Löhne rauf - Waffen runter!

Am 14./15.Juni 2024 trafen sich im Stuttgarter Gewerkschaftshaus etwa 200 Kolleg*innen und bis zu 800 im Stream zugeschaltete Menschen zu einer Friedenskonferenz, die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kooperation mit ver.di-Stuttgart organisiert wurde. Es war die zweite Tagung dieser Art. Zuletzt organisierte die IG Metall Hanau und ...

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Gießener Linke fordert: Rhein-Main-Link als Freileitung

Der Bau, Betrieb und die Wartung von Offshore-Windkraftanlagen sind mit schädlichen Auswirkungen auf Meeressäuger, Vögel, Fische und die Lebensgemeinschaften am Meeresboden verbunden. Der Ausbau großer Offshore-Parks liegt v.a. im Interesse großer Konzerne, für die diese Projekte profitable Investitionen darstellen. Eine dezentrale Struktur der Windenergiegewinnung im ...

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Europawahl - Wahlaufruf des Kreisausländerbeirats

Aufruf zur Europawahl am 09. Juni 2024 Am 9. Juni 2024 ist es wieder soweit - alle EU-BürgerInnen haben die Möglichkeit, durch ihre Stimmabgabe an der Urne die Zukunft von Europa zu bestimmen. Diese Wahl ist eine ganz besondere - denn zum ersten Mal dürfen EU-BürgerInnen in Deutschland ab ...

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KI-Verordnung mit gewollten Lücken

Kritiker monieren, die in der vergangenen Woche verabschiedete KI-Verordnung der EU lasse Konzernen und Repressionsapparaten große Schlupflöcher, erlaube ortsbezogenes „Protective Policing“ und KI-gesteuerte Echtzeitüberwachung. Scharfe Kritik begleitet die Verabschiedung der neuen KI-Verordnung der Europäischen Union. Das Gesetzespaket ist vergangene Woche vom Rat der EU endgültig abgesegnet ...

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Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament: Asylpolitik wichtigstes Thema

Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament: Asylpolitik wichtigstes Thema

Vom 6. bis zum 9. Juni ist Europawahl, in Deutschland wird am 9. Juni gewählt. Rund 350 Millionen Bürger*innen in den 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) sind zur Stimmabgabe bei der zehnten Direktwahl des Europäischen Parlaments aufgerufen, in Deutschland rd. 65 Millionen. Fast alle ...

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Bezahlkarten für Asylsuchende - Nein!

Ohne irgendwelche Beweise vorlegen zu können, wird quer durch alle Parteien behauptet, Asylbewerberinnen bekämen zu viel Geld und könnten davon erhebliche Teile ausgeben, um Schlepper zu bezahlen oder an Angehörige in ihr Heimatland transferieren. Was sagen die Fakten? Die in diesem Zusammenhang maßgebenden Statistiken führt ...

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Wer ist „gut durch den Winter gekommen“?

Bruno Burger, verantwortlich für die Datenbank Energy Charts des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE, hat die Zahlen der drei Wintermonate ausgewertet. Sein Fazit: "Wir sind super durch den Winter gekommen. Es gab keine Stromknappheit. Die Abschaltung der Kernkraftwerke hat sich nicht negativ ausgewirkt auf die ...

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Jörg Peter Jatho: Unbekannte Fakten zum Nationalsozialismus an der Universität Gießen

Am 29. Mai 2018 hielt der Autor beim SDS einen Vortrag im Gießener DGB-Haus in der Walltorstraße. Hier kann der Text gelesen werden: Universitätsgeschichte Gießen

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Haushaltsrede der Fraktion GL im Kreistag

Als ich vor 13 Jahren hier im KT begann, belief sich das Defizit im ordentlichen Haushalt (HH) auf über 32 Mio. Euro. Es ging gleich los mit einer AG zur Erarbeitung eines HH-Sicherungskonzepts. Da lernte ich, dass es – auch Herr Ide hat das in ...

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Der Europastreit

neu

Die Konflikte um die Asylpolitik erschüttern die EU in existentieller Weise. Die akute Brutalisierung der europäischen Asylpolitik könnte das Projekt der europäischen Einigung dauerhaft entstellen

Welchen Effekt hat der bisherige Rechtsruck in den Mitgliedsstaaten der EU? Die deutsche Regierungskrise zeigt dies in erschreckender Weise auf. Wenngleich schnell gesehen wurde, dass hinter dem “Asylstreit” der Unionsparteien ein innerdeutscher Kampf um Europa steht, so muss mittlerweile von einem länderübergreifenden “Europastreit” gesprochen werden, dessen mögliche Konsequenzen noch nicht klar genug geworden sind.

Die europapolitische Wende der CSU

Man muss sich, zunächst rekapitulierend, das Ausmaß der bundes- und europapolitischen Intervention der CSU deutlich vor Augen führen: Gerade schien – nach einer gefühlten Ewigkeit – die deutsch-französische Reforminitiative zur Eurozone vorsichtig Fahrt aufzunehmen. Kanzlerin Merkel gab ihr nun fast schon vergessenes FAS-Interview und Außenminister Maas hielt eine kaum noch beachtete Grundsatzrede zur Zukunft der EU.

Kaum noch beachtet, denn schon einen Tag später setzte die CSU mit einer hochdramatisch inszenierten Unterbrechung einer Bundestagssitzung im Alleingang das Thema Asyl an die Spitze der europäischen Agenda. Und zwar in der Form, ein Ultimatum im Hinblick auf eine Neuausrichtung der europäischen Asylpolitik zu stellen, welches im Falle von (aus CSU Sicht) ergebnislosen europäischen Verhandlungen bei Verstreichen mit einem “nationalen Alleingang” quittiert werde. Wobei hier streng genommen ein regionaler Alleingang gemeint war, nämlich die Verschärfung von Grenzkontrollen an der bayerisch-österreichischen Grenze mit dem Ziel, europa- und völkerrechtlich zweifelhafte Zurückweisungen von Flüchtlingen vorzunehmen. Und das alles unter der Bereitschaft, die 70 Jahre alte Fraktionsgemeinschaft mit der CDU dauerhaft zu schädigen – was schon jetzt der Befund ist, selbst wenn sie nun doch zusammenbleiben. Man stelle sich kurz die EU-Berichterstattung am heutigen Tage in einer Parallelwelt vor, in der sich die CSU nicht so verhalten hätte, wie sie es tat. Der Kontrast ist atemberaubend. Es ist der Versuch eines Paradigmenwechsels in der deutschen Europapolitik, der allein mit Wahlkampftaktik in Bayern nicht zu erklären ist. Seehofer, Söder & Co würden einen derartigen Furor niemals entfesseln, wenn sie sich nicht einer wachsenden Unterstützung von rechten Regierungen sicher sein könnten und nicht ausreichend ideologische Schnittmengen mit diesen Regierungen hätten.

Es zeigt sich dieser Tage, auch an den Verlautbarungen der FDP, dass eine dezidiert proeuropäische Politik – also eine, die die Kompetenz zur Lösungsfindung von transnationalen Problemen, von der Migration bis zu den Finanzen, auf EU-Ebene sieht – in Deutschland auch jenseits der AfD keine mehrheitsfähige Position mehr ist. Auch wenn man bei Linken und FDP seit geraumer Zeit ein Fragezeichen dahinter setzen musste – diese beiden Parteien haben derzeit keine Regierungsverantwortung.

Zudem sollte man sich vergegenwärtigen, welche Aspekte dieser Regierungskrise in den meisten öffentlichen Debattenbeiträgen den Status einer Fußnote erhält: Dass der vorgeblich sachliche Grund des Streits in einer einzigen asylpolitischen Maßnahme des 63-Punkte-“Masterplans” von Innenminister Seehofer liegt? Dass diese eine Maßnahme zum Anlass eines politischen Manövers wird, das den eben erst unterschriebenen und vom selben Minister in höchsten Tönen gelobten Koalitionsvertrag vollkommen entwertet? Dass dieser “Masterplan” eine Regierungskrise auslöst, aber der Öffentlichkeit und selbst den streitenden Fraktionen lange völlig unbekannt ist? Dass die Flüchtlingszahlen im letzten Jahr und voraussichtlich in diesem Jahr unterhalb der von der CSU so hartnäckig erkämpften flexiblen Obergrenze von 180.000-220.000 Personen liegen? Alles nebensächlich.

Neben der ohne Not forcierten deutschen Regierungskrise ist beunruhigend, dass sowohl das Timing als auch die tieferen Gründe nur aus einem neuen europapolitischen Weg verständlich werden. Denn hinter den beständigen Attacken auf Merkels Mantra, dass es eine europäische Lösung in der Asylfrage geben müsse, stecken Grundfragen zur politischen Gestalt des europäischen Kontinents: Die Frage offener Grenzen innerhalb der EU ist dabei ebenso empfindlich berührt wie die Frage, ob nationale Alleingänge oder bilaterale Verträge sich schleichend zum neuen Standard politischer Entscheidungsfindung innerhalb der EU entwickeln.

Eine weitgehende Abschaffung des Schengenraums würde das über Jahrzehnte gewachsene Europa der offenen Grenzen ebenso grundsätzlich verändern wie eine zunehmende Verlagerung politischer Entscheidungen in zwischenstaatliche Sphären jenseits der europäischen Institutionen.

Schaut man auf den Verlauf der vermeintlichen “Mutter aller Gipfel”, so offenbart sich der modus operandi der nationalistischen Regierungen von Ungarn über Österreich bis Italien einer selbsterfüllenden Prophezeiung: Nationalisten gehen ihre nationalen Wege, weswegen auf europäischer Ebene nichts zustande kommt, woraufhin die Nationalisten wieder sagen: “Wir müssen unsere eigenen Wege gehen, die EU bekommt nichts zustande.”

Die Tatsache, dass es in vielen Fragen derzeit keine europäische Lösung gibt, ist im Vergleich zu den Vorjahren nicht mehr ein Verschulden von Regierungen, die sich im Kleinklein verlieren, sich mit Schuldzuweisungen lähmen, heuchlerisches Brüssel-Bashing betreiben oder wegen ihren nationalen Eigeninteressen das europäische Ziel aus den Augen verlieren.

Das alles war bislang ärgerlich genug. Jedoch hat man es jetzt mit einer Reihe von Regierungen zu tun, deren Ziel das Nationale ist. Es formiert sich eine Allianz aus nationalistischen Kräften, die mittlerweile stark genug ist, um von einem Tag zum anderen den letzten denkbaren Reformmotor der EU – “Merkron”, erinnert sich jemand? – lahmzulegen, weil jene gewachsene Allianz mit der CSU einen Ansprechpartner innerhalb der Bundesregierung gefunden hat.

Der Job dieser Regierungen ist das genaue Gegenteil der Erarbeitung europäischer Lösungen, da sie als Nationalisten durch deren Verhinderung die politischen Institutionen Europas schwächen – was genau das ist, wofür sie bei Wahlen antreten. Das gilt von jeher für Orbán, aber es gilt ebenso für neuere Gesichter wie Kurz und Salvini und seit zwei Wochen in aller Deutlichkeit eben auch für die AfD-getriebenen Söders in Deutschland. Ist es Zufall, dass zum Treffen der europäischen Innenminister Anfang Juni, als es um den Kompromissvorschlag der bulgarischen Ratspräsidentschaft zur Reform des Dublin-Systems ging, Seehofer als auch Salvini gar nicht erst gekommen sind? Der Kompromissvorschlag war tot, bevor überhaupt verhandelt wurde. Es wäre übrigens das erste Ratstreffen für den neuen Innenminister Seehofer überhaupt gewesen. Eine verpasste Chance, Europa wachzuküssen, sieht er vermutlich nicht darin. Zugleich stellt sich die Frage, was denn die Alternative zum ewigen Weiterverhandeln der Kanzlerin ist. Bisher kann man nur feststellen, dass die nationalen Wege keine Lösung sind, sondern sich gegenseitig widersprechen: Seehofer will Zurückweisungen an den Grenzen – wobei die darauf hinauslaufen würden, Flüchtlinge in die Hauptankunftsländer wie Italien zurückzuschicken, was deren Regierungen aber ablehnen, denn “Italien hilft nur noch den Italienern” (Salvini).

Die geschichtsvergessen proklamierte “Achse der Willigen” (Kurz) hat keine gemeinsame Strategie, geschweige denn eine kohärente Alternative zu bieten, sondern droht lieber einander. Über den asylpolitischen Status Quo hat man sich auch auf diesem EU-Gipfel letztlich nicht hinausbewegen können: Sichere Außengrenzen wollen seit 2015 alle Regierungen, aber keine will dafür zahlen oder Kompetenzen nach Brüssel angeben. Beides ist aber notwendig, sonst gibt es keine “gemeinsame Außengrenze”, sondern nur eine Summe von nationalen Grenzen.

Zwar sind sich seit Jahren alle Regierungen einig, dass das Dublin-III-System reformiert werden muss, aber auch dafür gibt es nach wie vor keine keine mehrheitsfähige Alternative (siehe die fortlaufend scheiternden Vorschläge der EU-Ratspräsidentschaften).

Hierin liegt übrigens der legitime Kritikpunkt der CSU: Dass nämlich Angela Merkel verspricht, etwas zu liefern, wo auf absehbare Zeit nichts zu liefern ist. Das auf aggressive Weise herauszustellen, indem die vorgebliche “Schwesterpartei” die Kanzlerin nun von Gipfel zu Gipfel scheuchte und öffentlich vorführte, mag respektlos sein, es verweist aber auf ein elementares und ungelöstes Problem.

Nur: Wer in Ermangelung einer EU-weiten Übereinkunft unmittelbar auf nationale Alleingänge und bilaterale Verträge umstellt, der zeigt, dass der Satz vom Ende des Multilateralismus kein Versehen war, sondern tatsächlich als neues politisches Leitprinzip zu verstehen ist. Ein Vergleich mit der Eurokrise mag das verdeutlichen: Zwischenstaatliche Verträge innerhalb der EU gab es in diesem Kontext mehrfach (EFSF und EFSM 2010, ESM und “Sixpack” 2011). Das ist Multilateralismus, kein transnationaler nach EU-Recht, aber immerhin. Ob er erfolgreich in Bezug auf seine Ziele war, kann man hier zunächst offenlassen: Entscheidend ist, dass in diesen Verhandlungen noch das ernsthafte politische Bemühen erkennbar war, alle relevanten Regierung auf einen Nenner zu bringen.

Im Falle der Flüchtlingskrise gibt es aber keine a priori bestimmte Interessengemeinschaft, wie die Länder der Eurozone, die irgendwie, aber vor allem schnell dafür Sorge tragen mussten, dass ihnen die fragile Währungsgemeinschaft nicht um die Ohren fliegt. Die viel diffusere Lage im Falle der Migrations- und Asylpolitik trifft nun auf den mangelnden Willen, solche möglichst viele Länder umfassenden zwischenstaatlichen Verträge im Bereich der Asylpolitik überhaupt anzustreben. Das führt momentan zu zwei Phänomenen: Erstens zu einer drohenden Kaskade von Asylabkommen, wie dem zwischen Paris und Rom oder dem zwischen Berlin, Athen und Madrid.

Wohin soll das führen? Hier ist eine Hypertrophie zu befürchten, denn schließlich müssten allein Frankreich und Deutschland als Hauptzielländer der Migrationsströme jeweils mit den Hauptankunftsländern Italien, Griechenland und auch Spanien derartige Abkommen schließen. Aber müsste das nicht auch Österreich tun? Und Schweden? Solche Abkommen sind offenkundig wenig mehr als opportunistisches Instrument, um in einer zugespitzten Kontroverse rhetorisch aufgerissene Löcher publikumswirksam zu stopfen. Blöderweise springen die weiterhin bestehenden Löcher dann umso deutlicher ins Auge.

Das zweite Phänomen ist eine akute Brutalisierung der europäischen Asylpolitik. Wenn die nationalistischen Regierungen entweder keine länderübergreifende Einigung in ihrem Sinne erreichen (oder das zum Teil vielleicht auch gar nicht wollen), dann ist ihre einzige Handlungsalternative gegenüber dem Status Quo, um sich selbst gegenüber ihrer nationalen Öffentlichkeit überhaupt als Handelnde darstellen zu können, die Anwendung von Gewalt. Das geschieht aktuell mit der Abweisung von Flüchtlingsbooten an der italienischen Küste. In dieses Brutalisierungsparadigma gehört auch die durch die italienische Regierung angekündigte und wieder zurückgezogene Zählung und Ausweisung von Roma. Der Sinn solcher Maßnahmen ist nicht zuletzt, die europäische Öffentlichkeit sukzessive an neue Maßstäbe von Rücksichtlosigkeit zu gewöhnen.

Bevor man sich an dieser Stelle, gerade aus deutscher Perspektive, aber allzu schnell auf der moralisch richtigen Seite wähnt, ist daran zu erinnern, dass der strahlende Sommer der “Willkommenskultur” drei Jahre her ist und die Asylpolitik auch hierzulande seitdem nur den Weg der Verschärfung kennt. Das gilt nicht nur für die Asylrechtsreformen der letzten Großen Koalition, sondern vor allem für Merkels Türkei-Deal wie auch für die Arbeit der sogenannten libyschen Küstenwache, die von der gesamten EU unterstützt wird. Beides sind von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisierte Maßnahmen.

Die Brutalisierung der europäischen Politik reicht also hinter die neuesten Ereignisse zurück. Nur entging sie der öffentlichen Aufmerksamkeit in Mitteleuropa durch eine weitgehend gelungene Delegierung der Gewaltanwendung an die europäische Peripherie.

Damit zeigt sich eine weitere Schieflage der laufenden öffentlichen Auseinandersetzung: Das Gerede frei dem Motto “Es passiert seit Jahren nichts und jetzt muss endlich gehandelt werden” suggeriert nicht nur ein ungebrochenes Fortdauern der Massenmigration, die jeder Grundlage entbehrt. Es ist auch grob irreführend hinsichtlich der (grausamen) Effektivität der schon ergriffenen Maßnahmen: Es gibt nicht die gutmenschliche “Flüchtlingskanzlerin”, die mal eine realitätsgesättigte Watschn aus Bayern bräuchte, um endlich das vermeintlich Notwendige zu tun. Die asylpolitischen Ziele aller Seiten haben sich zum Teil schon länger angeglichen, nur die politische Methode ist aufgrund unvereinbarer innenpolitischer Kalküle der Regierungen (bzw. Regierungsparteien) umstritten. Hier verschränken sich Asyl- und Europastreit untrennbar ineinander.

So sind beispielsweise die Asylzentren auf afrikanischem Boden keine Innovation von Kurz oder Seehofer, das ist auch Macrons und Merkels Programm. Die Idee von Asylzentren jenseits des Mittelmeeres sind in der bundesdeutschen Debatte so alt wie die Flüchtlingskrise selbst. Konkreter oder realistischer ist sie seitdem aber nicht geworden. Dass sich bisher noch kein einziger afrikanischer Staat bereit erklärt hat, auf seinem Territorium solche Zentren zu betreiben. Der neokolonialistische Grundton dieser spezifischen Debatte ist natürlich ein Detail, was im Jetzt-oder-Nie-Gebrüll der bayerischen Asyl-Phalanx Randnotiz bleibt. Dazu passt die Nichtthematisierung der abstoßenden humanitären Konsequenzen. Auch das ist Teil der fortschreitenden Brutalisierung dieses Kontinents.

Mit anderen Worten: Die “Festung Europa” ist auch jetzt wenig mehr als ein fettes Luftschloss. Das widerspricht aber nicht der täglich stattfindenden und grausam-effektiven Gewalt gegenüber Flüchtlingen, sondern ist deren Bedingung.

Auch wenn es für Befürworter einer humanen Flüchtlingspolitik zynisch klingt: Da man aktuell an den Ufern des Mittelmeers immer mehr Schlägertrupps findet, wäre wünschenswert, die EU hätte zumindest bald die Strukturen einer soliden Festung. Eine Selbstbindung staatlicher Gewaltanwendung an geltende Gesetze und eine menschenrechtssensible Gerichtsbarkeit ist ansonsten nicht einmal denkbar.

Mit der sich andeutenden Strukturlosigkeit – Dublin-III ist praktisch untauglich, aber es ist kein Ersatz gefunden – läuft die humanitär ausgerichtete Agenda, die Alternative zur brutalisierten Asylpolitik, leider ins Leere. Mit anderen Worten: Eine Festung kann ihre Tore auch öffnen. Ein Schlägertrupp ist dagegen einfach ein Schlägertrupp.

Die Brutalisierung der europäischen Politik hat aber auch eine sozialpsychologische Dimension. Der Unterschied des aktuellen Geschehens zum dröhnend totgeschwiegenen Türkei-Deal und der verschämt arrangierten Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache ist, dass nun ein entscheidender Aspekt aus der politischen Kultur zu weichen beginnt: die Scham. Das Bewusstsein dafür, das die realpolitisch getroffenen Entscheidungen den Werten, auf denen die europäische Einigung fußt, ausgerechnet im Umgang mit den Schwächsten zuwiderlaufen und genau das als Problem erlebt wird.

Es verliert sich bei den politisch Verantwortlichen in Teilen das Bestreben, die politischen Maßnahmen wieder den ursprünglichen Werten anzunähern. Stattdessen entfaltet sich schon in den Worten eine Gewalt, die den Schlüssel zu einem normativen Nichts darstellt. Oder wie sollte man es sonst nennen, wenn im Jahr 2018 von Europa “Menschenfracht” nach Afrika “ausgeschifft” werden soll? Man lässt sich in dieser Weise politisch gehen, denn die Befreiung von Scham wirkt nicht nur individuell, sondern auch kollektiv entlastend und ist überdies als politische Leitkultur anderswo bereits vorbildhaft etabliert.

Am Horizont erscheint damit ein Europa, das asylpolitische Maßnahmen verfolgt, die einerseits einer menschenrechtskonformen politischen Kultur aus Prinzip zuwiderlaufen und andererseits die voranschreitende Aushöhlung der europäischen Institutionen als Forum transnationaler Entscheidungsfindung massiv beschleunigen. Wenn nationale Alleingänge unabhängig von kollektiven Notsituationen – darin unterscheidet sich das Jahr 2018 von der Eurokrise 2010/11 oder der Flüchtlingskrise 2015/16 – in einem Politikfeld akzeptabel werden, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis diese Strategie der mangelnden Geduld und des kurzfristigen Prestigegewinns auf andere Felder übergreift. So dürfte den Ländern Europas die gemeinsame Handlungsfähigkeit in allen Politikfeldern eher früher als später verloren gehen.

Die letzte Hoffnung, den noch offen Europastreit anders ausgehen zu lassen, ist, dass diejenigen, welche das hier skizzierte Europa ablehnen und nicht erben möchten, sich endlich zusammenschließen und sehr bald lautstark Gehör verschaffen.

Emanuel Herold, 4.7.18, telepolis