Befristete Beschäftigung auf Rekordstand
Ein sozialdemokratisches Kernanliegen bei der erneuten Bildung einer neuen »großen« Koalition aus CDU/CSU und SPD war die Reform der Rahmenbedingungen für befristete Beschäftigung. Digitalisierung, Globalisierung, weltweiter Wettbewerb: Die Arbeitswelt wird immer ungerechter.
Ein Thema in diesem Dickicht einer ungerechten Arbeitswelt ist die Befristung ohne sachlichen Grund. Zu prekären Arbeitsverhältnissen zählen außerdem Menschen, die im Niedriglohnsektor tätig sind, einen Minijob haben, unfreiwillig Teilzeit arbeiten oder einen Werk- oder Zeitvertrag erhalten. Insgesamt hat sich der Anteil der prekären Beschäftigungsverhältnisse seit den 1990er Jahren mehr als verdoppelt. Bald schon könnte eine unbefristete Vollzeitstelle kein Normalarbeitsverhältnis mehr sein. Die SPD, getrieben von der Erneuerungspanik, will in diesem arbeitspolitischen Dickicht aufräumen. Weil alles nicht überstürzt gehen soll, steht die Begrenzung der Befristung im Vordergrund. Der Koalitionsvertrag sieht dazu Maßnahmen zur Begrenzung der sachgrundlosen Befristung und der Eindämmung von Kettenverträgen vor.
Wer ist davon betroffen?
Nach einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)[1] ist die Zahl der befristeten Arbeitsverträge von 2016 bis 2017 um knapp 300.000 von 2,886 auf 3,154 Mio. gestiegen. Auch der Befristungsanteil hat um 0,5% von 7,8 auf 8,3% zugelegt. Damit erreicht der Anteil der Befristungen an den Beschäftigten nach einer längeren Periode der Stagnation zwischen 2011 und 2016 einen neuen Höchststand.
Ein Höchststand zeigt sich auch bei den Übernahmen: Gut 42% der Vertragsänderungen im ersten Halbjahr 2017 beruhen auf Entfristungen. Im Krisenjahr 2009 – dem ersten Jahr, für das vollständige Daten vorliegen – lag dieser Wert noch bei knapp 30%. Die Übernahmechancen haben sich also seitdem sukzessive und deutlich verbessert. Der Anteil befristeter Verträge an allen Einstellungen hat sich hingegen seit 2004 kaum verändert. Befristete Verträge sind also mit 43,5% bei den Neueinstellungen ein relevantes Rekrutierungsinstrument, aber immer seltener ein Instrument zur Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen.
Die Verteilung der befristeten Beschäftigungsverhältnisse auf die Wirtschaftszweige in Deutschland zeigt, dass ein Viertel aller befristeten Arbeitsverträge (24,6 %) in den unternehmensnahen Dienstleistungen abgeschlossen wird, gefolgt vom Gesundheits- und Sozialwesen (16,4 %), Erziehung und Unterricht (9,1 %), dem Einzelhandel (6,4 %) und dem Gastgewerbe (6,0 %). Die wenigsten Befristungen mit jeweils unter einem Prozent aller Befristungen finden sich im Bergbau, dem Finanz- und Versicherungsgewerbe oder der Verbrauchsgüterindustrie.
Innerhalb der Branchen finden sich Befristungen insbesondere im Bereich Erziehung und Unterricht (19,5%), in Organisationen ohne Erwerbszweck (18,0) sowie den unternehmensnahen Dienstleistungen (13,2%). In der sektoralen Betrachtung hat die Befristung vor allem im sogenannten gemeinnützigen Dritten Sektor mit einem Anteil von 15,5% an allen Beschäftigungsverhältnissen eine besondere Bedeutung. Dazu zählen Einrichtungen jenseits von Markt und Staat, wie etwa die Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Interessenverbände etc. Die Privatwirtschaft (Anteil Befristungen: 7,1%) nutzt befristete Arbeitsverträge im Vergleich zum gemeinnützigen und öffentlichen Sektor (Anteil Befristungen: 9,5%) unterproportional. Gleichwohl entfallen 70,4% aller befristeten Verträge auf die Privatwirtschaft.
Sachgrundlose Befristung
Von allen befristeten Arbeitsverhältnissen waren 2017 fast 1,6 Mio. Verträge nach betrieblichen Angaben sachgrundlos befristet, somit also etwa jeder zweite befristete Arbeitsvertrag – 2001 lag der Anteil der sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisse an allen Befristungen noch bei lediglich 9,5%. Als Befristung ohne sachlichen Grund gilt jedes Arbeitsverhältnis, das ohne triftigen Grund nur auf Zeit geschlossen wurde, beispielsweise weil ein Arbeitnehmer*in eine Mutter oder einen Vater vertritt, der gerade in Elternzeit ist.
Begrenzte Wirkung auf prekäre Beschäftigung
Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen ist eines der Kernanliegen der SPD in den Koalitionsverhandlungen. Herausgekommen ist jetzt eine Verkürzung der zulässigen Laufzeit für befristete Arbeitsverträge. »Wir wollen den Missbrauch bei den Befristungen abschaffen. Deshalb dürfen Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen. Bei Überschreiten dieser Quote gilt jedes weitere sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis als unbefristet zustande gekommen. Die Quote ist jeweils auf den Zeitpunkt der letzten Einstellung ohne Sachgrund zu beziehen.
Die Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist nur noch für die Dauer von 18 statt bislang von 24 Monaten zulässig, bis zu dieser Gesamtdauer ist auch nur noch eine einmalige statt einer dreimaligen Verlängerung möglich.«
Zudem haben die Koalitionäre auch eine gewisse Begrenzung für sogenannte Kettenbefristungen verabredet, wie sie vor allem der öffentliche Dienst mithilfe der anerkannten Sachgründe nutzt: Länger als fünf Jahre am Stück sollen Arbeitnehmer*innen künftig in keinem Fall mehr beim selben Arbeitgeber befristet angestellt werden dürfen.
Diese Eingrenzungen der Möglichkeiten der Befristung von Arbeitsverträgen bedeutet sicherlich eine Verbesserung gegenüber dem Status quo. Die Reichweite der geplanten Reform könne allerdings laut IAB nur bedingt eingeschätzt werden. In einer Minimalvariante betrifft die Reform demnach etwa 360.000 sachgrundlos befristet Beschäftigte. In der Maximalvariante, in der jeder Betrieb die 2,5-Prozent-Quote erfüllt, wären etwa 840.000 befristet Beschäftigte betroffen. Der Anteil sachgrundloser Befristungen an allen Beschäftigten, der im Jahr 2017 bei 4,3% lag, würde sich in der kleinen Variante auf 3,3%, in der Maximalvariante auf 2% reduzieren. Ebenso könne derzeit nicht abgeschätzt werden, wie viele Arbeitnehmer*innen von einer Begrenzung der Befristungsdauer auf fünf Jahre betroffen seien.
Zudem besteht dringender Reformbedarf auch bei den Befristungen mit Sachgrund. So fordern die Gewerkschaften u.a. zu Recht, dass befristet Beschäftigte ein Anrecht darauf haben sollten, bevorzugt bei der Besetzung neuer Arbeitsplätze berücksichtigt zu werden. Außerdem fordern sie die Aufhebung des Sachgrunds »Befristung wegen befristeter Haushaltsmittel« im öffentlichen Dienst. Für eine solche Bevorzugung des öffentlichen Dienstes gibt es keinerlei Notwendigkeit. Die Regelung ist missbrauchsanfällig, weil durch die Jährlichkeit der Haushalte immer wieder neue Befristungsgründe geschaffen werden können.
Zudem zeigt sich am Beispiel der Reform der Befristung von Arbeitsverträgen, dass durch eine punktuelle Arbeitsmarktreform die prekäre Beschäftigung nicht nachhaltig einzudämmen ist. »Die Begrenzung der sachgrundlosen Befristung bei fortbestehender Rechtsunsicherheit bei Befristungen mit Sachgrund könnte dazu führen, dass Arbeitgeber verstärkt auf andere Beschäftigungsformen wie Zeitarbeit oder Werk- und Dienstverträge ausweichen oder sich mit Einstellungen zurückhalten«, heißt es in der IAB-Studie.
Erforderlich wäre deshalb ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um den Sektor der prekären Beschäftigung einzudämmen. Dazu gehören u.a. die Begrenzung von Leiharbeit, die Regulierung von Werk- und Dienstverträgen, die Abschaffung der Minijobs und die Stärkung der Tarifmacht der Gewerkschaften, z.B. durch Ausdehnung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen.
Mit den Reglungen zur befristeten Beschäftigung ist daher nur ein eher bescheidener Beitrag zur Eindämmung der Prekarisierung der Lohnarbeit gelungen. Dies umso mehr als gleichzeitig andere Formen prekärer Beschäftigung noch zusätzlich unterstützt werden. So wollen CDU/CSU und SPD »Geringverdienerinnen und Geringverdiener (…) bei Sozialbeiträgen entlasten (Ausweitung Midi-Jobs). Dabei wird sichergestellt, dass die geringeren Rentenversicherungsbeiträge nicht zu geringeren Rentenleistungen im Alter führen.«
Diese Reform soll nicht gering geschätzt werden. Aber richtig verstanden haben können die Koalitionäre nicht, dass die Arbeitsverhältnisse in der Berliner Republik bei vielen Lohnabhängigen nicht den Eindruck entstehen lassen, dass dies ein Land ist, in dem es sich gut arbeiten und leben lässt. Mehr als 50% der Befristungen erfolgt ohne sachlichen Grund. Viele Arbeitgeber nutzen die bestehenden gesetzlichen Regelungen, obwohl es keinen betrieblichen Anlass gibt. Der DGB resümiert deshalb: »Arbeitsmarktpolitisch gibt es keine Notwendigkeit für die sachgrundlose Befristung, aber immer öfter wird dieses Instrument als verlängerte Probezeit missbraucht. Es ist Zeit, dass der Gesetzgeber handelt. Die Möglichkeit der Befristung ohne sachlichen Grund muss beendet werden.«
[1] Christian Hohendanner (2018): Reform der befristeten Beschäftigung im Koalitionsvertrag: Reichweite, Risiken und Alternativen. IAB-Kurzbericht 16/2018.