»Eiskalter Mord« an CDU-Politiker Lübcke: Wenn Worte zur »tödlichen Munition« werden
Im Fall des heimtückisch ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke deuten verschiedene Hinweise auf eine Tat hin, die nicht isoliert zu betrachten ist, sondern eingebettet ist in rechtsextreme Netzwerke. Der CDU-Politiker wurde in der Nacht zum 2. Juni auf der Terrasse seines Hauses regelrecht hingerichtet.
Für den Politikwissenschaftler Hajo Funke war dies ein »eiskalter Mord«, der an die Taten des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) erinnert. Die rechte NSU-Terrorzelle hatte ihre Opfer mit gezielten Kopfschüssen niedergestreckt.[1] Die Bundesanwaltschaft hat wegen der »besonderen Bedeutung des Falles« die Ermittlungen an sich gezogen. Die Bedeutung ergibt sich aus den gesamten Umständen, dem Vorleben und den Äußerungen des dringend tatverdächtigen Beschuldigten – einem gerichtsbekannten Rechtsextremisten, dessen DNA-Spur beim Opfer gefunden wurde.[2]
Sollte sich der Tatverdacht bestätigen, ist dies die Folge einer rechten Hetze im Netz, der Lübcke seit 2015 ausgesetzt war – und die nach seiner Ermordung ihre schmutzige Fortsetzung fand. Den Hass hatte sich der Kasseler Regierungspräsident zugezogen, als er 2015 in einer Bürgerversammlung im nordhessischen Lohfelden, wo eine Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete eröffnet werden sollte, das Menschenrecht auf Asyl verteidigte. Den rechten Krakeelern von Kagiga, dem örtlichen Ableger von Pegida, unter den rund 800 Teilnehmer*innen schleuderte er den Satz entgegen: Das Zusammenleben in Deutschland beruhe auch auf Werten wie etwa der Hilfe für Menschen in Not – und »wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen, wenn er nicht einverstanden ist«.
Ein Satz, der ihn seitdem zur Zielscheibe machte. Nach dessen Veröffentlichung auf dem rechten Portal PI News, einem der reichweitenstärksten Hass-Portale im Internet, brach in den sozialen Netzwerken ein regelrechter Shitstorm los: Tituliert als »Volksverräter« wurde dem CDU-Politiker von Usern dutzendfach der Tod gewünscht. Die Mordaufrufe standen jahrelang auf Facebook. Die Anschrift und die Telefon-Nummer von Lübckes Büro wurde im Blog gleich mitgeliefert, versehen mit der Aufforderung, jemand möge »sich kümmern«.
Als der Hass wieder abzuebben schien, eröffnete die Chefin der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, Erika Steinbach, eine neue Runde: Sie postete ein Video von Lübckes Aussage von 2015 auf Facebook und Twitter und empfahl den Kritikern merkelscher Asylpolitik, »die CDU zu verlassen und nicht ihre Heimat.« Die Hasskommentare, Gewaltfantasien und Mordaufrufe unter ihren Beiträgen in den Sozialen Medien wurden von Steinbach toleriert und längere Zeit nicht gelöscht.
Wie entfesselt die Hetze inzwischen ist, zeigt sich daran, dass Rassisten auf YouTube offen den Mord begrüßten mit Kommentaren wie »Der Volksschädling wurde jetzt hingerichtet« und: »Welchen Tod sollte man so einem Verräter wünschen? Am Strick an einer Laterne?« Der Journalist Patrick Gensing vom ARD-Faktenfinder ist überzeugt, dass solche Hassattacken eine »Markierung« der Opfer und eine Ermutigung der Täter bedeuten.
Bis hinein in die AfD träumen die Rechten von einem Tag der Abrechnung mit jenen, die sich für eine offene Gesellschaft einsetzen. So konnten investigative Journalisten in den WhatsApp-Chats von Holger Arppe, ehemals AfD-Vize-Fraktionsvorsitzender im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns, lesen, dass »das rot-grüne Geschmeiß auf den Schafott geschickt« werden solle.
Aus dieser Hass-Szene kommt der unter Mordverdacht stehende Stephan E. Der in U-Haft Einsitzende hat eine einschlägige, neonazistische Vita: Der mehrfach Vorbestrafte gehörte mindestens bis 2010 zum harten Kern der rechten Szene in Kassel. Schon 1993 verübte er einen Anschlag auf ein Asylbewerberheim im hessischen Hohenstein-Steckenroth. Am 1. Mai 2009 beteiligte sich E. beim Angriff von rund 300 Neonazis auf die Kundgebung des DGB in Dortmund. Mit Stöcken und Steinen gingen sie auf die Gewerkschafter*innen los. Für beide Straftaten wurde er zu Bewährungsstrafen verurteilt. Auf You Tube soll »NPD«-Stephan 2018 unter dem Alias »Game Over« geschrieben haben: »Entweder diese Regierung dankt in kürze ab oder es wird Tote geben.« (Süddeutsche Zeitung vom 17.6.2019)
Die Verbindungen von Stephan E. zu gewaltbereiten Neonazis waren offenbar sehr eng. Laut Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung soll der Hauptverdächtigte im Mordfall Lübke dem terroristischen Netzwerk »Combat 18« – die Zahl 18 ist der Szenecode für »Adolf Hitler« – nahestehen, das schon Anfang der 1990er Jahre als international organisiertes Terrornetzwerk und bewaffneter Arm der europaweiten Neonazi-Organisation Blood & Honour gegründet worden ist.
Dass gewaltbereite Rechte morden, ist nicht neu, bisher waren die Opfer Ausländer, Asylbewerber bzw. im Fall des NSU auch eine Polizistin. Nun aber, angefeuert von der Verschwörungstheorie, die Politik arbeite gezielt an einer »ethnischen Durchmischung« in Deutschland, haben die Angriffe auf staatliche Amtsträger zugenommen. In Altena wurde im November 2017 der dortige Bürgermeister Andreas Hollstein niedergestochen, zwei Jahre zuvor in Köln die heutige Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Sie werden neben anderen inzwischen erneut bedroht.[3] In Bayern erschoss 2016 ein sogenannter »Reichsbürger« einen SEK-Polizisten.
In ihrem »Faktenfinder« hat die Tagesschau 229 Morde, 123 Sprengstoffanschläge, 2.173 Brandanschläge, zwölf Entführungen und 174 bewaffnete Überfälle seit den 1970er Jahren aufgelistet, die auf das Konto von rechtsextremistischen Terroristen gehen.[4] Ermittler fanden bei Razzien in der rechtsextremen Szene sogenannte Feindeslisten mit 25.000 Namen!
Amtlichen Angaben zufolge ist die Zahl rechtsextremistischer Straftaten mit 20.431 registrierten Fällen 2018 etwa auf dem Niveau von 2017 geblieben. Gleichzeitig wächst jedoch die Zahl der Rechtsextremisten, die sich dem Zugriff der Polizei entziehen. Ende März hätten 657 noch nicht vollstreckte Haftbefehle gegen 497 Personen aus dem »politisch rechten Spektrum« bestanden, teilte die Bundesregierung jetzt auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der LINKEN mit.
Die aktuelle gesellschaftliche Stimmung wird von den Rechtsradikalen verstärkt als Ermutigung zum Handeln wahrgenommen. Hinzu kommt, dass die Neue Rechte – ob Identitäre Bewegung oder entsprechende Fraktionen der AfD – sich derselben Kampfbegriffe wie die rechten Gewalttäter bedient und den Nährboden für derartige Taten bereitet. Pegida, AfD und Anti-Asyl-Demonstranten schmähten Politiker als »Volksverräter«, rufen zum »Widerstand« auf. »Da hat die AfD deutlich mitmarkiert, da hat Pegida mitmarkiert. All diese Kräfte, die sich offiziell von Gewalt distanzieren, haben sehr deutlich zur Hetze beigetragen«, sagt Gideon Botsch, Leiter der Forschungsstelle für Antisemitismus und Rechtsextremismus des Moses-Mendelssohn-Zentrums an der Universität Potsdam.
Die AfD hat ein Gewaltproblem, das immer wieder in den Aussagen ihrer Vertreter zum Ausdruck kommt. So hat der AfD-Politiker Nicolaus Fest letztes Jahr davon gesprochen, Merkel müsse »erlegt« werden, Alexander Gauland verkündete, Merkel davonzu»jagen«, der sächsische AfD-Politiker Maximilian Krah, der die Grünen als Hauptfeind ausgemacht hat, kündigte an: »Wir schießen uns den Weg frei«.
Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke hatte bereits im Juni 2018 in Kandel erklärt: »Wir als staatstreue Bürger haben bis hierher nur geredet, die Zeit des Redens ist jetzt vorbei.« [Menge] »Widerstand, Widerstand, Widerstand!« [Höcke] »Wir müssen manchmal auch tatsächlich zeigen, dass wir es ernst meinen … gut, wenn selbstbewusste Bürger ihr Recht … in die eigene Hand nehmen. … Ja, es steht schlimm um unser Land. … Ohne Kampfesmut werden wir das Ruder nicht mehr rumreißen können. … Unsere Eliten bestehen nur noch aus Vaterlandsverrätern und deshalb müssen sie so schnell wie möglich weg« (Spiegel online vom 19.6.2019).
Statt eindeutiger Abgrenzung findet Entdiabolisierung im politischen Raum statt, wird an der »Normalisierung« des Verhältnisses von Neuer Rechten und alt-neuem Konservatismus gearbeitet. So fordert Alt-Bundespräsident Joachim Gauck im Spiegel eine »erweiterte Toleranz« gegenüber der Neuen Rechten. Man könne doch nicht eine ganze Partei zum »Feind erklären«, so das ehemalige Staatsoberhaupt mit Blick auf die AfD. Sein Plädoyer wollte er als Unterscheidung zwischen rechts, rechtsradikal und rechts-extremistisch verstanden wissen.
Insbesondere am breiten rechten Rand der CDU, der sich seit 2017 in der sogenannten »Werteunion« formiert, scheinen diese Bemühungen forciert zu werden. So wollte dessen prominentes Mitglied Hans-Georg Maaßen, der wegen seiner Verharmlosung der pogromartigen Ausschreitungen in Chemnitz seinen Hut als oberster Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes nehmen musste, eine Zusammenarbeit von CDU und AfD in den ostdeutschen Bundesländern nicht ausschließen. Auf die Frage, ob Bündnisse zwischen CDU und der AfD denkbar seien, sagte er im Deutschlandfunk: »Ich glaube, in der derzeitigen Situation werden wir es ausschließen, dass es zu einer derartigen Koalition kommt.« Der Relativierung »derzeitig« fügte er eine weitere an: »Aber man weiß nie.«
Maaßen bekommt Unterstützung von den beiden stellvertretenden CDU-Fraktionschefs im Landtag von Sachsen-Anhalt, Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer, die mit einer »Denkschrift« die politische Flanke weit nach rechts öffnen wollen und fordern, der CDU müsse es gelingen, »das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen«. Hier wird politisch gezündelt. In einer Situation, in der die AfD einer Abgrenzung gegenüber rechtsextremen Netzwerken immer wieder aus dem Weg geht, weil Teile von ihr selbst Brückenfunktionen wahrnehmen, und die extreme Rechte sich weiter radikalisiert.
Aktueller Hintergrund der rechts-rechten Strategieüberlegungen sind die am 1. September und 27. Oktober stattfindenden Landtagswahlen. In aktuellen Umfragen liegt die AfD in Brandenburg mit 21% vor der SPD (18%), die damit rechnen muss, um über 13 Prozentpunkte abzustürzen. In Sachsen muss die CDU damit rechnen, der große Wahlverlierer zu sein (Rückgang von 39,4% auf knapp 29%), während die AfD laut Infratest von 9,7% auf knapp 24% hochschnellt.
Und in Thüringen verliert die CDU gegenwärtig Wählerstimmen in einer Größenordnung (auf 26%), in der die AfD (gut 20%) gewinnt (+/- acht Prozentpunkte). Keine der bestehenden Koalitionsregierungen würde ihre Mehrheit verteidigen können: weder SPD/Linke in Brandenburg, noch CDU/SPD in Sachsen und auch nicht Linke/SPD/Grüne in Thüringen.
Die politische Schizophrenie liegt darin, dass auch der Mord an dem CDU-Politiker Lübcke, so ist zumindest zu befürchten, kein Momentum ist, in dem eine Neuverständigung über die Abwehr rechtsextremer, aber auch rechtspopulistischer Kräfte erfolgt, sondern die Neuformierung der politischen Rechten fortgeführt wird.
[1] Siehe hierzu auch Hajo Funke: Sicherheitsrisiko Verfassungsschutz. Staatsaffäre NSU: das V-Mann-Desaster und was daraus gelernt werden muss, Hamburg 2018 sowie Antonia von der Behrens (Hrsg.): Kein Schlusswort. Nazi-Terror – Sicherheitsbehörden – Unterstützernetzwerk. Plädoyers im NSU-Prozess, Hamburg 2018.
[2] Siehe hierzu auch den Beitrag von Maximilian Pichl »Rechtsterrorismus und Staat« in der gedruckten Juli/August-Ausgabe 2019 von Sozialismus.de.
[3] Nach dem Mord an Walter Lübke haben Reker und Hollstein erneut Hass-Mails erhalten, in denen angekündigt wird, sie und andere Politiker werden hingerichtet. Das anonyme Schreiben endet mit »Sieg Heil und Heil Hitler!«
[4] Nach einer Zählung der Amadeu-Antonio-Stiftung fielen allein seit 1990 mehr als 190 Menschen rechtsmotivierter Gewalt zum Opfer. Diese Zahlen weichen erheblich von den offiziellen Zahlen der Bundesregierung ab, die 85 Tote seit der Wiedervereinigung auflistete.
24. Juni 2019 Otto König/Richard Detje, www.sozialismus.de