Keine linke Partei: Wagenknechts linkskonservatives Elitenprojekt
44 ausgewählte Vertrauenspersonen aus dem politischen Umfeld von Sahra Wagenknecht haben heute Vormittag in einem Berliner Hotel die Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ (kurz BSW) gegründet. Im Anschluss daran gaben Teile des von der Gründungsversammlung gewählten Parteivorstands sowie die beiden designierten Spitzenkandidaten zur Wahl des Europaparlaments, Fabio de Masi und Thomas Geisel, eine Pressekonferenz. Der erste Parteitag des BSW findet am 27. Januar im ehemaligen Berliner Kino Kosmos statt.
Alles unter Kontrolle eines kleinen Zirkels
In den nächsten Tagen werden 450 von vorher bestimmten Landesbeauftragten ausgesuchte Personen als Mitglieder in die Partei aufgenommen. Diese handverlesenen Mitglieder sollen den im kleinen Kreis gewählten Parteivorstand bestätigen und eventuell noch erweitern, eine programmatische Grundlage beschließen sowie die Liste zur Wahl des EU-Parlaments aufstellen. Nach dem Gründungsparteitag soll die Partei kontrolliert wachsen. Das bedeutet, jeder Antrag auf Mitgliedschaft wird daraufhin geprüft, ob das potentielle Mitglied zum BSW passt. Wagenknecht, die als Parteivorsitzende eine Doppelspitze mit Amira Mohamed Ali bildet, kündigt an, dass man Menschen, die nicht konstruktiv seien oder die nicht die gleichen politischen Ziele wie das BSW verfolgen würden, aus der Partei fernhalten wolle. Selbstverständlich dürfe aber jeder Interessent das BSW tatkräftig im Wahlkampf oder mit Spenden unterstützen. Kurz gefasst: Jeder darf schuften und zahlen, aber ohne mitzubestimmen. Ob dieses Parteikonzept Akzeptanz bei den Sympathisant*innen findet und ob es überhaupt dem deutschen Parteiengesetz entspricht, muss sich erst noch zeigen. Fachleute sollten sich durchaus die Satzung und die Schiedsordnung der neuen Partei genau ansehen. Wenn beispielsweise Beisitzer einer Schiedskommission bestellt statt gewählt werden und, wenn mündliche Verhandlungen der Schiedskommission nichtöffentlich durchgeführt werden sollen, kommen Zweifel an der Gesetzeskonformität auf.
Kakophonie in der Pressekonferenz
Als in der Pressekonferenz die Sprache auf die programmatische und strategische Ausrichtung der neuen Partei kam, boten die Anwesenden Vertreter*innen des BSW ein bemerkenswertes Schauspiel. Es gab kaum eine Frage zu der nicht nacheinander sehr unterschiedliche Antworten von ihnen gegeben wurden. Und diese Antworten, oft Ergänzungen genannt, gingen erheblich auseinander. So erklärte zum Beispiel Thomas Geisel, dass das individuelle Recht auf Asyl abgeschafft werden solle. Wagenknecht und de Masi relativierten umgehend. Das lässt darauf schließen, dass die Debatte um die eigenen politischen Positionen bislang nur oberflächlich und entlang von Schlagworten geführt wurde.
Die Abgrenzung von den Positionen der AfD gelang dem Vorstand des BSW nur ungenügend. Ein Journalist stellte fest, dass beim Recht auf Asyl, beim Verbrenner-Aus und der Wärmewende kein Unterschied zwischen den beiden Parteien zu erkennen sei. Wagenknecht empörte sich, benannte aber keine scharfen inhaltlichen Trennlinien.
Flucht in die Klassenzusammenarbeit
Bemerkenswert ist, dass der Anspruch „Vernunft und Gerechtigkeit“ in die Politik zu bringen, offenbar ohne einen Klassenstandpunkt zu benennen, verwirklicht werden soll. Nicht von ungefähr sitzen im Geschäftsführenden Vorstand der neuen Partei zwei Unternehmer. Wagenknecht kennt nur „kleine Leute“, die sich für „ihre Brot- und Butterthemen“ interessieren. Und diese rein materiellen Interessen – ohnehin ein Ansatz, der nicht stimmig ist – will sie für die Menschen, die sie im Blick hat, nicht etwa in einer Klassenauseinandersetzung mit den Gewerkschaften als Verbündete durchsetzen, sondern im Klassenkompromiss mit Teilen der deutschen Bourgeoisie aushandeln. Das ist der strategische Kardinalfehler der neuen Partei, ein Fehler, der sie zu einer beliebigen bürgerlichen Partei macht, die sich mit vollem Recht nicht mehr als linke Partei, sondern als Volkspartei definiert.
Edith Bartelmus-Scholich, 8.1.2024