Stellen sie sich vor, es finden Wahlen statt und die konservative Regierungspartei verliert ihre Mehrheit, die im Gegenzug von drei linken Parteien errungen werden konnte. Doch eben jene linken Kräfte werden vom Staatspräsidenten ignoriert. Stattdessen beauftragt dieser nicht das Mitte-Links-Bündnis, sondern die Konservativen mit der Regierungsbildung und beruft Gespräche zur Schaffung einer großen Koalition ein. Im folgenden scheitern diese Verhandlungen, da die sozialdemokratische Partei wie angekündigt mit Sozialist*innen (BE) und grünen Kommunist*innen (CDU) einen Regierungswechsel einleiten möchte.
Trotzdem weigert sich das Staatsoberhaupt diese Regierungsbildung zu ermöglichen und ernennt den konservativen Spitzenkandidaten im Zuge einer Minderheitsregierung erneut zum Regierungschef.
Klingt nach Absurdistan, ist aber bittere Realität – und zwar nicht in Ägypten, Russland oder der Türkei, sondern mitten in der Europäischen Union. Mitten im von der Krise geplagten Portugal, dass sich nun von den Zwängen der Austerität befreien will. Doch eben jene “internationale Verpflichtungen” sind laut dem portugiesischen Staatspräsidenten Cavaco der Grund für sein Handeln. Das linke Anti-Austeritätsbündnis, dass am 4. Oktober als Sieger der Wahlen hervorging, würde die “politische Stabilität” Portugals und der EU gefährden, so seine Worte in der Fernsehansprache.
Im Gegenzug fürchten viele, dass diese Entwicklungen erst die Demokratie Portugals und anschließend die der ganzen Europäischen Union beschädigen könnte. Denn wenn sich nach Griechenland nun in Portugal und demnächst auch in Spanien demokratische Wahlen als Placebos herausstellen, verlieren sie ihre Bedeutung.
Ein Europa, in dem gewählte Parteien oder gar Regierungskoalitionen an ihrem natürlichen Recht zur Veränderung gehindert werden, wäre zum Scheitern verurteilt.
In Portugal kann dieses Recht in den kommenden Tagen wohl nur dank der Verfassung erhalten bleiben. Nach dieser muss sich der konservative Ministerpräsident Passos nämlich bald einem Misstrauensvotum stellen, dass ihn stürzen und Neuwahlen oder die Bildung der ersten linken Regierung seit der Nelkenrevolution von 1974 zur Folge hätte. Als Demokrat*in kann man nur hoffen, dass es dazu kommt.
David Gutnsohn, freitag, 28.10.15