Parteien und gleichzeitiger Fokussierung auf ein akutes Thema – der Wohlstand werde durch die Kosten für Flüchtlinge leichtfertig aufs Spiel gesetzt – in einer der kaufkräftigsten Städte Deutschlands wie Wiesbaden verfängt. Dort wo besonders viele gut Situierte leben haben CDU und SPD ebenso wie landesweit deutlich Stimmen eingebüßt. Fast alle bisherigen Koalitionen in den Rathäusern unter Beteiligung von CDU oder SPD sind aufgrund des Stimmenanteils der AfD geplatzt.
Die Neigung, den Erfolg der AfD kleinzureden, finden wir nicht nur bei Bouffier. Auch ein Teil der Presse rechnet vor, dass bei einer Wahlbeteiligung von 48% das Ergebnis der AfD lediglich 6% der Wahlberechtigten, die unbelehrbar seien, entspreche – »eine kleine Minderheit« (Stern-online vom 7.3.16).
Die Wahlbeteiligung war mit 48% in der Tat wieder so gering wie vor fünf Jahren. In Frankfurt betrug sie sogar lediglich 37,3%, rund 5% weniger als 2011. Zu wenig wurde offensichtlich gegen die Politik- und Parteienverdrossenheit und für die Mobilisierung der Wahlberechtigten getan. Die AfD hat auch das mit ihrer Polemik gegen die »Etablierten« geschickt aufgegriffen. Dem SPD-Vorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel fällt zu der großen Zahl der NichtwählerInnen nichts weiter ein als die Forderung, das Wahlsystem müsse einfacher werden.
Die AfD war noch nie nur eine Ein-Thema-Partei. Sie warb in den Landkreisen auch für kommunale Themen und sprach sich gegen marode Schulen und den Abbau von Lehrerstellen aus. Ihr gelingt es aber vor allem sich mit einem Thema, das in den Vordergrund gestellt wird, als Alternative zur »etablierten« Politik darzustellen, mit dem sie besonders an die Ängste der BürgerInnen anknüpft und Vorurteile aktiviert. War das nach Gründung der AfD zunächst das Euro-Thema, hat sich der Fokus danach auf die Asylfrage und die damit verknüpfte wachsenden Angst der Bevölkerung vor »Überfremdung« und sozialen Nachteilen gerichtet. Den Hintergrund dazu bildet ein durchgängiges rechtskonservatives bis rechtsradikales Gedankengut der AfD.
Das Spektrum der letztlich Hass in unserer Gesellschaft erzeugenden Bilder und die dazu passende Polemik reicht von der Ablehnung sämtlicher »schädlichen, teuren, steuerfinanzierten Gesellschaftsexperimente, die der Abschaffung der natürlichen Geschlechterordnung dienen«, d.h. Ablehnung der Selbstbestimmung und Gleichberechtigung der Frau, die Ablehnung des gesetzlichen Mindestlohns bis zur Befürwortung eines Steuermodells zugunsten der Reichen mit einem Einheitssatz von 25% für alle.
Bekannt ist auch die Empfehlung aus den Reihen der AfD, die deutsche Grenze mit Schusswaffengebrauch vor Flüchtlingen zu schützen. Grundgesetz und Genfer Flüchtlingskonvention sind ihr dabei fremd. Verharmlosung der Zeit des Nationalsozialismus als »Unglücksjahre«, Einflussnahme auf die Schulpläne sowie »identitätsstiftende Kulturpflege« gehören zum Programm (dazu ausführlich mit dem Versuch der Einordnung auf dem blog.campact Was die AfD wirklich will).
Aus dem Wahlerfolg der AfD lernen heißt: Es gilt sich einerseits detailliert mit den rechtskonservativen bis rechtsextremen Positionen der AfD auseinanderzusetzen. Zum anderen muss den Menschen wieder das Gefühl gegeben werden, dass Kommunalpolitik sich ihrer Sorgen um steigende Mieten und fehlende Schulen annimmt und eine Perspektive der sozialen und kulturellen Teilhabe eröffnet.
Nicht zuletzt stand bei den Kommunalwahlen in Hessen die neoliberale Kürzungspolitik von Bund und Land Hessen auf dem Prüfstand. Sie ist in einem so reichen Land wie Deutschland für die Misere in den finanziell überforderten Kommunen verantwortlich und letztlich auch dafür, dass dort der Nährboden für rechtsradikales Gedankengut wächst. Die Quittung wurde Bouffier & Co. ausgestellt. In Frankfurt wurde Schwarz-Grün abgewählt.
Schließlich geht von der hessischen Kommunalwahl ein deutliches Zeichen aus, was bei den Landtagswahlen in Baden Württemberg, Rheinland Pfalz und Sachsen-Anhalt zu erwarten ist: die endgültige Etablierung des Rechtspopulismus als gewichtiger politischer Faktor auch in Deutschland mit den entsprechenden Folgen für das politische System.
[1] Zum Siegeszug der AfD und den Hintergründen: Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Aufstieg der Afd; www.sozialismus.de/kommentare_analysen/detail/artikel/aufstieg-der-afd/.
Peter Stahn, sozialismus, 9.3.16