Die Gesamtkonzernsteuer – Systemwechsel bei der Unternehmensbesteuerung
Dass etwas dagegen Steuervermeidung internationaler Konzerne unternommen werden muss, scheint unstrittig, nur wie dem Problem beizukommen ist – darüber ist sich die Fachwelt uneinig. Während der Anti-BEPS-Aktionsplan der OECD und G20 größtenteils auf Korrekturen des bestehenden Systems setzt, sprechen sich Befürworter*innen der Gesamtkonzernsteuer für einen grundlegenden Systemwechsel bei der Besteuerung multinationaler Konzerne aus. Der heute erscheinende Beitrag von Karl-Martin Hentschel, Vertreter von Attac im Koordinierungskreis des Netzwerks, beschreibt die Grundidee einer Gesamtkonzernsteuer, ihre Vorteile und potenzielle Fallstricke bei ihrer Umsetzung.
Zusammenfassung
Steuervermeidung von internationalen Konzernen ist keine Ausnahme mehr, sondern spätestens seit der Jahrtausendwende zur Regel geworden. Die Konzerne wurden immer geschickter darin, mit Hilfe von manipulierten Preisen, Lizenzgebühren, Zinsen und zahlreichen anderen Tricks hunderte Milliarden an Gewinnen in Steueroasen zu verlagern, wo oft keine oder nur ein Bruchteil der üblichen Steuern anfallen. Die Folge sind fehlende Steuereinnahmen für Infrastruktur und Sozialsysteme. Am stärksten leiden darunter die Länder des globalen Südens, die immer größere Schwierigkeiten haben, multinationale Konzerne angemessen zu besteuern. Dieser unfaire Wettbewerb trifft auch die regionale mittelständische Wirtschaft in Deutschland, die einen Großteil aller Arbeitsplätze stellt.
Fast alle Regierungen dieser Welt haben zumindest verbal diesem System den Kampf angesagt. Die OECD hat einen Aktionsplan vorgelegt, der mehr oder weniger engagiert von den Nationalstaaten umgesetzt wird. Viele Expert*innen haben jedoch Zweifel, ob durch diese Maßnahmen das Problem gelöst wird. Sie halten das bisherige System, bei dem jeder Betrieb oder Konzernteil im jeweiligen Land als eigenständiges Unternehmen besteuert wird, im Kern für überholt und eine grundlegende Neugestaltung des Steuersystems für notwendig.
Als Lösung des Problems wird ein Systemwechsel hin zu einer Gesamtkonzernsteuer (GKS – im englischen „Unitary Taxation“) vorgeschlagen. Dadurch soll endlich das Ziel erreicht werden, dass Gewinne künftig wieder dort besteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden. Deshalb sollen bei internationalen Konzernen nicht mehr die einzelnen Betriebe, sondern der Konzern als Ganzes betrachtet werden. Diese Art der Besteuerung würde in drei Stufen erfolgen:
- Es wird eine Gesamtbilanz für den multinationalen Konzern erstellt mit Daten über die Tätigkeit in allen Ländern und Ausweisung des akkumulierten Gesamtgewinnes.
- Der Gewinn wird auf die Staaten entsprechend der Aktivitäten des Konzerns aufgeteilt.
- Jeder Staat besteuert den zugeordneten Gewinn nach nationalem Recht.
Die Einführung der GKS scheint nach Auffassung vieler Autoren möglich, sinnvoll und nötig. Die EU könnte damit einseitig beginnen. Damit würde ein hoher Anreiz für Drittstaaten geschaffen, die GKS ebenfalls einzuführen und dabei das Bilanzierungsverfahren der EU zu übernehmen. Insbesondere für Entwicklungsländer wäre die Übernahme oder teilweise Nutzung der internationalen Bilanz der EU eine Chance, endlich zu belastbaren Steuerdaten für die bei ihnen tätigen MNU zu kommen.
Naturgemäß wird der Systemwechsel von den Konzernen bekämpft, die für sich Nachteile befürchten, weil sie ihre Steuervermeidungsstrategien dann nicht mehr fortsetzen können. Aber auch die Nationalstaaten sind zögerlich, weil sie, je nach Ausgestaltung, Mindereinnahmen für sich fürchten oder eine höhere steuerliche Belastung bestimmter MNU im Ausland befürchten. Im Ergebnis gelang es daher den Lobbyisten immer wieder, Schritte hin zur einer Gesamtkonzernsteuer zu verhindern. So wird in der EU seit sechzehn Jahren darüber geredet und es liegt ein Richtlinienentwurf der Kommission vor, der aber in vielerlei Hinsicht umstritten ist.
Es ist dringend Zeit, dass die Debatte breiter und mit mehr Öffentlichkeit geführt wird, damit Druck gegen die Reform-Blockade ausgeübt wird. In diesem Info wird deshalb das System der Gesamtkonzernsteuer und die aktuelle Debatte vorgestellt und die damit verbundenen Fragen und Erfahrungen diskutiert. In diesem Zusammenhang werden auch alternative Vorschläge für eine Reform der Unternehmensbesteuerung (zum Beispiel die Debatte in den USA nach dem Regierungswechsel) besprochen.
Info Steuergerechtigkeit #14
Titel der Neuerscheinung:
Die Gesamtkonzernsteuer. Systemwechsel bei der Unternehmensbesteuerung. Vorteile, Fallstricke und der Kampf um die Umsetzung, Informationsbrief des Netzwerks Steuergerechtigkeit Deutschland #14
Publikation als PDF