Löhne rauf – Waffen runter!
Am 14./15.Juni 2024 trafen sich im Stuttgarter Gewerkschaftshaus etwa 200 Kolleg*innen und bis zu 800 im Stream zugeschaltete Menschen zu einer Friedenskonferenz, die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kooperation mit ver.di-Stuttgart organisiert wurde. Es war die zweite Tagung dieser Art.
Zuletzt organisierte die IG Metall Hanau und die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) mit über 500 Teilnehmenden die Rolle der Gewerkschaften als Teil der Friedensbewegung. Diesmal lud der ver.di Bezirk dieser Stadt zusammen mit der Bundes AG Betrieb und Gewerkschaft der Linkspartei und der RLS zu der Veranstaltung ein.[1]
Dem Einladungstext war zu entnehmen, dass die reale Kriegsgefahr auch für Menschen in der Bundesrepublik deutlich zugenommen hat. In diesem Windschatten verfolgt die Bundesregierung unterstützt von CDU und AfD einen seit Ende des Zweiten Weltkriegs noch nie dagewesenen Aufrüstungskurs, der mittlerweile über das bekannte 100 Milliarden Euro Sondervermögen (auch als »Anschubfinanzierung« bezeichnet) hinausreicht. Eine katastrophale Entwicklung: Krieg ist immer auch ökologisch der größte Klimakiller, Sozialkürzungen sind vorprogrammiert und bereits in der Haushaltsdebatte der Bundesregierung eingeplant.
Die Beiträge auf der Stuttgarter Friedenkonferenz drehten sich zum einen um die Ursachenbenennung der vorherrschend Aufrüstungs- und Kriegsrhetorikpolitik. Ingar Solty, RLS, stellte fest »80 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts wird im globalen Süden erwirtschaftet. Werden das die kapitalistischen Kernstaaten akzeptieren?« Das Zentrum der Welt verschiebe sich. Der Westen sehe sich durch die »Hyperkompetenz« Chinas bedrängt. Solty erläuterte anhand von 16 Thesen die politische Weltlage, die nachzulesen nur empfohlen werden kann.*
Bela Galgoczi vom Europäischen Gewerkschaftsinstitut diagnostizierte, Europa sei in einer geopolitischen Klemme zwischen USA und China. Es könne nicht genügend finanzielle Mittel für Investitionen für z.B. die ökologische Transformation aufbringen. Im Gegensatz dazu haben die USA mit dem »Inflation Reduction Act« oder China bereits Anfang der 2000er-Jahre gigantische Mittel aufgebracht.
Die Lage ist also dramatischer als viele sie wahrnehmen, so Tobias Pflüger von der Informationsstelle für Militarisierung (IMI) – eine Feststellung, die nachvollziehbar scheint. Viele Menschen haben mit ihrer Alltagsbewältigung genug zu tun. Da sind geopolitische Themen und ihre gedankliche Durchdringung eher eine Randnotiz. Diese Problematik auf der Konferenz handlungsorientiert zu bearbeiten fehlte. Ein Ansatz war die Forderung, die Gewerkschaften müssten ihr politisches Mandat ausbauen und nicht ausschließlich ihre Kernkompetenz in der Tarifpolitik sehen. Im Übrigen bremsen die Gewerkschaftsführungen eine offensive Friedenspolitik, obwohl die Beschlusslagen, auch bei einiger Kritik im Einzelnen, viele Möglichkeiten eröffnen friedenspolitisch zu Agieren. Das allerdings setzt voraus, dass in den Betrieben die Organisationskraft der Gewerkschaft sich verbessert.
Auch in den gut organisierten Belegschaften fehlt es häufig am Willen, z.B. auf Betriebsversammlungen den Zusammenhang von guten Tarifabschlüssen und frieden- und außenpolitischen Fragen zu thematisieren. Die Bildungsarbeit der Gewerkschaften müssten hier mehr Kompetenzen vermitteln. Ulrike Eifler, DGB-Gewerkschaftssekretärin, formulierte es in ihren Statements so: Tarifpolitik und Abrüstung müssen zusammengedacht werden. Die zukünftigen Umverteilungskämpfe, Tarifverhandlungen sind Verteilungskämpfe, werden die Gewerkschaften nicht bestehen, wenn nicht gleichzeitig eine deutliche Positionierung gegen die gegenwärtige Aufrüstungspolitik vorgenommen wird. Dies kann und muss sich auswirken in einem sehr viel intensiveren Engagement der Gewerkschaften bzw. ihrer Vorstände und Mitglieder. Die kann sich z.B. darüber ausdrücken, dass etwa in der bevorstehenden Tarifbewegung im öffentlichen Dienst klarer als bisher auf den o.g. Zusammenhang hingewiesen wird.
Die Abschlussdiskussion stand unter dem Titel »Weil es um alles geht – Für eine strategische Zusammenarbeit von Gewerkschaften, Friedensbewegung und Klimaaktivsten«. Eine Zielstellung und Botschaft zum Konferenzende, die zwingend die Aufgaben für die nächste Zeit beschreibt. Zwei Termine wurden genannt, an denen diese geforderte Zusammenarbeit erprobt werden kann: 1.September Antikriegstag und am 3.Oktober Großdemonstration in Berlin.
Gewerkschaften, Friedensbewegung und Klimabewegung können an beiden Tagen beweisen, dass sie gewillt sind aus der strukturellen Verbindung von sozial-, klima- und friedenspolitischen Fragen eine politisch praktische, handlungsorientierte Verbindung herzustellen.
Ein persönliches Resümee zum Schluss, trotz aller Widersprüche, die derzeit in der politischen Linken vorhanden sind, habe ich wertvolle Impulse für meine politische Arbeit mitgenommen. Dafür sei den Organisatoren herzlich gedankt.
Berno Schuckart-Witsch ist ehemaliger ver.di Gewerkschaftssekretär und lebt in Hamburg.
Anmerkung
[1] Siehe dazu auch den Beitrag von Ulrike Eifler »Es gibt noch viel zu tun! Gewerkschaftskonferenz für den Frieden«, in: Sozialismus.de Heft 7-8/2024, S. 52–55.
27. Juni 2024 Berno Schuckart-Witsch, aus: Sozialismus