Jetzt geht die Post ab
Bei den Dividenden geht die Post ab. Fast drei Milliarden Euro hat die Deutsche Post AG im vergangenen Jahr operativ verdient. Die Umsatzrendite liegt bei 5,2%. Erst kürzlich beschloss das Unternehmen, Dividenden für das vergangene Jahr in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro an die Aktionäre auszuschütten.
Mit einer Ausschüttungsquote von 49,7% und einer Dividendenrendite von 3,1% liegt der ehemalige Staatsbetrieb über dem DAX-Durchschnitt! Auch für die Zukunft hat die Konzernspitze den Aktionären steigende Dividenden auf der Grundlage einer jährlichen Gewinnsteigerung von acht Prozent versprochen.
Gleichzeitig verkündete Post-Chef Frank Appel auf der Hauptversammlung Ende Mai in Frankfurt: »Wir sind mit unseren Löhnen nicht mehr wettbewerbsfähig.« Aus der Sicht des Vorstands der gelben Unternehmensgruppe müssen die Lohnkosten weiter nach unten gedreht werden – seit dem Börsengang des ehemaligen Staatsbetriebs Ende 2000 und den ihn vorbereitenden Postreformen ist dies gleichsam das Credo »wertorientierter« Unternehmenspolitik.[1]
Im Konkurrenzkampf mit den Zustelldiensten UPS, GLS, DPD und Hermes ist dem Branchenführer Deutsche Post DHL jedes Mittel recht. Der jüngste Coup: Anfang des Jahres gründete der Unternehmens-Vorstand 49 Regionalgesellschaften unter dem Namen Delivery.[2] Dort arbeiten mittlerweile rund 6000 Kolleginnen und Kollegen nach dem Tarif der Speditions- und Logistikbranche. Der liegt im Schnitt 20% Prozent unter dem Haustarif der Post, was einen Unterschied von bis zu 1000 Euro im Monat ausmachen kann. Das Delivery-Personal soll zügig ausgebaut werden. Zum Jahresende laufen bei allen befristet Beschäftigten der Post die Verträge aus – ein Großteil von ihnen soll dann mit einem Fünftel weniger Gehalt in das Subunternehmen wechseln.
Dagegen leisten die Beschäftigten Widerstand. Sie kämpfen mit ihrer Gewerkschaft ver.di gegen eine »marktgerechte Bezahlung« in einem »modernen Tarifgefüge«, wie Postvorstandsmitglied Jürgen Gerdes die Aushöhlung von Tarifverträgen beschreibt. Bundesweit haben nach Angaben von ver.di zuletzt 32.000 Zusteller und Beschäftigte in Briefzentren und in der Zustellung die Arbeit niedergelegt. Um arbeitskampffähig zu sein lautet die Forderung: Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 38,5 auf 36 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Doch letztlich richtet sich dieser Arbeitskampf gegen die vertragswidrigen Ausgliederungen und Tarifflucht und somit gegen Lohndumping.
Es ist nicht das erste Mal, dass ver.di versucht, auf die Strategie der Post Einfluss zu nehmen. Vor zwölf Jahren setzte die Gewerkschaft gegenüber dem Vorstand einen Vertrag durch, der die Zustellung von Briefen und Paketen durch »externe Billiglöhner« eng begrenzte. Diesen Vertrag hat der Konzern Anfang des Jahres rechtswidrig gebrochen. Mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung verschafft sich die Gewerkschaft die Möglichkeit, nicht nur juristisch, sondern auch mit Streiks dagegen vorzugehen.
Sollte es dem Konzern gelingen, seine Outsourcings-Strategie umzusetzen, wäre eine weitere Hochburg gewerkschaftlicher Organisation geschleift. Das zu verhindern wird trotz des hohen Organisationsgrads nicht leicht. Die Konstellation ist kompliziert: »Die Stammbeschäftigten sollen für ihre Kolleginnen und Kollegen kämpfen, die in billigere Tochtergesellschaften abgeschoben wurden oder werden sollen. Die Streikenden selbst sind davon scheinbar nicht betroffen. Die Unternehmensspitze könnte daher versuchen, Stammkräfte und prekär Beschäftigte gegeneinander auszuspielen. Wenn ihr eine solche Spaltung gelingt, hat der Konzern gewonnen« (Daniel Behruzi , junge welt, 10.6.2015).
Um Bewegung in den festgefahrenen Tarifkonflikt zubringen, unterbreitete ver.di im Anschluss an die sechste Verhandlungsrunde das Angebot, beim neuen Entgelttarifvertrag mit einer Laufzeit von 27 Monaten im ersten Jahr auf eine lineare Gehaltserhöhung zu verzichten. Stattdessen soll es für die Beschäftigten zum 1. August 2015 eine Einmalzahlung von 500 Euro, für Auszubildende und Studierende an Berufsakademien 250 Euro geben. Zum 1. August 2016 sollen dann die Entgelte und Ausbildungsvergütungen um linear 2,7% angehoben werden. Der Tarifvertrag hätte eine Laufzeit bis zum 31. August 2017. Die gekündigten Bestimmungen zur Arbeitszeit würden rückwirkend zum 1. April 2015 wieder in Kraft gesetzt.
Im Gegenzug zum vorgeschlagenen Verzicht auf eine lineare Einkommenserhöhung in diesem Jahr und eine strukturelle Veränderung der bestehenden Entgelttabelle für alle neu eingestellten Beschäftigten[3] soll die Rückführung der 49 regionalen DHL Delivery GmbHs in den Haustarifvertrag der Deutschen Post sowie eine Verlängerung der Regelungen zum Kündigungsschutz und zur Beschränkung der Fremdvergabe erfolgen.
Dieses Angebot lehnte Post-Vorstandsmitglied Gerdes Anfang Juni als »realitätsfern« ab. Die neu gegründeten Zustellfirmen würden nicht wieder aufgelöst. Die Wettbewerber des Bonner Dax-Konzerns zahlten deutlich niedrigere Stundenlöhne, darauf müsse die Deutsche Post reagieren. Arrogant schob er nach, trotz des Streiks seien die Auswirkungen gering: Die Post könne das Volumen von über 60 Millionen täglichen Brief- und Paketzustellungen auch während des Arbeitskampfes bewältigen. Dagegen spricht, dass die Lager mit liegen gebliebenen Briefen und Paketen überlaufen und fieberhaft nach zusätzlichen Lagerkapazitäten gesucht wird.
Während das Postmanagement mit einer Propagandaoffensive bei Kundschaft und Öffentlichkeit versucht, den ver.di-Streik als eine Gefährdung der »Zukunfts- und Leistungsfähigkeit unseres Unternehmens« darzustellen, eskalieren die Angriffe auf die Beschäftigten. Keine bekannte »Union-Busting«-Methode wird ausgelassen. Führungskräfte erklären insbesondere befristet Beschäftigten, man werde sich genau anschauen, wer am Streik teilnehme.[4] Ein besonderer Clou: Beschäftigte werden, wie Betriebsräte berichten, an ihren Arbeitsplätzen über 3700 installierte Flachbildschirme mit Propaganda gegen den Streik berieselt. Den ganzen Tag laufen Botschaften laufen wie »Die Post ist ein sozialer Arbeitgeber« und »Wir begehen keine Tarifflucht«.
Und vor allem werden beim Streikbruch alle Register gezogen. Rechtswidrig werden Beamte zu Streikbrucharbeiten angehalten.[5] »Freiwillig« sollen sie die Arbeit streikender Kollegen übernehmen. Mit Leiharbeit, Werkverträgen und Aushilfskräften soll der Geschäftsbetrieb aufrechterhalten werden. In Berlin und Brandenburg werden Leiharbeiter aus Polen eingesetzt, um Briefe und Pakete auszutragen. Auch hier ein Clou: Beschäftigte von Großkunden wie Versandhäuser und Versicherungen werden von ihren Unternehmen beauftragt, liegen gebliebene Sendungen in den Post-Sortierzentren abzuarbeiten. Rechtlich ginge das »in Ordnung«, so die Post, da die »Hilfskräfte« kurzfristig auf das Postgeheimnis verpflichtet würden.
Auch hier gibt es keine überprüfbaren Daten – der propagandistische Effekt solcher Meldungen kann nicht eingeschätzt werden. Doch ein wirtschaftliches Kalkül der großen Postkunden kann unterstellt werden: Sie wissen, sollte der Arbeitskampf bei der Post Erfolg haben, könnten auch die Tarifbedingungen bei den Konkurrenzunternehmen der Post anziehen und damit das gesamte Tarifgefüge in Bewegung geraten. Aber eben auch umgekehrt: Setzt sich die Post als Marktführer mit ihrer Politik gespaltener Belegschaften und Tarifstandards durch, gerät das gesamte Gefüge von Entgelt- und Beschäftigungsbedingungen ins Rutschen.
Selbst das ist noch nicht alles. Die Logistikbranche fällt in der heutigen Zeit der Neuzuschneidung von Wertschöpfungsketten eine Schlüsselrolle zu. Auch fernab der Post. Die Grenzen zwischen Industrie und Dienstleistungen verschwimmen gerade dort, wo durch Outsourcing, Verlagerungen, make-or-buy-Prozesse Kerngeschäftsfelder neu – enger – geschnitten werden, womit ein Großteil dessen, was nicht mehr zum Kerngeschäft gehört, als Logistik eingekauft wird. Der Kampf um Tarifbedingungen in der Logistikbranche ist nicht einer unter vielen – er könnte paradigmatische Bedeutung haben.
Zurück zur Post: Bündnispartner findet der Konzern bei Gerichten und Politik. So lehnte das Bonner Arbeitsgericht einen ver.di-Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen die Versetzung von Beamten auf bestreikte Arbeitsplätze ab. Und Landesregierungen wie beispielsweise in Hessen weigern sich, gegen die illegale Anordnung von Sonntagsarbeit einzuschreiten. Angesichts der Schlüsselrolle der Logistik wäre es mehr als ein Nachweis von Solidarität, wenn auch dieser Arbeitskampf als Herausforderung aller Gewerkschaften im DGB angegangen würde.
Am 3. Juli werden die Verhandlungen zwischen der Post und ver.di wieder aufgenommen. Bis zu einem positiven Ergebnis wird der unbefristete Arbeitskampf fortgesetzt.
Otto König ist Mitherausgeber, Richard Detje Redakteur von Sozialismus.
[1] Bis zu Beginn der 1990er Jahre befand sich das bundesdeutsche Post- und Fernmeldewesen vollständig in staatlicher Hand. Die schwarz-gelbe Regierungskoalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl leitete mit der »Postreform I« gegen den Widerstand der Beschäftigten die Privatisierung ein. Im Jahr 1994 folgte die »Postreform II«, die die Grundlage für die Zerschlagung des Staatskonzerns in die Deutsche Post AG, die Deutsche Telekom AG und die Postbank AG schuf. 1998 wurde von der rot-grünen Koalition der Gang an die Börse vorbereitet. Am 20. November 2000 wurden 29% des Unternehmens an die Börse gebracht. Heute hält der Bund als Großaktionär noch 21% am Unternehmen.
[2] Vgl. Otto König/Richard Detje: Deutsche Post DHL: ver.di kämpft gegen Tarifflucht. Vom Staatskonzern zum Modell Amazon, in: Sozialismus 3/2015.
[3] Diese würden künftig nicht mehr nach zwei, sondern erst nach drei Jahren in die jeweils nächsthöhere Erfahrungsstufe aufsteigen.
[4] Das lässt sich, so ver.di, mit Anrufen, Gedächtnisprotokollen und Vermerken Betroffener belegen.
[5] Der Einsatz von Beamten als Streikbrecher ist laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993 nicht zulässig, solange der Gesetzgeber dafür keine ausdrückliche Regelung beschließt. Das ist bisher nicht geschehen (FR vom 16.5.2015).
Richard Detje/Otto König, www.sozialismus.de