Die Republik rückt weiter nach rechts
Die »Berliner Republik« hat sich mit dem Ergebnis der drei Landtagswahlen an den europäischen Standard angeglichen. Lange verniedlicht und bestritten: Auch in Deutschland hat sich ein unangenehmer rechtspopulistischer Akteur auf dem politischen Terrain festgesetzt. Mehr noch: Die Politisierung der letzten Wochen in großen Teilen der Gesellschaft und die Unsicherheit über die politischen Kräfteverhältnisse haben dazu geführt, dass die Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt im Vergleich zu 2011 deutlich gestiegen ist.
Insgesamt gaben rund 8,7 Mio. von 12,6 Mio. Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Laut dem vorläufigen Endergebnissen beteiligten sich in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz jeweils 70,4% der Berechtigten (2011: 66,2 bzw. 61,8%) und in Sachsen-Anhalt 61,1% (2011: 51,2%). In der Tendenz nimmt die Wahlbeteiligung in Deutschland kontinuierlich ab. Bei den Landtagswahlen 2006 verzeichneten alle drei Länder Negativrekorde, in Sachsen-Anhalt ging nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten zur Wahl.
Die heftige gesellschaftliche Debatte über die Flüchtlingsfrage hat die Bevölkerung zur erhöhten Stimmabgabe animiert. Dennoch machen die NichtwählerInnen noch immer einen großen Anteil in der Bevölkerung aus. Die rechtspopulistische AfD verhöhnt ihre Kontrahenten, dass gerade ihr Agieren diese Aktivierung bei der politischen Beteiligung ausgelöst hat.
In der Tat: Ein Großteil der WahlbürgerInnen und vor allem die politische Klasse ist aus dem lange währenden Traum vermeintlich ewiger Prosperität und stabilem gesellschaftlichen Konsens aufgeschreckt: Auch die bundesrepublikanische Gesellschaft bleibt – trotz der tiefsitzenden Erfahrung des Faschismus – von dem überall in Europa agierenden Rechtspopulismus nicht ausgespart.
Auf dem politischen Terrain werden die Abgrenzungsrituale an den Rändern wieder mit Gewalt unterlegt, die Auseinandersetzungen zwischen den überlieferten politischen Familien und den Formationen vom rechten Rand sind unversöhnlich und unappetitlich. Die trügerische Gemütlichkeit einer Konsensdemokratie, in der man gut voran kam und kaum mehr wollte von der Welt, als sie bequem und sicher zu bereisen, ist dahin.
Seit sich die Welt in einer längst auch bedrohlich erscheinenden Dynamik zu uns aufmacht, werden die Spielregeln und Gesetzmäßigkeiten der politischen Auseinandersetzung in eine neue Qualität transformiert. In drei Bundesländern erreicht die rechtspopulistische AfD – eben nicht überraschend – zweistellige Ergebnisse, erobert aus dem Stand in Sachsen-Anhalt über 24 % und dieser politische Erfolg setzt die gewohnten Regeln für die Regierungsbildung außer Kraft.
Die etablierten Parteien und deren Personal (inklusive der Linkspartei) sind schockiert und zeigen zugleich Routine – auch mit den Erschütterungen des Parteiensystems und den Schwierigkeiten der Regierungsbildung wird man fertig werden. Die Anflüge von Selbstkritik verflüchtigen sich mit dem zeitlichen Abstand von der öffentlichen Kommunikation der Wahlergebnisse.
Die Standarderklärung der etablierten Akteure für ihr Desaster: Die Flüchtlingsfrage habe alle landespezifischen Fragen und Konzepte überlagert. Mit den einfachen –sprich rassistischen, antihumanitären und fremdenfeindlichen – Formeln habe die AfD den Protest aufgegriffen, stimuliert und politisch kanalisiert. Diese Ausflucht ist eher typisch für die vorherrschende Konzeptionslosigkeit gegenüber dem Rechtspopulismus.
Die Bewältigung der Flüchtlingsproblematik wird seit Wochen entlang der Alternative verhandelt: entweder eine nachhaltige Lösung, die auf eine Stärkung der UN-Hilfsorganisationen, eine europäische Einbettung und ein großes Investitionsprogramm für die Überwindung der Notlagen im Bereich Wohnungen, öffentliches Personal, Ausbau der Infrastruktur und Hilfsgelder für Resettlementprogramme in Nahost und Griechenland zielt; oder Maßnahmen der nationalstaatlichen Abschottung und der mehr oder minder rigorosen Schließung der europäischen Sozialsysteme gegenüber Schutzsuchenden und Migranten. Die Flüchtlingsfrage überlagert daher in der Tat viele Alltagsprobleme, weil hier die Frage nach der weiteren Entwicklungsrichtung der Gesellschaft gestellt wird.
Der Verweis auf die Flüchtlingsfrage ist aus einem weiteren Grund eine bloßer Ausflucht politischer Routiniers: Man konnte seit Jahrzehnten wissen, dass es auch in der Bundesrepublik fremdenfeindliche, antisemitische, islamfeindliche und überhaupt Ressentiment gestützte Einstellungen bei bis zu 20% der Bevölkerung gibt – so wie in anderen EU-Ländern auch, wo sich Rechtsaußen-Parteien längst etabliert haben. In Deutschland wurde diese untergründige Unmutshaltung ignoriert und darauf gesetzt, dass dieser »Bodensatz« ohne charismatische Führungsfigur nicht aktiviert werden kann.
Vor dem Hintergrund der rasch angewachsenen Bedeutung des Flüchtlingsthemas konnte die rechtspopulistische Generalmobilisierung in kurzer Zeit gelingen. Passend zur vorherrschenden gesellschaftlichen Stimmung von Zukunftsangst, Missmut und Unlust ist eine zunehmende Zahl von WählerInnen bereit, Rechtspopulisten eine Chance zu geben, zumal wenn diese bei aller fremdenfeindlichen Radikalität auch ihre Differenz zu Faschismus und Rechtsextremismus herausstellen.
Der bemerkenswert steile Aufstieg der AfD ist bei den Landtagswahlen in einem ersten politischen Triumpf gemündet. Seit ihrer Gründung Anfang 2013 hat sie eine dynamische Entwicklung hinter sich: Mit einem euroskeptischen Programm und bekannteren Euro-Kritikern gelang ihr 2014 der Einzug ins Europaparlament sowie in fünf Länderparlamente. Im Jahr 2015 verfing sich die rechtskonservative und -populistische Partei in massive innerparteiliche Auseinandersetzungen über den weiteren politischen Kurs.
Nach harten Konflikten und einer Zuspitzung des Machtkampfs zwischen einer eher wirtschaftsliberalen Strömung und verschiedenen rechtspopulistischen Strömungen kam es im Sommer 2015 zum Bruch. AfD-Parteigründer Bernd Lucke unterlag auf dem turbulenten Bundesparteitag in Essen dem von Frauke Petry geführten Lager und zog sich gemeinsam mit einer Reihe anderer prominenter Wirtschaftsliberaler aus der Partei zurück.
Mit der (Ab-)Spaltung des Lucke-Flügels ging eine Radikalisierung der Rest-AfD einher: Gesellschaftspolitisch ist sie deutlich nach rechts gerückt und agiert auf Bundesebene in der Flüchtlingskrise eindeutig rechtspopulistisch. Teilweise verficht die Partei eine rechtsextremistisch, völkisch-nationalistische Programmatik und zu Recht wird einem Drittel der Mitglieder und Funktionäre ein rechtsextremes, autoritäres Weltbild nachgesagt. Zutreffend ist aber auch: Rund 70% der AnhängerInnen der AfD könnten sich auch mit der politischen Mehrheitskultur der rechtsbürgerlichen CSU arrangieren.
Die Alternative für Deutschland hat – wie häufig bei rechten Protestausbrüchen – blitzartig die Erwartungen ihrer AnhängerInnen übertroffen: zweitstärkste politische Kraft in Sachsen-Anhalt, drittstärkste Partei im bürgerlichen, boomenden Baden-Württemberg und auch im beschaulichen Rheinland-Pfalz ein zweistelliges Wahlergebnis. CDU und SPD haben dagegen fast überall verloren, zum Teil sehr deutlich und schmerzhaft.
Auch die Linkspartei erhält für die seit längerem offenkundige Konzeptionslosigkeit gegenüber dem europaweiten Rechtspopulismus eine deutliche Quittung und steht erneut vor dem Abgrund der politischen Bedeutungslosigkeit. CDU, SPD und DIE LINKE sind aufgefordert zur selbstkritischen Revision, doch wenig deutet darauf hin, dass sie den Warn- und Weckruf verstanden haben.
Die Linkspartei hat offenkundig zur Kenntnis genommen, dass sie mit ihrer bisherigen sozial-ökonomischen Rhetorik und Programmatik nicht ansatzweise zu dem Großteil der verunsicherten sozialen Schichten durchgedrungen ist. Bei Strafe einer Weiterentwicklung von der politischen Wirkungslosigkeit zum Untergang müsste dieser Denkzettel eine intensive Beschäftigung mit der anhaltenden Wirtschafts- und Gesellschaftskrise auslösen und zu einer Generalinventur ihrer Reform-Konzeptionen führen.
Das Resultat aller drei Landtagswahlen zeigt auch, dass die Sozialdemokraten gerade bei der thematischen Bündelung der Flüchtlingsproblematik in keiner Weise als konstruktive Alternative zur CDU wahrgenommen werden. Zu einem Plebiszit über die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Merkel sind die Wahlen aber höchstens deshalb geworden, weil sich die AfD aus dem Stand heraus in allen drei Bundesländern vor oder in die Nähe der Volksparteien schieben konnte.
Weder der Grüne Kretschmann in Stuttgart noch die Sozialdemokratin Dreyer in Mainz, die eigentlichen Wahlsieger, hatten sich von Merkel abgesetzt – im Gegenteil: Die beiden positionierten sich, im Falle Kretschmanns sogar überaus eindeutig, als SympathisantInnen der Kanzlerin, während sich die CDU-Kontrahenten Guido Wolf und Julia Klöckner zwar von Merkel unterstützen ließen, gleichzeitig aber Distanz übten.
Was also kann realistischerweise erwartet werden? Die Machtverhältnisse bleiben unverändert – auch wenn eher ungewöhnliche Koalitionen zu erwarten sind, doch die Legitimationsbasis schrumpft weiter, und die Spannungen und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung nehmen zu.
Protest und Rechtspopulismus
Realistisch ist davon auszugehen: Nach kurzem Aufschrei in Medien und politischer Klasse über die Bedrohung des demokratischen Zentrums der Republik durch die rechtspopulistische AfD greift auch hierzulande die europäische Normalität. Aktuell wird Europa in zahlreichen Ländern von rechtspopulistischen Parteien aufgemischt.
In Polen hat im Oktober letzten Jahres die rechtskonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) des früheren Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczynski als erste Partei seit der Wende die absolute Mehrheit im Parlament gewonnen. Zuvor hatte sie bereits das Präsidentenamt erobert. Jetzt krempelt sie die Verfassungs- und Rechtsordnung um.
In Finnland, Schweden, Norwegen und Dänemark bestimmen die rechtspopulistischen Parteien die regierungsamtliche Agenda. An der Regierung direkt beteiligt sind Rechtspopulisten in Ungarn, Polen, Finnland und der Schweiz. In Dänemark ist die Minderheitsregierung auf die Duldung durch sie angewiesen, die österreichische FPÖ hat mit ihrer wachsenden Popularität die bürgerlichen und sozialdemokratischen Kräfte in der »Flüchtlingsfrage« auf einen nationalistischen Kurs gezwungen. In den Niederlanden wäre die Partei (PVV) des Rechtspopulisten Geert Wilders die stimmenstärkste Kraft. Der bekennende Islamhasser (sein Highlight: »Wollt ihr mehr oder weniger Marokkaner in den Niederlanden?«) wurde 2015 erneut zum Politiker des Jahres gewählt.
Der rechte Populismus ist keine Bewegung der Armen, sondern eine Bewegung der unteren Mittelschicht in wohlhabenden kapitalistischen Gesellschaften. Insofern versucht dieser rechte Populismus einen Kampf um das »verlorenes Paradies«. Menschen wählen nicht populistische Parteien, weil sie zufrieden sind. Sie sind unzufrieden damit, wie Dinge laufen. Das hat damit zu tun, dass sie sich politisch nicht mehr vertreten fühlen, dass die etablierten Parteien sie nicht repräsentieren. Sie glauben aber auch, dass man das System funktionsfähig halten könnte.
Vor dem Hintergrund eines wachsenden Widerspruchs in der Bevölkerung über die Konsequenzen des Zustroms an Flüchtlingen und der unübersehbaren Defizite des Staatsapparates nehmen Ressentiments und Ängste zu, was sich in eine anwachsende Sympathie und Unterstützung für Positionen der Ab- und Ausgrenzung umsetzt. Dieses Anwachsen der fremdenfeindlichen Ressentiments – im Besonderen gegenüber Flüchtlingen aus islamischen geprägten Ländern – führt zu einer Belebung der rechtspopulistischen Protestbewegungen.
»Aus Meinungsumfragen und Analysen von Reden, Flyern und Plakaten rechtspopulistischer Parteien ist klar herauszulesen: Das Potenzial liegt in den bürgerlichen, gut situierten Mittelschichten. Hier erreicht die Propaganda viele Bürger in ihren Vorurteilen gegen die Einwanderung, in ihren vermeintlichen Vorrechten als Einheimische, aber auch in autoritären Sicherheitsvorstellungen, was Strafen bei Normverstößen betrifft. … Gut 30% der Deutschen, die wir befragt haben, zeigen eine sogenannte ökonomistische Orientierung. Sie berechnen Gruppen nach ihren vermeintlichen Kosten und Nutzen, meinen zum Beispiel, wir können uns heute keine Verlierer mehr leisten. Ein klassisches bürgerliches Demokratieverständnis aber orientiert sich am Gemeinwohl und den Bedürfnissen von Menschen und nicht allein an ihrem Nutzen. Gesellschaftlich und politisch hat sich aber die Leistungs-gerechtigkeit gegenüber der Bedürfnisgerechtigkeit durchgesetzt.«[1]
Das eigentliche Problem sind nicht die Parteien. Die Parteien sind nur das nur Symptom eines zugrunde liegenden Problems. Das Problem ist, dass etwa 70% der Bevölkerung auch in der »Berliner Republik« mit dem Establishment unzufrieden sind. Indem man die eigensinnigen Stimmen unterdrückt oder sie lächerlich macht, nimmt man den Menschen aber nicht ihre Gesinnung.
Denkzettel – und nun?
Der Rechtspopulismus in der Berliner Republik ist aktuell erfolgreich. Und doch kann man diese Stimmung und ihre politischen Strömungen erfolgreich bekämpfen. Sicherlich hat die Bewegung der Schutzsuchenden wesentlich zum Auftrieb der AfD beigetragen. Selbst wenn die Zahl der Schutzsuchenden in den nächsten Monaten zurückgehen sollte, was sich gegenwärtig abzeichnet, wird die Integration der Schutzsuchenden in die Gesellschaft ein Dauerthema in Deutschland und Europa bleiben. Dass die Schutzsuchenden zur Projektionsfläche für Ängste und Ressentiments werden können, hat mit viel tiefer liegenden ökonomisch-sozialen Problemlagen zu tun, die politisch unzureichend bearbeitet werden.
Die Erosion der gesellschaftlichen Mitte und die daraus resultierenden Abstiegsängste ist in vielen Studien nachgewiesen. So wird in aktuellen Untersuchungen[2] auf die drastisch gesunkene Einkommensmobilität hingewiesen. »Eine Verfestigung der Verteilung zementiert Ungleichheitsstrukturen und beschneidet Chancengleichheit in einem erheblichen Maß. Genau das aber ist der große Trend, der sich in Deutschland seit einigen Jahrzehnten abzeichnet.« Solange diese Trends nicht politisch bearbeitet werden und das Vertrauen in das politische System weiter sinkt, wird der Rechtspopulismus seinen Nährboden finden.
Mit der Fronstellung zum politischen System, dem Ausgrenzungsdiskurs gegenüber MigrantInnen und Flüchtlingen und ihren Law-and-Order-Parolen hat die AfD jedenfalls ein deutlich rechtspopulistisches Profil. Die Mixtur aus niedriger Wahlbeteiligung, eklatierenden Finanzproblemen, wachsender sozialer Spaltung und massiver Flüchtlingsbewegung mit der Erosion der gesellschaftlichen Fundamente der Demokratie hat dieser Art des Rechtspopulismus in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern in die Karten gespielt.
Bedauerlich bleibt, dass in vielen Organisationen der Zivilgesellschaft und dem linken Parteienspektrum eine überwiegend emotional geprägte Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus dominiert. Aber auch das macht Sinn: Wird man auf den Zusammenhang von wachsendem Rechtspopulismus, zunehmender sozialer Spaltung und Verschärfung der Verteilungskonflikte gestoßen, könnte man sich weniger mit der Konzeptionslosigkeit und dem Glaubwürdigkeitsverlust der Politik arrangieren.
Ein breites Geflecht von Faktoren bildet den Nährboden für die Ausbreitung des Rechtspopulismus: soziale Spaltung und Abstiegsängste, fraktionierte Demokratie und Krise der politischen Systeme, die tiefe Krise der EU. Es wäre verfehlt zu glauben, dass nur punktuelle Antworten auf die eine oder andere Frage eine Auflösung dieser gefahrenträchtigen Konfiguration bringen könnten.
Es geht darum, insgesamt eine andere Logik durchzusetzen, wofür einige Eckpunkte in der politischen Auseinandersetzung bereits im Vordergrund stehen: Ende der Austeritätspolitik, ein hoch aktives politisches Eingreifen, um massiv umzuverteilen, nicht nur um mehr Gerechtigkeit zu schaffen, sondern auch um neue Mittel zu mobilisieren für sinnvolle Investitionen und Arbeitsplatzschaffung, bessere Löhne, öffentliche Politik, Sicherung der Sozialsysteme, Abbau der öffentlichen und privaten Schulden, Abbau der spaltenden (und Migration bzw. auch kriegerische Konflikte hervorbringenden) Asymmetrien in Europa und im Mittelmeerraum, sowie Kooperation vorrangig mit den unterschiedlichen Regionen Afrikas.
Es muss darum gehen, die Frage des Streits um kulturelle Hegemonie als vorrangig anzusehen. Was das für die Linke in ihrer Vielfalt (Parteien, Bewegungen, Gewerkschaften, Intellektuelle etc.) bedeutet, müsste zentraler Gegenstand der Überlegungen und des konkreten Handelns sein. Die Erosion der organisierten Kräfte sowie die Schwäche der von linken Organisationen in der Gesellschaft vermittelten Interpretationsmacht in der Konfrontation mit den herrschenden Kräften stellen ein schweres Handicap dar.
Die Erfahrung in Frankreich zeigt u.a., dass eine rein moralisierende Kritik wenig Wirksamkeit zeigt. Der Versuch, den Front National als Bedrohung für die Republik darzustellen, funktioniert aus zwei Gründen mittelfristig nicht: Einerseits ist die heutige französische Republik immer weniger eine soziale Republik, und anderseits ist ein solches Herangehen Wasser auf die Mühle des FN, sich als systemkritische Kraft gegenüber einer Allparteienkoalition (»UMPS«) zu profilieren. Die Sozialistische Partei und die Medien malen den FN wie ein Gespenst als Bedrohung des politischen Systems an die Wand, ohne aber dabei ihre Kritik am FN zu vertiefen.
In vielen europäischen Ländern agieren Parteien der populistischen, nationalistischen, radikalen Rechten im Zentrum der Gesellschaft, haben in den politischen und ideologischen Auseinandersetzungen Gewicht, und sind in manchen Fällen an Regierungen beteiligt. Es gelingt ihnen, die Entwicklung des politischen Systems zu beeinflussen und das gesamte Feld der rechten Kräfte tendenziell zu radikalisieren. Sie verstehen es, sich in zerklüfteten Gesellschaften zu entwickeln und die vielfältigen Ressentiments zu verstärken, zu manipulieren, zu nützen, und damit die Spaltungen innerhalb der subalternen Klassen zu fördern.
So werden die Spaltungen zwischen Armen und von Verarmung Bedrohten politisch genutzt, ebenso wie die zwischen SteuerzahlerInnen und davon auf Grund zu geringer Einkommen Befreiten (ohne dass jemals zur Sprache kommt, dass oben in der sozialen Pyramide große »Steuerfreiheit« herrscht). Der Unterschied zwischen jenen, die »hart arbeiten«, und jenen, die keine Arbeit haben, wird zum Thema, ebenso wie der zwischen den BürgerInnen mit »nationaler« Herkunft und den mit »ausländischen« Wurzeln.
Die neuen rechtsradikalen Kräfte sind Ausdruck einer immer stärker werdenden Hoffnungslosigkeit gegenüber der Politik. Der Verzicht von Seiten der Regierungen, Macht gegenüber der Logik des Finanzmarktkapitalismus auszuüben, hat die Politik insgesamt bereits weitgehend delegitimiert, was im Rückzug der prekären Schichten aus der Sphäre der politischen Willensäußerung besonders deutlich wird.
Hinzu kommt, dass Regierungswechsel in den meisten europäischen Ländern keinen Politikwechsel mit sich bringen, weil die sozialdemokratisch bestimmten Mehrheiten wie die traditionelle Rechte die sogenannten Sachzwänge als Rahmen anerkennen, somit jede Ambition auf eine Veränderung aufgeben und ihre AnhängerInnen und WählerInnen in die Resignation treiben. In manchen Ländern ist die Implosion des politischen Systems bereits sichtbar.
In einem solchen explosiven Cocktail gelingt es rechtspopulistischen, rechtsradikalen Parteien als Referenz zu erscheinen, als Kräfte, die politische Ambition und ein Wiedererringung nationaler Souveränität versprechen. Es gelingt ihnen, sich von Regierungen und traditionellen Parteien zu unterscheiden, als »systemkritische« Kraft zu erscheinen. Damit werden von der Politik besonders Verdrossene (womit keineswegs nur oder auch nur in erster Linie sozial besonders Benachteiligte gemeint sind) angesprochen.
Der Front National z.B. entwickelt eine Sprache der Systemkritik, ohne dabei tatsächlich die Grundfragen des ökonomischen und gesellschaftlichen Konflikts aufzugreifen und zu benennen, womit von der Natur des Konflikts abgelenkt wird. Die Herausbildung eines neuen sozialen Blocks wird damit deutlich behindert. Gleichzeitig speisen Demokratieabbau und soziale Polarisierung die rechtsradikale Systemkritik.
[1] Andreas Zick, »Wir dürfen unsere Toleranz nicht überschätzen«, Interview im Tagesspiegel 21.5.2014.
[2] Siehe Dorothee Spannnagel, Trotz Aufschwung: Einkommensungleichheit geht nicht zurück, WSI-Verteilungsbericht 2015; DGB-Verteilungsbericht 2016, Gerecht verteilen – Wohlstand sichern; Marcel Fratscher, Verteilungskampf. Warum Deutschland immer ungleicher wird, München 2016
joachim bischoff, sozialismus, 14.03.16