Hessen: Die Alles-bleibt-beim-Alten-Wahl
Der Niedergang der Bundes-SPD, die am deutschen Geschäftsmodell Dumpinglohn partout nichts ändern will, kann weitergehen
Von Arnold Schölzel, jwAn die 60 Prozent der befragten hessischen Wähler gaben an, sie seien mit der Arbeit ihrer Landesregierung aus CDU und Grünen zufrieden. Das hätte in früheren Zeiten der Bundesrepublik ein Alles-bleibt-beim Alten-Ergebnis bedeutet. Aber nicht 2018, obwohl sich in Wiesbaden wahrscheinlich nichts ändern wird. Aber die Lust am Denkzettel trotz großem Einverständnis mit den Landespolitikern greift um sich. Die Stimmenverluste von mehr als zehn Prozent für die regierende CDU und fast elf Prozent für die in der Opposition sitzende SPD – fast gleiche Ziffern wie in Bayern vor zwei Wochen – haben offenkundig Ursachen, die in Berlin liegen: Die Koalition bekommt schlechte Noten, sie mag ihren Klassenauftrag, die Eigentums- und Vermögensverhältnisse für Reiche komfortabler, für Arme drückender zu machen und die Exportquote zu sichern, erfüllen oder nicht. Ein Jahr nach einer Bundestagswahl kommt empörte Ernüchterung bei Regionalwahlen zwar öfter vor, aber diesmal verursachte das Dauergezeter im Berliner Regierungsbunker eine Art politischen Hörsturz. Die permanente Pöbelei, wie dem ärmeren Teil der Bevölkerung das Fell noch weiter über die Ohren gezogen werden und die AfD rechts überholt werden kann, nervt mehr als üblich.
Die SPD wird mitgehangen. Außerdem, besagten die Umfragen in Hessen, klebt ihr der Hundekot namens »Agenda 2010« am Hacken: Soziale Kompetenz wird ihr kaum noch zugebilligt. Den Grünen, die bei Hartz IV und dem sozialen Dammbruch, in der Bundesrepublik einen Niedriglohnsektor einzurichten, freudig mitmachten, scheint allerdings alles verziehen. Die taten aber auch nur selten so, als hätten sie mit sozialer Gerechtigkeit etwas am Hut. In den großen hessischen Wohlstandsregionen haben sie ein Bürgerpublikum, dem es mehr um Lifestyle als um Mieten geht.
Der Niedergang der Bundes-SPD, die am deutschen Geschäftsmodell Dumpinglohn (im Verhältnis zur Arbeitsproduktivität) partout nichts ändern will, kann weitergehen. Auf Landesebene sind zwar Ergebnisse über der 30-Prozent-Marke wie in Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern 2016, in Niedersachsen 2017 oder in Bremen und Hamburg, wo Olaf Scholz es 2015 auf 45,6 Prozent brachte, noch möglich, aber z. B. in Berlin nach jetzigem Stand auch nicht mehr. Das hat vor allem mit Personalien, also Zufällen zu tun, weniger mit Programmatik, in der Hauptstadt etwa mit einem Regierenden Bürgermeister, der unermüdlich an seiner Unpopularität arbeitet.
Im vergleichsweise wohlhabenden Hessen ergaben Umfragen vor der Wahl, dass die Mehrheit ihre Stimmabgabe nicht von einem bestimmten politischen Problem abhängig machte. Flüchtlinge, Bildung, Verkehr und Mieten kamen demnach landesweit unter ferner liefen. Volker Bouffier, der seinen Wahlkampf auf Merkel-Gefolgschaft trimmte, darf daher einen großen Teil der zehn Prozent Verlust Horst Seehofer und dessen senil-chaotischem Wüten zuschreiben. Bouffier wird Ministerpräsident bleiben, ob mit Grünen oder SPD dürfte ihm gleich sein.
Insofern war es doch eine Alles-bleibt-beim-Alten-Wahl, auch für die Bundespolitik. Denkzettel bei Landtagswahlen bewirken dort wenig bis nichts. Wochenlang schallte es aber aus den Qualitätsmedien, vom Ausgang der bayerischen und der hessischen Wahlen hänge das Schicksal der Berliner Regierung ab. Eine mediale Autosuggestion. Die CDU-Generalsekretärin drohte in der vergangenen Woche zwar mit Neuwahlen, aber am Wahltag zitierte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung bereits Stimmen aus der Koalition, um klarzustellen: Merkel und die Koalition bleiben.
Es bleibt dabei: Vorgezogene Bundestagswahlen nach einer vergeigten Landtagswahl zur Erhöhung der Geschwindigkeit bei der Talfahrt bringt nur die SPD zustande. Eine halbe Stunde nach Schließung der Wahllokale in Nordrhein-Westfalen erschien Franz Müntefering, damals gerade SPD-Chef und heute einer aus der Massenorganisation lebender ehemaliger SPD-Vorsitzender, am 22. Mai 2005 vor der Presse und verkündete, er und Kanzler Gerhard Schröder wollten nach dem Verlust von 5,7 Prozent und der Regierung in Düsseldorf Neuwahlen zum Bundestag. Schröder erklärte wenig später allen Ernstes: »Erste Erfolge« auf dem Weg der »Agenda 2010« seien »unübersehbar«. »Bis sich aber die Reformen auf die konkreten Lebensverhältnisse aller Menschen in unserem Land positiv auswirken, braucht es Zeit.« Die Wirkung bis heute war die vom Schneeball zur Lawine. In der »Herzkammer der Sozialdemokratie« kam die SPD damals noch auf 37,1 Prozent. Den Rest erledigt seit 13 Jahren Angela Merkel. Dümmer geht›s nach dem Maßstab parlamentarischen Handwerks (»Erste Pflicht eines Politikers ist, wiedergewählt zu werden.«) kaum.