Krieg? Wir schaffen das!
Blitzmandat für die Bundeswehr: Merkel-Regierung will noch vor Weihnachten Soldaten in den Syrien-Einsatz schicken. Experten rechnen mit langer Intervention
Beim neuen deutschen Kriegseinsatz kann es der schwarz-roten Bundesregierung in Berlin nicht schnell genug gehen. Am Dienstag beschloss das Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die Bundeswehr am Kampf gegen die Terrororganisation »Islamischer Staat« (IS) zu beteiligen. Bis zu 1.200 deutsche Soldaten sollen sich an den Kämpfen der US-geführten Allianz beteiligen. Zu ihren Aufgaben gehört die Aufklärung mit »Tornado«-Kampfjets und Satelliten, die Luftbetankung der Bomber anderer Staaten sowie die Unterstützung des französischen Flugzeugträgers »Charles de Gaulle« im Mittelmeer mit einer Fregatte. Als Einsatzareale werden neben Syrien und dem Irak auch das östliche Mittelmeer, das Rote Meer, der Persische Golf sowie »angrenzende Seegebiete« angegeben. Das Mandat für den Kriegseinsatz – der so nicht heißen soll – ist wie üblich auf zwölf Monate befristet. Experten prognostizieren realistischerweise viel längere Zeiträume. »Ich gehe davon aus, dass dieser Kampf, wenn man ihn ernsthaft betreibt, weit über zehn Jahre andauern wird«, sagte etwa der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehr-Verbandes, André Wüstner, am Dienstag im ARD-»Morgenmagazin«. Und auch die Ausdehnung der Regionen, in denen Krieg geführt werden soll, ist absehbar: Der IS sei nicht nur im Irak und Syrien, sondern in ganz Nordafrika bis Mali präsent, erinnerte Wüstner.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen erklärte im Deutschlandfunk mit Blick auf eine mögliche Kooperation mit der syrischen Armee und dem Präsidenten Baschar Al-Assad: »Es wird keine Zukunft mit Assad geben, und es wird auch keine Zusammenarbeit mit Truppen unter dem Kommando von Assad geben.« Die CDU-Politikerin fügte hinzu: »Verantwortliche, an deren Händen Blut klebt, werden wir nicht in einer gemeinsamen Zusammenarbeit haben.« Bleibt die Frage, warum diese Maxime nicht für US-Drohnenkriegsführer Barack Obama und den türkischen Kurdenjäger Recep Tayyip Erdogan gilt? Oder für die Staats- und Regierungschefs der NATO-Partnerstaaten, die verantwortlich sind für das von ihnen angerichtete Chaos nach den Interventionskriegen in Libyen und im Irak? Die deutschen Militärmaschinen zur »Aufklärung« des Zielgebiets starten jeweils vom türkischen Incirlik aus. Von demselben Stützpunkt aus fliegt der NATO-Partner Türkei seine Angriffe auf Stellungen der kurdischen Guerilla, die am Boden erfolgreich gegen den IS kämpfen …
Die Kanzlerin will deutsche Soldaten zwar möglichst schnell in die Schlacht schicken, nur Krieg soll das Ganze – wieder einmal – nicht genannt werden. »Es handelt sich um einen militärischen Einsatz«, dekretierte Merkel am Dienstag in Berlin auf Journalistennachfragen. Welche Lehren ihre Regierung aus dem Afghanistan-Debakel der Bundeswehr zieht, wollte sie nicht beantworten.
Die Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD begrüßen Merkels Kriegsvorhaben – und auch die Sprachvorgaben. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) nannte den »Unterstützungseinsatz« ein »wichtiges Zeichen der Solidarität in Europa«. Auch die Grünen stehen bereit. »Ich könnte mir ein Ja vorstellen«, bekundete Franziska Brantner, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Die meisten ihrer Fraktionskollegen dürften sich enthalten.
Einzig Die Linke im Bundestag wird geschlossen gegen den Syrien-Einsatz stimmen. »Mit dem Kabinettsbeschluss heute, bis zu 1.200 Soldaten in den Krieg gegen den IS zu schicken, wird Deutschland zur Kriegspartei. Die Bundesregierung verstößt mit dieser Entscheidung gegen ihren Amtseid. Sie hält nicht Schaden von der Bevölkerung fern, sondern beschwört ihn geradezu herauf«, warnte Fraktionschef Dietmar Bartsch und weiter: »Das Ziel, dass der IS weg muss, wird von uns geteilt, nur den Weg teilen wir ausdrücklich nicht.« Die von ihm und Sahra Wagenknecht geführte Fraktion ruft zur Teilnahme an einer Protestkundgebung vor dem Brandenburger Tor am Donnerstag auf.
Rüdiger Göbel, jw, 02.12.2015