Löst die Corona-Pandemie eine Finanzkrise aus?
Die durch die Corona-Pandemie und den nachfolgenden umfassenden »Lockdown« ausgelösten Wirtschaftsprobleme sind noch längst nicht ausgestanden. Auch wenn man das Risiko einer zweiten Infektionswelle ausschließt, droht im Herbst eine Krise des Bankensektors.
Der Chef der deutschen Finanzaufsicht Bafin, Felix Hufeld, warnt vor einer steigenden Zahl von Kreditausfällen, die in mehreren Wellen die deutsche Bankenbranche treffen werde: »Bei den Banken müssen wir in den kommenden Quartalen coronabedingt mit einem steigenden Volumen an Kreditausfällen rechnen … Alles andere wäre naiv.« Die Zahlen zu Wertberichtigungen der Banken für das erste Quartal seien hier »nur ein Vorgeschmack« gewesen. Mit der ersten Welle der Kreditausfälle sei zum Jahresende und im ersten Quartal 2021 zu rechnen. Mit weiteren Wellen in den Folgejahren. »Wann die Kreditausfälle die Bilanzen erreichen und wie hoch sie sein werden, kann aber niemand seriös vorhersehen«, sagte Hufeld.
Ökonom*innen des Wirtschaftsforschungsinstituts IWH sehen kleinere und regionale Banken wie Volks- und Raiffeisenbanken oder Sparkassen als von der Corona-Krise besonders betroffen, da diese Kreditinstitute stark in kleineren und damit krisenanfälligeren Unternehmen engagiert seien. Zudem zählten zu den Kunden zahlreiche Gesellschaften aus besonders heftig getroffenen Branchen wie dem Einzelhandel oder dem Gastgewerbe. IWH-Präsident Gropp hält daher eine Bankenkrise selbst für den Fall für wahrscheinlich, dass es für die deutsche Wirtschaft insgesamt sehr gut laufe. Es wird nicht nur diejenigen Banken treffen, die wie in der Finanzkrise 2008/2009 am internationalen Finanzkasino der Kreislaufgeschäfte teilgenommen haben, sondern insbesondere Banken »vor Ort«, die traditionell klein- und mittelständische Unternehmen sowie Privatpersonen zu ihrem Kundenklientel zählen.
Die Finanzhäuser klagen bereits über eine Vielzahl von herausgelegten Krediten, die derzeit nicht bedient werden. Banken können Wirtschaften stärken, aber auch schwächen, denn sie sind die, die anderen Organisationen Mittel bereitstellen, die ihnen helfen, ihre Geschäftsziele zu erreichen. Während die globale Finanzkrise vor etwa zwölf Jahren große Skepsis bei Anleger*innen gegenüber Banken hervorrief, wäre es dieses Mal nicht richtig, würden die Lehren aus der Vergangenheit die heutigen Investitionsaussichten negativ beeinflussen.
Wenn es eine Sache gibt, die die Finanzbranche gelernt hat, dann ist es die, dass vergangene Renditen nicht als Indikator für zukünftige Erträge gelten können. Die Sparkassen berichten per Anfang Juli von 189.000 gestundeten Verbraucherkrediten. Auch die ING erklärte, in den vergangenen Wochen vermehrt Anfragen von Privatkund*innen nach Tilgungspausen und Tilgungsherabsetzungen oder Anträge auf Stundung von Raten erhalten zu haben. Die Targobank habe 47.000 Stundungsanfragen von Privat- und Geschäftskunden erhalten, die Commerzbank verzeichne 33.000 Stundungen. Da die Genossenschaftsbanken ähnlich strukturiert sind wie die Sparkassen, dürften bei ihnen die Zahlen ähnlich wie in der Sparkassenorganisation liegen. Nicht zu vergessen die vielen Teilzahlungsbanken, deren Problemlagen entsprechend aussehen dürften. Die Geldhäuser hoffen, dass ihre Schuldner*innen die Zahlungen wieder aufnehmen, wenn sich ihre finanzielle Lage verbessert. Ansonsten könnte eine Bankenkrise drohen, die wiederum Unternehmen und Verbraucher*innen in Mitleidenschaft zieht.
Die Gefahr von Ausfällen besteht nicht nur mit Blick auf Konsumentenkredite. Die problematische Situation vieler Unternehmenskunden könnte für die Banken ebenfalls gefährlich werden. Noch wenig Informationen gibt es zum Bereich der klein- und mittelständischen Unternehmen. Die größte Liquiditätsnot ist durch das recht umfangreiche Unterstützungsprogramm des Bundes und der Länder aufgefangen worden, hilft aber nur für ein gewisses Zeitfenster. Irgendwann müssen die Einnahmen wieder zurückkommen, auch um diese Rucksackkredite bedienen zu können. Die Situation wird von Monat zu Monat gefährlicher und unkalkulierbarer. Noch halten die Banken eher still, irgendwann wird Unruhe aufkommen. In der Vergangenheit hat das immer zu kurzsichtigem Aktionismus geführt.
Probleme bei Privatkunden und Einzelfirmen
Der Weg in eine Abwärtsspirale ist nicht weit: Erst Kreditstundungen, die selbstverständlich nachgezahlt werden müssen, vielleicht auch noch Mietstundungen, die auch nachgezahlt werden müssen, eine unruhig gewordene Bank, die möglicherweise an Auskunfteien nachmeldet, Kredit- und Kontokündigungen, Pfändungen, Insolvenz… gehen schnell.
Länder und ggf. der Bund haben zwar versucht, hier die wirtschaftlichen Probleme zu mildern, bei Lohnabhängigen durch Erhöhung des Kurzarbeitergeldes auf bis zu 80 %, bei Einzelfirmen und Soloselbstständigen durch nicht rückzahlbare Unterstützungszahlungen. In den Berechnungen der Hilfsleistungen sind jedoch lediglich die Kosten aus der selbstständigen Tätigkeit abgedeckt gewesen, nicht die Lebenshaltungskosten, die schon immer in Form von »Privatentnahmen« getätigt wurden.
Zur »Linderung« gibt es zwar über die KfW neue Hilfsprogramme auf Darlehensbasis, Anträge werden jedoch ausschließlich über Steuerberater*innen bzw. Wirtschaftsprüfer*innen angenommen. Einerseits wird die Warteliste, insbesondere in Urlaubszeiten, sehr lang sein, andererseits haben viele kleinere Unternehmen keine Steuerberater*in, sondern eher Einzelpersonen, die die Buchführung machen. Zudem dürften sich die Steuerberater*innen und Wirtschaftsprüfer*innen über dieses »Konjunkturpaket« freuen und ordentlich zulangen, gerade bei bisherigen »Nichtklienten«. Das heißt, mögliche Zahlungen aus diesen Krediten werden, gerade bei »sehr engen Verhältnissen«, viel zu spät erfolgen. Eher unbegreiflich ist, dass Anträge von Hausbanken nicht akzeptiert werden.
Immerhin: Die bisherige Insolvenzantragspflicht (Insolvenzverschleppung bisher als Straftatbestand) wurde bis zum 30.9.2020 ausgesetzt. Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland ist im April aufgrund dieser wegen der Corona-Pandemie erlassenen Sonderregelung erneut gesunken. Nach Mitteilung des Statistischen Bundesamts (Destatis) meldeten Amtsgerichte 1.465 Unternehmensinsolvenzen. Das waren 13,3% weniger als im April 2019. Die wirtschaftliche Not vieler Unternehmen durch die Corona-Krise spiegelt sich somit aufgrund der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bislang nicht in einem Anstieg der gemeldeten Unternehmensinsolvenzen wider.
Neben den Unternehmensinsolvenzen meldeten 4.857 übrige Schuldner*innen Insolvenz an. Das waren 34,2% weniger als im Vorjahresmonat. Darunter waren 3.283 Insolvenzanträge von Verbraucher*innen (minus 40,1%) sowie 1.257 Insolvenzanträge von ehemals selbstständig Tätigen, die ein Verbraucher- bzw. ein Regelinsolvenzverfahren durchlaufen.
Das IWH erwartet laut einer aktuellen Studie selbst bei einem optimistischen Konjunkturszenario negative Folgen für das Finanzsystem. »Selbst wenn es für die deutsche Wirtschaft sehr gut läuft, halten wir eine neue Bankenkrise für wahrscheinlich.« Die Wissenschaftler*innen hatten untersucht, wie anfällig das Firmenkreditportfolio einzelner Banken für Konjunkturschwankungen ist. Nach dem »best-case«-Szenario des IWH erholt sich die Wirtschaft schnell, trotzdem dürften bis zu 6% der Banken gefährdet sein. In diesem Szenario dürften bis zu 127 Mrd. Euro ausfallgefährdet sein. Im »worst-case« könnten bis zu 28% der deutschen Banken schließen oder zur Fusion gezwungen sein. In diesem Szenario dürften laut IWH-Studie bis zu 624 Mrd. Euro von Ausfällen bedroht sein.
Von diesen Szenarien sind insbesondere Sparkassen und Genossenschaftsbanken betroffen. Einerseits haben diese Institute schwerpunktmäßig klein- und mittelständische Unternehmen in ihrer Kundschaft. Diese Kundenkreise sind aufgrund ihrer geringen Größe ohnehin krisenanfälliger, zum anderen gehören diese kleineren Unternehmen zu den Branchen, die stark vom Covid19-Lockdown betroffen waren und immer noch sind. Problematisch für die weiteren Perspektiven der Geld- und Kreditbranche sind die existierenden Überkapazitäten. Die Schlussfolgerung des IWH lautet: »Wir denken, dass eine Konsolidierung des deutschen Bankenmarktes, auf dem derzeit zu viele Institute um zu geringe Erträge buhlen, mittelfristig die Produktivität steigern und damit die Wirtschaft beleben wird.«
Das Kernproblem ist: Die meisten Unternehmen setzen auf einen zügigen Erholungsprozess (eine sogenannte V-Entwicklung). Die realwirtschaftliche Realität sei aber eine andere. In einer Aktualisierung seines Finanzstabilitätsberichts von April kommt der Internationale Währungsfonds (IWF) zum Schluss, dass Aktien und Anleihen über viele Märkte hinweg überbewertet erscheinen. Die Differenz zwischen Marktpreisen und Fundamentalbewertungen sei nahe einem historischen Hoch für die meisten Aktien- und Anleihenmärkte in den Industrieländern. Für diese relative Entkoppelung macht der IWF vor allem die raschen und beispiellosen Maßnahmen der Zentralbanken weltweit verantwortlich. ´
Das Fed, die Europäische Zentralbank, die Bank of Japan sowie die Zentralbanken Kanadas, Schwedens, der Schweiz und Großbritanniens (die sogenannte G-10) haben ihre Bilanzen seit Mitte Januar zusammen um 6 Bio. $ (15% des G-10-BIP) verlängert. Das ist doppelt so viel wie in den Jahren 2008/2009 nach Ausbruch der Finanzkrise. Die Erholung der Realwirtschaft nach den Auswirkungen des umfassenden Lockdowns verläuft jedoch schwächer als zunächst prognostiziert, sie also kann mit diesen Kurssteigerungen an den Wertpapierbörsen nicht mithalten. Die Aktienpreise entfernen sich demzufolge von einer tragbaren Relation zu den Fundamentaldaten. Deshalb wird der Finanzsektor zum dominierenden Element der Wirtschaft, denn es ist lukrativer, zu spekulieren, als in der Realwirtschaft zu investieren.
Der erzwungene Stillstand der Wirtschaft seit dem Frühjahr brachte für viele Unternehmen, Läden und Handwerksbetriebe zweistellige Umsatz- und Gewinnausfälle mit sich. Während im verarbeitenden Gewerbe ebenso viele Firmen Insolvenz anmeldeten wie im Vorjahr, waren es im Handel und im Baugewerbe deutlich weniger.
Doch die Pleitewelle ist nur verschoben. Ursache für die auf den ersten Blick erfreuliche Entwicklung ist, wie bereits erwähnt, die von der Bundesregierung kurzfristig beschlossene Aussetzung der Antragspflicht zur Insolvenz. Unternehmen, die seit dem 1. Januar dieses Jahres zahlungsunfähig sind, müssen dies nicht mehr zwingend anzeigen. Damit soll erreicht werden, dass in der Krise niemand voreilig und zudem noch unverschuldet Insolvenz anmelden muss.
Kritiker*innen fürchten indes verschleppte Insolvenzen, wodurch sich mehr Schulden auftürmen und die Rettung anschließend umso schwieriger wird. Die Zentralbanken haben auf die Krise mit einer Reihe von Regelungen reagiert, um die Marktliquidität und das reibungslose Funktionieren der Banken sicherzustellen. Die Banken werden gedrängt, die Kreditvergabe aufrechtzuerhalten, um die Wirtschaft am Leben zu erhalten, wobei staatlich gestützte Kreditgarantieprogramme dazu beitragen, die Eigenkapitalquoten der Banken zu erhalten und das Risiko dieser Kredite deutlich zu verringern.
Darüber hinaus laufen staatliche Hilfspakete in Milliardenhöhe zur Stützung der Wirtschaft, was im ersten Halbjahr viele Insolvenzen verhindert hat. Dazu zählen auch die von der staatlichen Förderbank KfW bereitgestellten Kredite und Zuschüsse für Firmen, Selbstständige und Gewerbetreibende.
Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben – kein Gesetz kann dauerhaft Insolvenzen verhindern, zumal die Insolvenzantragspflicht nur bis Ende September ausgesetzt ist. »Eine Insolvenzwelle wäre nur dann abzuwenden, wenn es den betroffenen Unternehmen gelänge, bis zu diesem Zeitpunkt die Krisenfolgen zu überwinden und sich wieder zu stabilisieren. (…)
Im Herbst kann sich die Situation negativ zuspitzen«, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Martin Wansleben. Es werde dann in vielen Fällen das nötige Eigenkapital fehlen.
Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), der neben Krediten und Bürgschaften auch Firmen wie zuletzt der Lufthansa Eigenkapital zuschießen kann, müsse dringend erweitert werden, forderte der DIHK. Firmen mit weniger als 250 Mitarbeiter*innen müssten auch einen Zugang bekommen. »Wir sehen keine Alternative dazu«, so Wansleben weiter. Es müssten aber private Geldgeber – Lebensversicherer oder Fonds beispielsweise – ins Boot geholt werden. »Der Staat kann es nicht alleine richten.« Es werde spätestens im Herbst einen Wettlauf um Eigenkapital geben. Denkbar seien Beteiligungen über Co-Investments von privaten Geldgebern zusammen mit dem Staat oder mit einer Absicherung des Staates. Ein ganz neuer Fonds mache keinen Sinn, es solle auf vorhandenen Strukturen wie dem WSF aufgesetzt werden.
17. Juli 2020 Joachim Bischoff/Norbert Weber, aus: sozialismus