Kemmerich-Moment im Stadtrat Chemnitz
Rechter Block verhindert linke Sozialbürgermeisterin
In Chemnitz haben CDU und FDP gemeinsam mit der AfD und der rechtsextremen Gruppierung Pro Chemnitz die Wahl der Linkspolitikerin Susanne Schaper zur Sozialbürgermeisterin blockiert. Bei der Abstimmung im Stadtrat erhielt die 43-Jährige 28 Stimmen und damit ebenso viele wie ihr Mitbewerber Axel Bruder, ein in der Stadt kaum bekannter Geschäftsführer eines katholischen Sozialbetriebs aus Niedersachsen, der zur Abstimmung nicht anwesend war. Den bei Stimmgleichheit vorgesehenen Losentscheid gewann Bruder. Allerdings verwehrte im Anschluss SPD-Oberbürgermeister Sven Schulze das laut Gemeindeordnung erforderliche Einvernehmen. Zu seinen Gründen will sich der Rathauschef in den nächsten Tagen äußern. Der Stadtrat hätte dessen Veto mit Zweidrittelmehrheit kippen können, scheiterte aber klar. Das Bewerbungsverfahren muss von vorn beginnen.
Der Wahlausgang stieß teils auf Empörung. Die Linkspolitikerin Kerstin Köditz, Fraktionskollegin Schapers im Landtag, sprach in Anspielung auf die mit Hilfe der AfD erfolgte Kür eines FDP-Politikers zum Ministerpräsidenten in Thüringen im Jahr 2020 von einem »Kemmerich-Effekt in Chemnitz« und einer »Normalisierung der Zusammenarbeit mit der AfD«. Schaper sei an einer »rechten Einheitsfront« gescheitert. Detlef Müller, SPD-Bundestagsabgeordneter und Fraktionschef im Stadtrat, sah den Eklat als »verheerendes Signal« und warf die Frage auf, wer sich angesichts dessen in der Stadt noch bewerben wolle. Der CDU-Fraktionschef Tino Fritzsche sagte der »Freien Presse«, der Vorfall sei »sicherlich kein Glanzpunkt in der Stadtratsarbeit«, aber Ergebnis einer »geheimen und demokratischen Abstimmung«. Schaper selbst erklärte, als Demokratin wisse sie, »dass man eine Wahl auch verlieren kann«. Die Lokalzeitung kritisierte in einem Kommentar unter der Überschrift »Parteibuch vor Wohl der Stadt«, die Hälfte der Stadtratsmitglieder gebe sich im Zweifel »lieber mit der zweit- oder drittbesten Lösung« zufrieden, »weil diese besser ins eigene Weltbild passt«.
Schaper hatte als Favoritin für die Wahl gegolten. Sie ist fachlich qualifiziert und in der Stadt verankert. Die gelernte Krankenschwester ist langjährige Chefin der Linksfraktion im Stadtrat und führt im Landtag den Sozialausschuss. Für die Landespartei hätte eine erfolgreiche Wahl freilich bedeutet, dass sie ihre Co-Vorsitzende verloren hätte. Ursprünglich hatte es 13 Bewerbungen für den Posten gegeben, darunter Schaper als einzige Frau. Der Bürgermeister für Bildung, Soziales, Jugend, Kultur und Sport, so die vollständige Amtsbezeichnung, ist auch für die Chemnitzer Vorbereitungen als Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2025 zuständig.
Die Stelle ist vakant, seit der bisherige Amtsinhaber Ralph Burghart (CDU) Finanzbürgermeister wurde. Den Job wiederum hatte Sven Schulze inne, bevor er im Oktober 2020 die Wahl zum Rathauschef gewann und dabei unter anderem auch Schaper hinter sich ließ. Ob sie sich im wiederholten Verfahren erneut als Sozialbürgermeisterin bewirbt, ließ sie offen. An ihrem Ziel, für die Menschen in ihrer Heimatstadt etwas bewegen zu wollen, ändere sich »natürlich nichts«, sagte sie auf Anfrage. Ob sie erneut antrete, entscheide sie aber »frühestens, wenn es eine neue Ausschreibung gibt«.
nd, 1.7.21