Deutschland ist bei der Ungleichheit fast Spitze
OECD warnt vor wirtschaftlichen Folgen der Einkommens- und Vermögenskonzentrationen
Teuren Schampus? Gibt es nur für…
In Deutschland besitzen die reichsten zehn Prozent nahezu 60 Prozent des gesamten Nettohaushaltsvermögens. Damit kommt Deutschland zusammen mit den Niederlanden auf Platz drei im Ranking der Industrieländer mit der größten Kluft zwischen Arm und Reich. Nur in den USA und Österreich ist die Vermögenskonzentration noch größer. Dies geht aus dem dritten Sozialbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor, der am Donnerstag veröffentlicht wurde.
«Wir haben einen Wendepunkt erreicht. Noch nie in der Geschichte der OECD war die Ungleichheit in unseren Ländern so hoch wie heute”, sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría, der den Bericht in Paris gemeinsam mit der EU-Kommissarin für Arbeit und Soziales, Marianne Thyssen, vorstellte. Die Folge: Zwischen 1990 und 2010 büßten die Industriestaaten rund 4,7 Prozent an Wirtschaftswachstum ein. Ungleiche Gesellschaften nützen nämlich ihre Potentiale weniger als gleichere. So fällt es etwa Menschen aus bildungsfernen Haushalten bei wachsender Ungleichheit zunehmend schwerer, eine gute Ausbildung zu bekommen.
Der Bericht ist alarmierend. Denn die OECD ist nicht gerade dafür bekannt, ein linker Panikmacher zu sein. In ihr sind die 34 führenden Volkswirtschaften mit Ausnahme von China, Indien und Russland organisiert.
Besonders nach der Finanzkrise und in den Ländern, die tiefe Rezessionen und strenge Sparauflagen durchmachen mussten, hat sich die Einkommensungleichheit verschärft. In Deutschland etwa, das seit der Krise relativ wenig gespart hat, ist die Vermögensungleichheit zwar relativ hoch. Dafür beharrte die Ungleichheit bei den Einkommen hierzulande im OECD-Vergleich relativ stabil auf mittlerem Niveau. Anders sieht es in Spanien und Griechenland aus, die von den Institutionen Europäische Zentralbank, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds harte Sparauflagen aufs Auge gedrückt bekommen haben.
So büßte der Durchschnittshaushalt in Griechenland über acht Prozent an verfügbarem Einkommen ein und in Spanien musste das ärmste Zehntel mit fast 13 Prozent weniger Geld durchs Jahr kommen, während es bei dem reichsten Zehntel lediglich 1,5 Prozent waren. Dadurch nahm die Armut zu. Nimmt man die Armutsgrenze des Jahres 2005 als Vergleich, so verdreifachte sich der Anteil der armen Griechen seit dem Jahr 2007 auf 32,3 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Als eine Ursache für die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in den OECD-Ländern nennen die Forscher das Schleifen des Wohlfahrtsstaates. »Die Einkommensungleichheit nahm durch eine schwächere Umverteilung zu«, schreiben sie in ihrem Bericht. Denn Steuern und Transferleistungen können die Kluft bei den Bruttoeinkommen schmälern. Werden diese gesenkt oder sogar ganz abgeschafft, so nimmt die Einkommensungleichheit automatisch auch netto zu.
Auch in Deutschland bekam die Bevölkerung die Folgen des Sozialabbaus in der Vergangenheit zu spüren. Vor allem in den 1990er Jahren und zu Anfang des neuen Jahrtausends wuchs die Kluft zwischen Top- und Niedrigverdienern. Dies ist nicht zuletzt eine Folge der seinerzeit unter Rot-Grün eingeführten Agenda 2010.
Die OECD-Forscher verweisen nämlich auf die wachsende Anzahl atypischer Beschäftigungsverhältnisse als Ursache für die größer gewordene soziale Schere in Deutschland und den anderen Industrieländern. Ein befristet beschäftigter Vollzeit-Arbeitnehmer erhält hierzulande zum Beispiel durchschnittlich nur 56 Prozent des jährlichen Arbeitseinkommens eines regulär Beschäftigten. Und dabei liegt der Anteil der Selbstständigen, Minijobber, befristet sowie in Teilzeit Angestellten auch dank der Agenda-2010-Reformen bei mittlerweile knapp 40 Prozent aller Arbeitnehmer. Besonders häufig sind Frauen in diesen prekären Beschäftigungsverhältnissen.
Übrigens weist der OECD-Bericht wie alle Verteilungsstudien eine gewisse Unschärfe auf: Er erfasst die großen Vermögen und Einkommen nur teilweise, weil es darüber nur sehr wenig Daten gibt. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist also wahrscheinlich noch um einiges größer.
Von Simon Poelchau, 22.05.2015