Das Comeback der Linkspartei

Während die Linkspartei noch in der zweiten Januarhälfte bei Umfragen zwischen 3% und 4% lag, erreichte sie im Endergebnis der Bundestagswahl 8,8% – ein Aufstieg wie Phönix aus der Asche.
Denn der lange infrage stehende Wiedereinzug mit 64 Abgeordneten in den Bundestag ist erfolgreich erkämpft worden, was zugleich eine relevante Verschiebung in den politischen Kräfteverhältnissen sichtbar macht. Parallel dazu verliert das von der früheren Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht im Herbst 2024 gegründete BSW gegenüber den Umfragehoch an Zustimmung und wird mit 4,9% nicht mehr im Parlament vertreten sein. Das Gleiche gilt für die FDP mit erzielten 4,3%. Beide Parteien stehen vor der Existenzfrage.
Das politische Gewicht dieser Wahl wird an der gestiegenen Beteiligung deutlich: 82,5% der Wahlberichtigten gaben ihre Stimme ab, 2021 waren es 76,4%. Die Union aus CDU und CSU gewinnt leicht hinzu und kommt auf knapp 29%. Sie sind mit einem umfassenden Krisendiskurs stärkste Kraft geworden.
Auf den ersten Blick ist das Wahlergebnis mit insgesamt 208 Abgeordneten ein Triumph für die Union, ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz ist es gelungen, die zerrüttete Partei nach der Bundestagswahl 2021 wieder zu einen. Doch die Ernüchterung dürfte im Konrad-Adenauer-Haus bald folgen. Denn das einzige verbliebene Schwergewicht der bürgerlichen Parteien hat es nicht geschafft, mehr als 30% der Wähler*innenstimmen auf sich zu vereinen, stattdessen nach 2021 das zweitschlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit eingefahren.
Die Union wertet das dennoch als Regierungsauftrag und wird die Position des Kanzlers beanspruchen, ist aber auf einen Koalitionspartner angewiesen. Merz kündigt erneut an, dass es keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD geben werde, vermeidet jedoch trotz mehrfacher Aufforderung die Formulierung: »Ich werde mich von der AfD nicht zum Kanzler wählen lassen.«
Die Partei rechts von CDU und CSU erzielte den größten Zugewinn und wird mit 152 Mandaten in den nächsten Bundestag einziehen. Die AfD hat mit einem radikal rechten Diskurs die Union ausgebremst. Drei Viertel der Deutschen wünschen sich laut aktuellen Umfragen der ARD weniger Asylmigrant*innen, mehr als die Hälfte hält sogar Zurückweisungen an den Außengrenzen für richtig. Die AfD, von vielen noch immer als vorübergehendes Protestphänomen abgetan, schafft mit 20,8% eine Verdopplung ihrer Wählerzustimmung. »Wir werden die anderen jagen, dass sie vernünftige Politik für unser Land machen«, verkündete die Parteichefin Alice Weidel, und der Triumph in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Als Regierungspartner dürfte die AfD dennoch nicht in Frage kommen.
Sozialdemokratie im Zwiespalt
Die SPD verliert stark und hat mit 16,4% nicht nur das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsrepublik erreicht, sondern ihrer Geschichte überhaupt. Angesichts dieses katastrophalen Resultats ist eine erneute Regierungsbeteiligung der Sozialdemokratie ungewiss. Die SPD hat bereits begonnen, ihr Führungspersonal umzubauen und mit der Nominierung von Lars Klingbeil als zukünftigem Fraktionsvorsitzenden anstelle von Rolf Mützenich eine Voraussetzung geschaffen, als Juniorpartner für eine Koalition mit der christlich-konservativen Union zu fungieren – eine erneute »große Koalition«, die allerdings diesmal deutlich kleiner ist und wenig politische Stabilität hätte.
Olaf Scholz erklärt vor dem Hintergrund der historischen Wahlniederlage: So wie er die Verantwortung für das gute Wahlergebnis 2021 getragen habe, trage er nun die Verantwortung für das schlechte. Nicht einmal unter Martin Schulz, der 2017 noch 20,5% geholt hatte, fuhr die SPD ein schlechteres Ergebnis ein. Gleichwohl müht sich die Parteiführung, zumindest am Wahlabend nicht den Stab über den Kanzler zu brechen. Er habe »gekämpft wie ein Löwe«, lobte die Co-Vorsitzende Saskia Esken den Ex-Kanzler. Aber natürlich gibt es bereits jetzt Stimmen, mit Boris Pistorius als Kanzlerkandidaten hätte die SPD ein besseres Ergebnis eingefahren. Dieser dürfte vermutlich in einer schwarz-roten Koalitionsregierung den führenden Part der Sozialdemokratie übernehmen.
Nach dem fulminanten Wahlsieg von Scholz 2021 hatte Parteichef Klingbeil noch ein »sozialdemokratisches Jahrzehnt« ausgerufen. Nur dreieinhalb Jahre später steht die SPD vor einem Scherbenhaufen und der Herausforderung, wie sie ihre politische Zukunft gestaltet, wie Klingbeil jetzt klar geworden ist: »Dieses Ergebnis ist eine Zäsur. Dieses Ergebnis wird Umbrüche erfordern in der SPD.« Die SPD müsse sich »organisatorisch, programmatisch und ja, auch personell anders aufstellen […] Der Generationswechsel in der SPD muss eingeleitet werden. Wir wollen den Wiederaufbau der SPD als Volkspartei der linken Mitte. Dafür treten wir an.«
Der Wiederaufbau als Volkspartei der linken Mitte wird schon deshalb eine schwierige Wegstrecke, weil die SPD mit dem Spagat von Koalitionspartei und eigenständiger Erneuerung umgehen muss. Einst verstand es gerade die Sozialdemokratie wie kaum eine andere politische Kraft, ihr Handeln in einen großen Sinnzusammenhang der Zivilisierung und Modernisierung des Kapitalismus zu stellen. Gegenwärtig ist sie sprachlos geworden. Ganz offensichtlich hat sie das verloren, was sie einst ausmachte: ihre große Erzählung. Schon in den 1950er-Jahren stellte Hannah Arendt fest, dass eine kollektive Politik ohne Erzählung faktisch unmöglich sei. Nur wer eine zukünftige, eine bessere Gesellschaft entwickele und erzähle, sei in der Lage, einen politischen Wandel zu organisieren und als demokratische Alternative Legitimation zu erfahren.
Ergebnis der Grünen
Die Grünen verlieren 3,1% und kommen auf 11,6%. Auch abgesehen vom Veto der CSU gegen eine weitere Regierungsbeteiligung reichen die 85 Mandate der Grünen nicht für eine stabile bürgerliche Regierung. Spitzenkandidat Robert Habeck betont wohl überflüssigerweise: Eine rot-rot-grüne Koalition würde er »natürlich nicht« ausschließen, es gäbe zudem große Ähnlichkeit mit den Interessen der Linken. Der Unterschied sei allerdings, dass die Grünen als Teil der rot-grünen Minderheitsregierung keinen scharfen Oppositionskurs hätte fahren können. »Die Linke sagt, nie reden wir mit der Union. Und das verbietet sich aus meiner Sicht für uns«, er freue sich aber »im gewissen Sinne, dass die Linke im Bundestag dabei ist. […] Ich halte das für wichtig, aber da kann man nicht stehen bleiben.« Verantwortlich für die aktuell angestiegenen Ergebnisse der Linken sei ausgerechnet Unions-Kanzlerkandidat Merz. Er sei dafür verantwortlich, »dass die Linke jetzt wächst«.
Erneuerung der Linkspartei nach Absturz
Aber egal ob der Kanzlerkandidat Merz für den Aufstieg der Linken verantwortlich zu machen ist, Fakt bleibt: Gegenüber der bisherigen Erfolgsgeschichte des BSW hat der Aufstieg der Linkspartei einen zentralen Grund: Die Linke bleibt bei ihren Wurzeln. »Wir wollen den demokratischen Sozialismus«, steht im Programm. Anstatt wie das BSW vorrangig bei dem abstrakten Thema »Krieg oder Frieden« hängen zu bleiben, konzentrierte sich die Linkspartei auf die Kritik der Kapitalismus im Alltag. Mehr Umverteilung des Reichtums sei geboten, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gehörten »untrennbar zusammen«, die Naturzerstörung werde »in Deutschland und global zur Klassenfrage«. Ein Klima- und Transformationsfonds (KTF) soll mit jährlich 65 Mrd. Euro ausgestattet und für den Umbau der Wirtschaft eingesetzt werden.
Die Partei geht politisch geeint mit ihrem sozialistischen Reformprogramm und neuer Führung in die Offensive – nicht nur im Haustürwahlkampf, sondern auch auf den Social Media-Kanälen. Mit Clips zu Parteipolitik, Mitschnitten von Reden und humorvollen Einlagen zeigt sie sich nahbar. Nicht nur die Bundesvorsitzenden Jan van Aken, Ines Schwerdtner und die Gruppenvorsitzende Heidi Reichinnek setzen einen neuen Ton in der Kapitalismuskritik.
Lange galt Die Linke als abgeschrieben, zuletzt verzeichnete die Partei zahlreiche Neueintritte und volle Wahlkampfveranstaltungen. Woher kommt diese Begeisterung? Ihre Botschaft: Die Zeit des Streits ist vorbei, die Linke zog geeint in den Wahlkampf und kämpfte für politische Alternativen. Bei den 18- bis 29-Jährigen lag die Linke nach der Auswertung der Forschungsgruppe Wahlen bei der Bundestagswahl mit 24% deutlich vor der AfD. Bei einer nichtrepräsentativen U-18-Wahl in deren Vorfeld Bundestagswahl landete die Linke ebenfalls ganz vorn.
Die Linkspartei kämpfte ums Überleben und wollte als politischer Underdog für all diejenigen da sein, die sich von den anderen Parteien vergessen fühlen. Ihr Wahlprogramm setzt auf Umverteilung, Mietendeckel und Preissenkungen. Sie will die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und Hygieneprodukte streichen. Sie fordert die Einführung von Vermögenssteuern und eine Erhöhung des Mindestlohns. Sowohl für das Ausmaß an Ungleichheit und Armut als auch für die Absicherung von Risiken in kritischen Lebensphasen und wirtschaftlichen Krisen kommt den sozialstaatlichen Leistungen eine wichtige Rolle im Kampf gegen Ungerechtigkeit und Armut zu.
Im vorherrschenden politischen Diskurs wird behauptet, sozialstaatliche Leistungen und Umverteilung hätten überhandgenommen, die bürgerlichen Parteien operieren zudem mit der Unterstellung, der Wille zur wirtschaftlichen Leistung sei verblasst. Dieser Grundgedanke stößt vor allem bei jüngeren und wirtschaftlich benachteiligten Bürger*innen auf Unverständnis und Widerspruch. Werden vor allem Besserverdienende entlastet (wie etwa von der FDP, Union sowie der AfD gefordert), trägt dies eben nicht zu höheren Investitionen bei. Resultat ist vielmehr höhere Ungleichheit und Armut, während höhere Transferleistungen für Niedrigverdienende oder entsprechende Steuerentlastungen, wie sie bei der Linkspartei, teilweisen den Grünen und der SPD im Wahlprogramm stehen, den gegenteiligen Effekt hätten.
Für die erwähnten Ziele der Linken –Mietendeckel, Mehrwertsteuersenkung für Grundnahrungsmittel, Entlastung besonders niedriger Einkommen – sollen die Superreichen aufkommen. In der Sozialpolitik sollen neben der perspektivischen Erhöhung des Mindestlohns ab 2026 auf 16 Euro die Renten gesichert und das Bürgergeld zu einer »sanktionsfreien individuellen Mindestsicherung« umgebaut werden.
Keine andere Partei spricht so radikal von Umverteilung. Dies trifft die »Denke« vor allem der Jüngeren: Nach Parteiangaben sind seit Ende vergangenen Jahres ca. 25.000 neue Mitglieder in die Partei eingetreten. Die Linke hat nicht nur eine klare Sprache für die Verteilungsverhältnisse gefunden, sie hat auch eine Idee für die wirtschaftliche Erneuerung. Ein 200-Milliarden-Euro-Programm soll den sozialökologischen Industrieumbau vorantreiben. Daraus sollen unter anderem Standorte finanziert werden, die von der Automobilindustrie aufgegeben werden. Diese sollen unter Einbeziehung der Belegschaften »vergesellschaftet und für die Bedarfe eines kollektiven Verkehrssystems umgerüstet werden«.
»Die Leute laufen uns die Säle ein«, sagt der Bundestagsabgeordnete und Spitzenkandidat der sächsischen Linken, Sören Pellmann, über die Wahlkampfveranstaltungen seiner Partei. Für ihn ist die Aufholjagd der Linken auf drei Faktoren zurückzuführen: Zum einen auf die neue »Geschlossenheit« innerhalb der Partei, die ihre Grabenkämpfe hinter sich gelassen habe. Zum anderen auf den klaren Fokus auf sozialpolitische Themen. Und schließlich auch darauf, dass sie ihren Wähler*innen verspricht, sie werde Merz niemals zum Kanzler wählen, also klare Kante gegen rechts.
Auch Parteichef Jan van Aken sagt immer wieder, dass die Linke nicht »auf dem Rücken von Migrant*innen« Politik machen werde – eine klare Abgrenzung zum BSW. Die Linke stehe für eine »solidarische Einwanderungsgesellschaft«, so steht es im Programm. Alle Geflüchteten sollen »ab dem Tag ihrer Ankunft in Deutschland eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis erhalten. Niemand soll darauf warten müssen, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen.« Und er fügt hinzu: »Ich glaube, wir treffen gerade den Nerv, gerade bei den jungen Menschen, die sich wirklich alleine gelassen fühlen, die Angst haben und zwar aus unterschiedlichen Gründen.«
Die Diskursverschiebung im Parteiensystem nach rechts, die sich bis in die SPD und Bündnisgrünen hinein nachverfolgen lässt, hat Platz für eine radikal-progressive, letztlich sozialistische Politik geschaffen. Nun besteht die zentrale Aufgabe darin, diese politische Stimmung in eine bewusste Auffassung und organisatorische Parteistrukturen umzusetzen. Der in den Wahlergebnisse und den Mitgliederzuwächsen sichtbar gewordene Bruch mit dem bisherig verbreiteten Mehrheitsdiskurs kann in der Erneuerung der Partei aufgegriffen und fortgeführt werden.
Nicht zu unterschätzen ist die Gleichzeitigkeit von Diskursverschiebung in Absetzung von Rechts und dem aktuellen Zusammenbruch der bisherigen globalen westlichen Gewissheiten: Kaum ein Tag vergeht ohne eine neue Trump-Aufregung. Grönland, Kanada, Mexiko, Venezuela, Gaza, dazu die Demolierung der Entwicklungshilfe, Attacken auf die CIA, das dubiose Treiben von Elon Musk im Weißen Haus – die Welt gerät völlig aus den Angeln, und die bisherigen Repräsentant*innen haben keine Idee für eine Neuordnung.
Mit Unbehagen oder gar Bangen schauen die Politiker*innen der etablierten Parteien auf das langjährige Zentrum des westlichen Kapitalismus, von dem sie angesichts eines vermeintlich erneuerten russischen Imperialismus wieder abhängiger geworden sind wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Überall bange Fragen: Was plant Trump mit Russland und der Ukraine? Ist die NATO-Garantie noch etwas wert? Wohin steuert die amerikanische Weltpolitik insgesamt? Und vor allem: Was hat es auf sich mit den angedrohten Zöllen gegen die EU? Dieser Epochenbruch fordert das bisherige politische Denken und die daraus abgeleiteten Ziele heraus. Die Erneuerung der Partei Die Linke könnte ein wichtiger Faktor sein, dazu einen Beitrag zu liefern.
Eine erweiterte Fassung der Analyse des Wahlergebnisses und des Erneuerungsprozesses der Linkspartei erscheint in der Printausgabe 3-2025 von Sozialismus.de.