Kohle kommt zu teuer
Neue Greenpeace-Studie rechnet vor: Jedes Jahr wird die Verstromung des fossilen Brennstoffs mit 15 Milliarden Euro subventioniert
Strom aus Braunkohle kommt der Gesellschaft teuer zu stehen. Dies ist das Ergebnis einer am Dienstag in Berlin vorgestellten Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) im Auftrag der Umweltorganisation Greenpeace. Allein in diesem Jahr hätten Tagebaue und Kraftwerke demnach Kosten von mindestens 15 Milliarden Euro verursacht, die von der Gesellschaft bezahlt werden müssten.
»Würden diese Kosten auf den Preis einer Kilowattstunde Braunkohlestrom aufgeschlagen, erhöhte sich dieser um 9,9 Cent auf gut das Dreifache des aktuellen Produktionspreises«, schreiben die Studienautoren. Vermutlich liegen die Zusatzkosten sogar noch höher, hieß es von Greenpeace am Mittwoch, da sich nicht alle Faktoren genau beziffern ließen.
Das FÖS kalkulierte mit Belastungen, »für die die Bergbaubetreiber bisher nur teilweise aufkommen oder wo es ein Risiko für zukünftige gesellschaftliche Kosten gibt«. So erfasst die Studie unter anderem die Sanierung ehemaliger Tagebaue, die Belastungen durch Gesundheitsschäden und Vergünstigungen für die Branche.
Ein Beispiel sind die Bergschäden an privatem und öffentlichem Eigentum. Feuchte Keller, abgesackte Terrassen und Straßen oder Risse im Mauerwerk sind in den Kohlerevieren bekannt. »Innerhalb Nordrhein-Westfalens wurden in den letzten zehn Jahren jährlich durchschnittlich 300 Neumeldungen von Bergschäden eingereicht«, heißt es in der Studie. In Brandenburg seien es nach Auskünften des Landwirtschaftsministeriums etwa 250 Schadensmeldungen im Jahr. Allerdings würden nur etwa zehn bis 15 Prozent von den Tagebaubetreibern anerkannt, und nur für diese Fälle würden die Unternehmen auch zahlen. Für die Zukunft heißt das, Kommunen und Privathaushalte im rheinischen Revier werden wohl auf jährlichen Kosten von rund 150 Millionen Euro sitzen bleiben – für die nächsten 40 Jahre.
Fabio de Masi GUE NGL
Wer »bergfreie Bodenschätze« fördert, zu denen auch die Braunkohle gehört, ist nach geltendem Recht verpflichtet, eine Abgabe in Höhe von zehn Prozent des Marktwertes an die Bundesländer zu entrichten, wobei diese die Abgabe auch nach Belieben auf bis zu 40 Prozent heraufsetzen können. Im Gegensatz zu denen anderer Rohstoffe und Energieträger sind die Braunkohleförderer aber von der Zahlung befreit. Das FÖS spricht von einer indirekten Subvention, weil dem Staat dadurch Einnahmen entgehen. Allein in diesem Jahr habe das 276 Millionen Euro ausgemacht. In gleicher Weise werden Energiekonzerne subventioniert, indem sie weitgehend von der Ökostromumlage ausgenommen sind oder Vergünstigungen bei der Energiesteuer erhalten – rund 1,3 Milliarden Euro im Jahr.
Als größten Brocken führt die Studie externe Kosten auf, die durch Feinstaub-, Quecksilber- und Kohlendioxidemissionen entstehen. Das sind Beträge, die nicht von den Verursachern getragen werden, sondern für die die Gesellschaft aufkommen muss, beispielsweise für Gesundheits- und Umweltschäden. Um dem entgegenzuwirken, wurden Instrumente wie der Emissionshandel entwickelt, der aber in der EU keine Wirkung zeigt. »Umgerechnet auf die voraussichtlich aus Braunkohle erzeugte Strommenge im Jahr 2015 von 150 TWh« komme eine Summe von mehr als 13 Milliarden Euro zusammen, heißt es in der Studie.
»Die Mär von der günstigen Braunkohle ist nicht haltbar«, sagte Greenpeace-Expertin Susanne Neubronner. Deshalb müsse nun der schrittweise Braunkohleausstieg bis 2030 sofort angegangen werden. Zum anderen müssten die Konzerne vorrechnen, wie sie mit ihren Rückstellungen die Folgekosten abdecken wollen.
Indessen erwägen die Essener Stadtwerke (Steag) den Kauf der ostdeutschen Braunkohlesparte von Vattenfall. Einem Bericht des Handelsblatts (11. November) zufolge hat sich die Steag mit dem internationalen Finanzinvestor Macquarie zusammengetan und prüft nun eine gemeinsame Übernahme. Damit das Geschäft zustande kommt, müsse sich die Politik bewegen, denn der Stromproduzent wolle sich nur engagieren, wenn während des Verkaufsprozesses die Risiken der ostdeutschen Braunkohleförderung begrenzt würden. Bundes- und Landespolitiker müssten klarstellen, wieviel und wie lange noch Braunkohle aus der Lausitz gefördert werden kann. Denkbar wäre auch eine unterstützende Unternehmensbeteiligung der Länder Sachsen und Brandenburg.
Bernd Müller, jw, 13.11.15