Ausgleichsflächen nur auf dem Papier?
„Da haben wir offenbar in ein Wespennest gestochen“, schreibt Reinhard Hamel als Fraktionsvorsitzender der Gießener Kreistags-Linken in einer Presseerklärung. Hamel spricht damit die Anfrage seiner Fraktion an den Kreisausschuss zur Umsetzung von Ausgleichsflächen an. „Es gibt die gesetzliche Verpflichtung, dass Kommunen bei der Auflage eines neuen Baugebietes als Ausgleichsmaßnahmen naturnahe Flächen anlegen müssen. Für die Schaffung solcher Areale erhalten Gemeinden sogenannte Ökopunkte gutgeschrieben. Sie können diese als Ausgleich für Baugebiete verwenden oder auch verkaufen. Preise für einen Punkt schwanken in der Regel zwischen 40 und 70 Cent.“ Trotz des Kaufes von Ökopunkten oder Ausgleichsflächen in anderen Landkreisen der Regionen sei es wahrscheinlich, dass bei anhaltend zunehmendem Flächenverbrauch eine Grenze denkbar ist, die Kompensationsmaßnahmen nicht mehr möglich machen. Denn Boden stellte als solcher ein endliches Gut dar.
Die Fraktion wollte in ihrer Anfrage vom Kreisausschuss wissen, ob es eine Übersicht oder eine Einschätzung darüber gibt, in welchem Umfang die beschlossenen und gültigen Ausgleichmaßnahmen in den Kommunen auch wirklich realisiert worden sind? Dazu habe die Erste Kreisbeigeordnete Dr. Christiane Schmahl mitgeteilt, dass „in nahezu allen Kommunen des Landkreises“ Umsetzungsdefizite vorhanden seien. „Viele Kommunen sind zwischenzeitlich damit befasst, diese Mängel aufzuarbeiten, nachdem sie durch die UNB – Untere Naturschutzbehörde – auf sie aufmerksam gemacht wurden“, so in dem Antwortschreiben. Dies bekräftige die Ansicht seiner Fraktion, so Hamel, dass zahlreiche Ausgleichsflächen nie entstanden seien, die Mehrzahl eher schlecht als recht umgesetzt worden sei. „Und am Ende gibt es immer einen klaren Verlierer: die Natur.“ Manch eine Gemeinde hätte zwar Rücklagen – bis zu einer Viertelmillion Euro – dafür in ihren Haushalten gebildet, doch nutzten diese gehorteten Gelder nicht unserem Ökosystem. Nun solle die Aufarbeitung der alten Bebauungspläne und der darin festgesetzten Ausgleichsmaßnahmen entweder durch die Landschaftspflegevereinigung (LPV) für ihre Mitgliedskommunen oder durch externe Büros erfolgen und die Festsetzungen auf ihren Umsetzungsstatus und ihre Sinnhaftigkeit hin geprüft werden. Oftmals könnten, so Schmahl, die Festsetzungen, so wie ursprünglich beschrieben, nicht mehr realisiert werden, da beispielsweise die Flächenverfügbarkeit nicht mehr gegeben sei. In solchen Fällen würde der Ausgleich an anderer Stelle vorgesehen. „Weitere sechs Jahre lang wird den Kommunen dann wiederum Zeit gegeben, ihre Defizite abzuarbeiten,“ zeigt sich Hamel über die zeitliche Verschleppung alles andere als erfreut, zumal die Durchsetzung der vereinbarten Maßnahmen anscheinend schlecht zu überprüfen sei. Denn: „Allerdings ist durch die Vielzahl der Bebauungspläne (circa 1500) eine Kontrolle nur sehr eingeschränkt möglich“, hatte die Kreisverwaltung der Fraktion mitgeteilt. Der Landkreis bemängele für das gesamte Verfahren zur Überprüfung von Ausgleichmaßnahmen keine hinreichend rechtliche Regelung, sehe vielmehr einen notwendigen Handlungsbedarf des Bundesgesetzgebers. Auch sieht der Fraktionsvorsitzende kritisch, dass zahlreiche Ausgleichsmaßnahmen sowohl innerhalb der Städte und Kommunen, aber auch mit der Kreisverwaltung nicht immer koordiniert würden, um ihre potenziell mögliche positive Wirkung im Sinne des Biotopverbundes zu entfalten. Bericht Umsetzung von Ausgleichsmaßnahmen im Landkreis Gießen