Einigung zwischen Bahn und GDL – Erfolgreicher Streik
Der Tarifkonflikt zwischen der Lokführergewerkschaft GDL und der Deutschen Bahn ist beendet. In den zurückliegenden Wochen hatte die Gewerkschaft ihre Mitglieder drei Mal, insgesamt über neun Tage, zum Arbeitskampf aufgerufen.
Damit sollte das Bahnmanagement dazu bewegt werden, von der beharrlich propagierten Nullrunde für 2021 abzurücken, vom Eingriff in die Altersvorsorge Abstand zu nehmen und den von der GDL geforderten erweiterten Geltungsbereich anzuerkennen (siehe den Kommentar von Hasko Hüning auf dieser Homepage). Trotz medialem Trommelfeuer haben die Streikenden standgehalten. Ihr Streik, den der Staatskonzern zuvor erfolglos versuchte, verbieten zu lassen, führte zum Erfolg: Die Tarifkontrahenten haben einen neuen Tarifvertrag abgeschlossen.[1]
Eckpunkte des Tarifabschlusses sind:
- Dezember 2021: 1,5% Entgelterhöhung
- Dezember 2021: Corona-Beihilfe von 600 Euro für Arbeitnehmer:innen mit mittleren Einkommen und von 400 Euro für Arbeitnehmer:innen mit höheren Einkommen
- Januar 2022: Erhöhung sämtlicher Erschwerniszulagen für Handwerker/Werkstattmitarbeiter:innen um zwölf Prozent
- März 2022: Corona-Beihilfe von 400 Euro für alle Arbeitnehmer:innen
- März 2023: 1,8% Entgelterhöhung
- Der Geltungsbereich des Tarifvertrages erfasst alle Eisenbahner:innen in allen Eisenbahnverkehrsunternehmen der DB.
- Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 32 Monaten und endet am 31. Oktober 2023.
Ein Knackpunkt in dem seit Monaten köchelten Tarifkonflikt war die Frage, für wen die neuen Verträge gelten sollen. Die GDL verhandelte bislang für Lokführer:innen und Zugbegleiter:innen. Erstmals hat die GDL jetzt auch Tarifverträge für Beschäftigte in Werkstätten und in der Verwaltung, jedoch nicht für die Infrastruktur vereinbart. »Bei entsprechender Mitgliederstärke werden wir auch für die Kollegen auf den Stellwerken, in den Bahnhöfen und in der Instandhaltung der Netzbetriebe bessere Tarifverträge abschließen«, verkündete der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky selbstbewusst.
Auch bei der Altersvorsorge konnte eine einvernehmliche Lösung gefunden werden. Die Einigung sieht vor, dass der Zusatzversorgungstarifvertrag wieder in Kraft gesetzt wird. Das bedeutet eine Betriebsrente für alle Eisenbahner:innen, die bis zum 31. Dezember 2021 eingestellt werden – garantiert ein Arbeitsleben lang. Künftig soll die betriebliche Altersvorsorge umstrukturiert werden, doch wer beispielsweise noch im Jahr 2022 bei der Bahn die Arbeit aufnimmt, bezieht von Beginn an 3,3% im DEVK-Pensionsfonds und kommt so auch in den Genuss einer Betriebsrente.
Als »Erfolg« kann der Bahn-Vorstand verbuchen, dass er sich im Streit um die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes (TEG) durchgesetzt hat. Die GDL-Tarifverträge gelten weiterhin nur in den Betrieben, in denen die Gewerkschaft die meisten Mitglieder hat. Laut Bahn hat die GDL nur in 16 der 300 Bahnbetriebe, in denen sowohl die GDL als auch die EVG vertreten sind, die Mehrheit unter den gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten. Ihre Behauptung stützt die Bahn auf mittelbare Indikatoren, wie die Ergebnisse von zurückliegenden Betriebs- und Aufsichtswahlen. Geeinigt haben sich beide Seiten nun auf ein Verfahren, mit dem festgestellt werden soll, welche Gewerkschaft in weiteren 71 Bahn-Betrieben die Mehrheit hat. Davon hängt nach dem TEG ab, welcher Tarifvertrag angewandt wird.
Das Gesetz zwingt die GDL gerade dazu, ihren Organisierungsbereich auszuweiten, um im Bahnkonzern überleben zu können. Der in diesem Zusammenhang vom TEG-Befürworter Reiner Hoffmann, Vorsitzender des DGB, erhobene Vorwurf, dass in dieser Auseinandersetzung »eine Berufsgruppe wie die Lokführer ihre partikularen Interessen gegen das Gesamtinteresse aller anderen Bahn-Beschäftigten durchsetzt«, ist seit dem TEG nicht mehr stichhaltig.
Auch, dass die GDL nur »ihren Einflussbereich vergrößern (wolle), um auf diese Weise mehr Mitglieder zu gewinnen«, ist falsch. Gewerkschaftsfunktionäre wissen, wie wichtig Mitgliederwerbung ist. Auch die großen DGB-Gewerkschaften wie die IG Metall und ver.di nutzen Tarifverhandlungen und Streiks, um neue Mitglieder zu gewinnen, denn nur mit ausreichender Organisationsmacht können Tarifziele im Konflikt durchgesetzt und müssen nicht erbettelt werden.
Der ver.di-Vorsitzend Frank Werneke wies zu Recht darauf hin, dass der Tarifkonflikt einmal mehr gezeigt habe: »Das Tarifeinheitsgesetz gibt den Arbeitgebern die Möglichkeit, Gewerkschaften gegeneinander auszuspielen, verschärft damit den Konkurrenzkampf zwischen Gewerkschaften und trägt so zur Eskalation von Auseinandersetzungen bei.« Werneke fordert deshalb die ersatzlose Abschaffung des TEG. Tatsächlich war die Hoffnung der damaligen Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und Teilen der DGB-Gewerkschaften, dass sich die kleinen Gewerkschaften nach Inkrafttreten des TEG zur Ruhe setzen und mit der eigenen Bedeutungslosigkeit abfinden würden, mehr als naiv. Im Gegenteil: Die GDL konnte zwischenzeitlich stärker werden, weil die Bahngewerkschaft EVG sich – trotz deutlich höherer Mitgliedszahlen – klein macht und auf kämpferische Gewerkschaftspolitik verzichtet hat.
Die Folge ist, dass der GDL-Tarifabschluss in Teilen über den »Spar«-Tarifvertrag hinaus geht, der den EVG-Mitgliedern 2021 eine mit Corona begründete Nullrunde verordnete und erst Anfang 2022 eine 1,5 Prozent-Entgeltsteigerung vorsieht. Deren Vorsitzender Klaus-Dieter Hommel hatte sich »auf einen Dumpingtarifvertrag eingelassen, der ihn nun aussehen lässt wie den Depp von der Bahn«, so Alfons Freese im Tagesspiegel (16.09.2021). Hommel drohte vorsorglich in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung: »Sollte der Abschluss allerdings die Mitglieder der EVG, die im vorigen Jahr die Karre aus dem Dreck gezogen haben, benachteiligen, werden wir von dem Recht einer Sonderkündigung Gebrauch machen«. (13.09.2021)
Doch dazu wird es wohl nicht kommen. Die Bahn kündigte umgehend an, sich zügig mit der EVG einigen zu wollen. Auch die EVG-Mitglieder sollen in den Genuss der Coronaprämie und der fortgeführten betrieblichen Altersvorsorge kommen, die die GDL mit ihrem Arbeitskampf durchgesetzt hat. So könnte eine entsprechende Nachzahlung der Bahn teuer zu stehen kommen, womit der forsche DB-Personalvorstand Martin Seiler exakt in die Falle tappt, die er selbst aufgestellt hat.
Gleichzeitig hätte dies ein Geschmäckle, denn die EVG würde als »Trittbrettfahrerin« vom Arbeitskampf der verfeindeten GDL profitieren. Verständlich, dass die GDL über die Ankündigung der Bahn verschnupft reagierte: »Wir geben Millionen aus, gehen in den Streik, lassen uns beschimpfen, und am Ende des Tages dürfen wir zuschauen, wie der Tarifabschluss den anderen hinterhergetragen wird.«
Warum diese Sturheit und Ignoranz des mit Boni ausgestatteten Bahnmanagements in dieser Tarifrunde? Schließlich stellten die Forderungen der GDL angesichts der hohen Inflationsrate in diesem Jahr nicht einmal einen Inflationsausgleich dar. Womöglich sollten die Eisenbahner:innen mit dem eingepreisten Reallohnabbau die Zeche dafür zahlen, dass das DB-Management als Global-Player über Jahrzehnte zweistellige Milliardenbeträge in risikoreiche Investments gesteckt und in teure Leuchtturmprojekte wie »Stuttgart 21« investiert hat.
Bei weltweiten Einkaufstouren in 23 Staaten, wie die milliardenschwere Übernahme des Bahnkonzerns Arriva in Großbritannien, hat sich der DB-Vorstand oft verzockt hat. 2020 fuhr die DB-Tochter Arriva Verluste im dreistelligen Millionenbereich ein. Schon für das Jahr 2019 bilanzierte der Bundesrechnungshof: »Die ausländischen Investitionen haben keinerlei positiven Effekt auf das Bahnsystem in Deutschland. Hier im zentralen Standort fehlen nicht nur die technologischen Investitionen für die Zukunft. Schon die jetzige Technik ist marode« (NDS, 11.08.2021). Im Corona-Jahr 2020 lagen die Verluste bei knapp sechs Milliarden Euro, ungefähr zwei Milliarden sollen es 2021 sein und die Beseitigung der Flutschäden schlägt mit mindestens 1,3 Milliarden zu Buche. Dass sich die Eisenbahner:innen dagegen wehrten, ist mehr als verständlich.
Schließlich ging es im Konflikt zwischen Bahn und GDL nicht nur um mehr Entgelt und Sicherung der Betriebsrente, sondern um auch um die Durchsetzung gewerkschaftlicher Rechte. »Man muss kein Fan von Spartengewerkschaften sein, um den Arbeitskampf der GDL aus vollem Herzen zu unterstützen. Denn zum einen wehren sich die Beschäftigten völlig zu Recht dagegen, mit Reallohneinbußen für die aktuelle Krise zu bezahlen. Zum anderen geht es um die Verteidigung des Streikrechts«, kommentierte Daniel Behruzi in der jungen Welt vom 8.9.2021.
Wie zu erwarten, rief der Streik der GDL prompt empörte Reaktionen in Politik und Wirtschaft und ein mediales Trommelfeuer hervor. Wen wunderst? Schließlich gibt es für Arbeitgeberverbände und der mit ihnen verbandelten Politiker:innen immer Gründe, warum es nie der richtige Zeitpunkt für Arbeitskämpfe ist. Entweder ist die Ökonomie gerade im Abschwung, der nicht verstärkt werden darf, oder die zarte Pflanze des Aufschwungs blüht bzw. die Wirtschaft brummt gerade und darf nicht durch Streiks abgewürgt werden. Medien, die geneigt sind, sich der Arbeitgeberargumentation nicht zu verschließen, denunzierten Claus Weselsky wie schon im ersten Lokführer-Streik 2014/2015[2] als »irren Egomanen« und »machtgierigen« Gewerkschaftsboss , der sich als »Kämpfer gegen das Establishment« inszeniere und im »innergewerkschaftlichen Streit« punkten wolle.
Die CDU/CSU-Mittelstands- und Wirtschaftsunion nahm die neun Streiktage zum Anlass, strengere gesetzliche Vorgaben für Arbeitskämpfe zu fordern: Es soll einen Zwang zur Schlichtung geben, noch bevor Tarifverhandlungen scheitern. Über Streiks sollen in Zukunft nicht nur Gewerkschaftsmitglieder entscheiden, sondern die Hälfte der Belegschaften eines Betriebes soll zustimmen müssen. Diese Regeln sollen nach Auffassung des Wirtschaftsflügels in Betrieben der Daseinsvorsorge und der kritischen Infrastruktur gelten – beim Bahn- und Luftverkehr, der Energie- und Wasserversorgung, dem Erziehungswesen sowie in der medizinischen Versorgung und die Pflege.
Damit kann das Tarifvertragsgesetzt in seiner Substanz ausgehebelt werden. »Wer Hand an das Streikrecht legt, muss mit entschiedenem Widerstand rechnen«, konterte Frank Werneke. Zu Recht, denn es gehört zu den rechtsstaatlichen Grundprinzipien, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften in Tarifverhandlungen ihre Interessen argumentativ, und wenn notwendig auch mit Streiks ausfechten. Eine Demokratie, die dieses Recht nicht garantiert und schützt, verdient diesen Namen nicht.
Fakt ist: In den zurückliegenden Tarifrunden 2020 und im ersten Halbjahr 2021 war es angesichts der pandemiebedingt schwierigen Wirtschaftslage zu moderaten Abschlüssen gekommen, was sich auch in der Entwicklung der Tarifverdienste widerspiegelt. »Die Tarifauseinandersetzungen seit Frühjahr 2020 standen ganz im Zeichen der Coronakrise«, so Thorsten Schulten, Leiter des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Zum ersten Mal seit zehn Jahren konnten die Tarifabschlüsse im Schnitt nicht mal mehr die Inflation ausgleichen – preisbereinigt gibt es hier sogar ein Kaufkraftminus von 0,2%.
Nach den Streiks der GDL zeichnet sich schon die nächste Tarifauseinandersetzung ab. Mit ihrer Fünf-Prozent-Forderung für die 1,1 Mio. Tarif-Beschäftigten der Länder haben ver.di und der Beamtenbund das Ende der pandemiebedingten Lohnzurückhaltung eingeläutet. Vor dem Hintergrund des Anstiegs der Verbraucherpreise sind Forderungen wie diese mehr als verständlich. Das Plus von 3,9% gegenüber dem Vorjahresmonat, das im Juli verzeichnet wurde, war das höchste seit Dezember 1993.
Entsprechend erwarten die Gewerkschaften künftig wieder kräftigere nominelle Einkommenssteigerungen. So erklärte auch der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann gegenüber dem Handelsblatt, die nächste Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie im Herbst 2022 werde »sicher stark vom Thema Entgelterhöhung geprägt werden«.
»Während die Tarifverhandlungen im Jahr 2020 unter dem Einfluss der Corona-Pandemie überaus harmonisch geführt wurden, zeichnet sich im laufenden Jahr eine Trendwende ab. Die Konfliktbereitschaft hat im ersten Halbjahr 2021 spürbar zugenommen«, heißt es warnend in einer aktuellen Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).
Ein Ende der Lohnzurückhaltung ist auch deshalb angebracht, weil »höhere Löhne und eine höhere Lohnquote wichtig für die wirtschaftliche Dynamik (sind), da sie den privaten Konsum und damit die Nachfrage bei Unternehmen stützen«, sagte Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), mit Blick auf das Ende der Lohnbescheidenheit.
Anmerkungen
[1] In der Schlussphase der Verhandlungen haben die Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Schleswig-Holstein, Stephan Weil (SPD) und Daniel Günther (CDU), eine Art Mediationsrolle übernommen und geholfen, eine Lösung zu finden. Laut Tagesspiegel waren es DGB-Chef Reiner Hoffmann und der Vorsitzende des Beamtenbundes, Ulrich Silberbach, die die beiden Politiker um Hilfe gebeten haben.
[2] Siehe auch: Otto König/Richard Detje: Das aktuelle Streik-Bashing »Dumm«, »verantwortungslos«, »irre«, Sozialismus Aktuell.de 27.10.2014
20. September 2021 Otto König/Richard Detje:, aus: Sozialismus