Gießener Linke verlangt vor Verabschiedung eine Bürgerbeteiligung und Überarbeitung des Radwegplans des Landkreises
Es ist sicher ein erster wichtiger Schritt, dass der Landkreis nach Jahren des Anlaufs und mehreren nicht haltbaren Ankündigungen jetzt endlich ein Radwegekonzept vorlegt. Auch wenn man auf den ersten Blick den Eindruck hat, dass es mehr darum geht, überhaupt über einen Plan zu verfügen, weil dieser Voraussetzung für die Förderung diverser Projekte und Vorhaben ist, statt ein mit Radfahrer*innen und Bürger*innen vor Ort abgestimmtes und zukunftweisendes Konzept vorzulegen.
Schon die Vergabe des Auftrags wirft die Frage auf, warum man sich eines zwar renommierten Büros aus der Region bediente, obwohl es bundesweit natürlich Planungsbüros gibt, die inzwischen über einige Erfahrung bei der Erstellung von Radwegeplänen haben. Auch ein Blick auf den Vergabeauftrag zeigt, dass einige Anliegen in dem vorliegenden Konzept nicht enthalten sind, bei anderen die Daten und Untersuchungen wie sie bei solchen Konzepten üblich sind fehlen (z. B. Zahlen zum Radverkehrsaufkommen, Radwegführung, Breite und baulicher Zustand der Radwege usw.).
„Natürlich, die Kommunen, die sog. Träger öffentlicher Belange und weitere Organisationen wurden in die Erarbeitung einbezogen. Das ist vorgeschrieben und richtig. Aber wirkliche Bürgerbeteiligung sieht anders aus. Will man bei der Umsetzung der vom Landkreis beschlossenen klimapolitischen und verkehrspolitischen Ziele (Senkung des CO2-Verbrauchs u.a.) etwas erreichen, muss man die Bürger*innen ansprechen und einbeziehen – und das heißt in diesem Zusammenhang v.a. die Alltagsradfahrer*innen in den Kommunen und Orten. Sie sind – geht es um Radwege – die eigentlichen Experten und Fachleute. Dies hätte bedeutet im Planungsverlauf in allen Kommunen entsprechende Anhörungen, Treffen und Diskussionen durchzuführen, nach Vorschlägen zu fragen, eigene Pläne und Vorhaben zur Diskussion zu stellen usw.. Jetzt muss eben diese Diskussion,“ so Stefan Walther von der Fraktion der Gießener Linke, „nachgeholt werden.“
Ausgehend von entsprechenden Planungen des Landes wurden stattdessen Wunschlinienkorridore zwischen Kommunen, Betrieben, Bahnhaltepunkten, öffentlichen Einrichtungen usw. definiert. Dieses Netz wurde dann mit dem vorhanden Straßen- und Radwegenetz abgeglichen und wo immer möglich übernommen. „Im Ergebnis ergibt sich daraus ein Konzept, das im Wesentlichen auf straßenbegleitende Fahrradwege entlang der Bundes-, Landes- und Kreisstraßen verläuft. Die Frage ist allerdings, ob diese Top-down-Planung den Anforderungen an eine andere, umweltgerechte und sanfte Mobilität gerecht wird. Denn sehr oft sind diese Strecken weder die am besten zu fahrenden noch die kostengünstigste Variante und schon gar nicht der sicherste Weg“, so Reinhard Hamel, Fraktionsvorsitzender Gießener Linke. „Mit dieser Herangehensweise wird der Anspruch, eine andere, alternative, nicht am Autostraßennetz orientiertes Fahrradwegesystem zu schaffen, aufgegeben. Welche Radfahrer*in fährt schon freiwillig in glühender Sonne, keinen Hügel auslassend, am Rande rasender, stinkender und lärmender Autokolonnen, denen man alle Bäume aus dem Weg gefällt hat, durch die Landschaft.“
Hinzu kommt: Innerörtliche Verbindungen wurden ausgeklammert. „Man kann es sich so vorstellen: Autos fahren über das Land und wann immer sie sich einem Ortsschild nähern, stoßen sie auf einen Schotterweg. Was würde passieren? Chaos, Proteste, Widerstand. Aber das ist in etwa die Situation für Radfahrer*innen, die am Ende von fast allen Radwegen im Nichts landen. Hier wäre es wünschenswert gewesen, wenigstens für die wichtigen Fahrradwege in einem Radwegekonzept Abhilfe zu schaffen.“ so Hamel weiter.
Aber nicht nur das: Es fehlen auch in den Plänen eine Reihe vorhandener, gut ausgebauter Alltagsradwege, die täglich genutzt werden. Dafür werden nicht selten – mehr oder weniger direkt daneben – teure neue Radwege geplant.
Die geschätzten Kosten für die im Plan vorgesehenen Maßnahmen bis 2030 sind mit einem Kostenansatz von rund 140 Mio. € versehen, auf den Landkreis entfallen danach 11,17 Mio.€. Also in den kommenden 10 Jahren jährlich 1,1 Mio. Euro, die in den Radwegebau investiert werden müssen!
Im ersten Schritt – also in den nächsten 2 bis 3 Jahren – sind für die 34 Projekte in der Prioritätsstufe A für für den Landkreis gerade einmal 384.000 Euro vorgesehen, von insgesamt 16,5 Mio. Euro. Alle anderen Investitionen entfallen auf Land, Bund und Kommunen. Es spricht nicht für die Glaubwürdigkeit des Herangehens und die Ernsthaftigkeit, das Radfahrkonzept zu verwirklichen, wenn die Umsetzung von Seiten des Landkreises mit finanziellen Nullrunden beginnt.