Neue Arbeitslosenzahlen der BA: Die Folgen der Corona-Rezession für den Arbeitsmarkt
Die durch die Corona-Pandemie bedingte Wirtschaftskrise hinterlässt dramatischere Verwüstungen auf dem Sektor der Lohnarbeit als die Finanzkrise ab 2009. Zehntausende Menschen sind in Kurzarbeit und auch die Zahl der Arbeitslosen steigt. Und die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat deutlich mehr Ausgaben als vorhergesehen.
Zugleich schrumpfen die Einnahmen der Behörde. Weil die Beschäftigung sinkt, fließen weniger Beiträge in die Arbeitslosenversicherung. Noch in diesem Jahr benötigt die BA einen zweistelligen Milliardenbetrag aus Steuermitteln. Wie dramatisch die Lage für die Lohnabhängigen noch werden wird, lässt sich aktuell nicht verlässlich einschätzen.
Die Arbeitslosenzahlen sind im Mai, in dem normalerweise eine Frühjahrsbelebung in der Wirtschaft einsetzt, weiter stark gestiegen: Es waren 169.000 Menschen mehr arbeitslos als im April – insgesamt 2,8 Mio, die Arbeitslosenrate stiegt auf 6,1%. »Der Arbeitsmarkt ist wegen der Corona-Pandemie weiterhin stark unter Druck«, sagte Detlef Scheele, Chef der Bundesagentur für Arbeit. »Jeder fünfte Arbeitslose geht auf den Corona-Effekt zurück.« Im Vergleich zum Jahr davor waren fast 600.000 Menschen mehr ohne Arbeit.
Außerdem meldeten die Unternehmen im Mai für eine Million Beschäftigte zusätzlich Kurzarbeit an, nach zusammen 10,7 Mio. im März und April. Nach Berechnungen des Münchner Ifo-Instituts waren im Mai 7,3 Mio. Beschäftigte in Kurzarbeit. »Diese Zahl war noch nie so hoch«, sagt Ifo-Arbeitsmarktexperte Sebastian Link. In der Finanzkrise lag der Gipfel der Kurzarbeit im Mai 2009 bei knapp 1,5 Mio. Menschen.
Der gesellschaftliche »Shutdown« und in der Folge die Rezession hinterlassen am Arbeitsmarkt tiefe Spuren. Auch die Bundesregierung geht mittlerweile von einem massiven Einbruch in der Wirtschaftsleistung aus (-6,3% für 2020) aus. Viele Wirtschaftsbereiche mussten zeitweilig die Wertschöpfung massiv einschränken. Ein Großteil der Industrie leidet unter einem gravierenden Einbruch der Nachfrage im In- und Ausland sowie Störungen der Lieferketten.
Auch viele Dienstleistungen werden krisenbedingt nicht oder deutlich weniger in Anspruch genommen. Außerdem kommt es zu Arbeitsausfällen, etwa weil Schulen und Kindertagesstätten geschlossen sind und berufstätige Eltern ihre Kinder selbst betreuen müssen. Es kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden, dass die Abwärtsspirale in der Weltwirtschaft längst noch nicht ihre Dynamik verloren hat.
Die globale Einschränkung der gesellschaftlichen Arbeit hat drastische Konsequenzen für den Welthandel und die internationalen Wertschöpfungsketten. Während China bereits Produktion und Handel wiederbelebt, steht der Höhepunkt der Krise in den USA erst noch bevor. So musste das Land bereits im 1. Quartal 2020 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf das Jahr gerechnet von 4,8% hinnehmen. Der Konsum allein ging um 7,6% zurück, die Investitionen sogar um 8,6%. Ökonomen erwarten, dass das 2. Quartal noch deutlich schlechter ausfallen wird.
Beim weltweiten Handelsvolumen wird mit einem Rückgang gegenüber dem Vorjahr um ein Viertel aus. Die Welthandelsorganisation hält in einem Negativszenario sogar Rückgänge um mehr als 30% für möglich. Die deutschen Exporte werden dabei stärker sinken als die Importe, wodurch der Außenbeitrag deutlich zurückgeht.
Unter diesen Voraussetzungen erwartet das Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB) für das Jahr 2020 in Deutschland eine Schrumpfung des realen BIP von 8,4% und ist damit ähnlich wie die OECD noch deutlich skeptischer als die Bundesregierung, die mit einem Rückgang um 6,3% rechnet. Der Einbruch im zweiten Quartal liegt laut IAB bei 14,6%. In der Folge komme eine Erholung in Gang, das BIP im zweiten Halbjahr 2020 liege aber immer noch um 6,8% unter dem Wert des Vorjahreszeitraums.
Wirkungen auf den Arbeitsmarkt
Neu sind die Ausfälle von Wirtschaftstätigkeit gerade in Bereichen, die üblicherweise weniger von Konjunkturschwankungen betroffen sind. Insbesondere bei eher kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen, Einfacharbeitsplätzen und Minijobs, die in vielen der vom »Shutdown« betroffenen Bereiche stark vertreten sind, ist eine Verlängerung des Beschäftigungsverhältnisses eher schwieriger.
Die Kurzarbeit dient dazu, Arbeitnehmer*innen mit staatlicher Hilfe für die Unternehmen in einem Beschäftigungsverhältnis zu halten und Entlassungen zu vermeiden. Für die Beschäftigten können Unternehmen Kurzarbeitergeld bei der BA beantragen, das den fehlenden Lohn teilweise ausgleicht. Es handelt sich also um sozialstaatliche Brückenfunktion, um in den Krisenmonaten die Belegschaften zusammenzuhalten.
Auch in der Zeitarbeit, die häufig als Puffer für konjunkturelle Schwankungen dient, ist mit einem starken Einbruch zu rechnen. Schließlich sind die Unternehmen mit Neueinstellungen und Ausbildungsverhältnissen sehr zurückhaltend. Der massive Druck auf die Beschäftigungsverhältnisse zeigt sich in dem neuen Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit für den Monat Mai.
Die dramatischste Folge von »Shutdown« und Wirtschaftseinbruch ist der enorme Anstieg der Kurzarbeit. Nach vorläufigen Daten der BA wurde im März für 2,02 Mio. Arbeitnehmer*innen konjunkturelles Kurzarbeitergeld gezahlt, nach 132.000 im Februar und 32.000 im März des Vorjahres. Damit nahmen 6% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Kurzarbeit in Anspruch und lag damit weit über den Werten zur Zeit der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009.
Damals wurde im Mai 2009 ein Höchstwert von 1,44 Mio. Personen in konjunktureller Kurzarbeit erreicht. Und die Weltfinanzkrise betraf in Deutschland wegen der globalen Nachfrageausfälle vor allem die Exportindustrie. Dort konzentrierte sich daher auch die Kurzarbeit. Von der Corona-Krise sind jedoch neben der Industrie viele weitere Branchen betroffen, vor allem im Dienstleistungsbereich.
Im Jahr 2009 waren aufgrund der relativ schnellen Erholung der Wirtschaft im Schnitt 40,3% der Kurzarbeiter*innen weniger als drei Monate in Kurzarbeit, 68,3% weniger als sechs Monate. Aber selbst 2009 fiel die Zahl der Kurzarbeiter*innen, die im Frühjahr bei rund 1,3 Mio. lag, trotz der raschen wirtschaftlichen Erholung erst gegen Jahresende wieder unter die Millionenschwelle. Wie viele Menschen in der Corona-Krise wie lange in Kurzarbeit sein werden, wird stark von der Dauer der Rezession abhängen.
Vor Beginn der Kurzarbeit müssen Betriebe den voraussichtlichen Arbeitszeitausfall anmelden. Diese Anzeigen können als potenzielle Zugänge und damit als Frühindikator für die künftige Inanspruchnahme von Kurzarbeit interpretiert werden. Aktuelle Daten zu den geprüften Anzeigen liegen bis zum 27. Mai vor. Danach wurden vom 1. bis einschließlich 27. Mai für 1,06 Mio. Personen konjunkturelle Kurzarbeit angezeigt, nach 8,02 Mio. im April und 2,64 Mio. im März, in der Summe also für 10,66 Mio. Menschen.
Zum Vergleich: Im gesamten Krisenjahr 2009 gingen bei den Agenturen für Arbeit Anzeigen für 3,3 Mio. Beschäftigte ein. Den Zahlen Münchener Ifo-Instituts zufolge arbeiteten in der Industrie zuletzt 2,2 Mio. Menschen verkürzt. Das war fast ein Drittel (31%) des gesamten Personals. Dem verarbeitenden Gewerbe fehlten wegen der Quarantänemaßnahmen nicht nur die Kund*innen, teilweise wurden auch die Lieferketten unterbrochen. In anderen Wirtschaftsbereichen waren die Effekte ebenfalls gravierend. Im Handel mussten die Betriebe 1,3 Mio. oder 29,7% ihrer Beschäftigten in Kurzarbeit schicken. Insgesamt konnte im Frühjahr 2020 gut ein Fünftel (21,7%) aller Arbeitnehmer*innen nicht wie gewohnt Einkommen aus Erwerbsarbeit beziehen. In der Geschichte der Bundesrepublik ist das einmalig.
Fast alle Branchen im Abwärtssog
»Im Gegensatz zur Finanzkrise, als mehr als 80% der Kurzarbeiter in der Industrie beschäftigt waren, wird Kurzarbeit in der Corona-Krise über fast alle Wirtschaftszweige hinweg eingesetzt«, erklärt Ifo-Arbeitsmarktexperte Link. Nur sehr wenigen Branchen gelang es, sich dem Abwärtssog zu entziehen. Relativ gering blieb die Zahl der Kurzarbeiter*innen im Bereich Hoch- und Tiefbau. Dort mussten nur rund 4% der Beschäftigten ihre Arbeitszeit reduzieren und Gehaltseinbußen hinnehmen. In absoluten Zahlen waren im Frühjahr 2020 gleichwohl 22.000 Arbeiter im Bauhauptgewerbe auf Kurzarbeit.
Unter welchen enormen Stress der Corona-»Lockdown« die deutsche Wirtschaft gesetzt hat, macht der Vergleich mit dem Vorjahr deutlich: Das Jahr 2019 verlief für die Industrie alles andere als blendend, nach revidierten Zahlen schrumpfte das BIP im 4. Quartal sogar. Dennoch befanden sich im Gesamtjahr 2019 deutschlandweit nur rund 374.000 Menschen in Kurzarbeit: 2020 sind es bislang insgesamt fast 20mal so viele.
Kosten von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit
Sowohl Arbeitslosengeld als auch Kurzarbeitsgeld werden über die BA finanziert, die in den zurückliegenden Jahren Überschüsse ansammeln konnte. Bei den absehbar drastischen Konsequenzen der Krise für den Arbeitsmarkt sind die Reserven der Arbeitslosenkasse von immerhin 26 Mrd. Euro begrenzt. Die BA hat drei Szenarien für die Entwicklung der Kurzarbeiterzahl und die entsprechenden Kosten durchgerechnet.
Für den Extremfall geht sie von acht Mio. Kurzarbeiter*innen in der Spitze und 2,6 Mio. Kurzarbeiter*innen im Jahresdurchschnitt aus. In diesem Szenario bräuchte sie schon in diesem Jahr einen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt. Der Beschluss von Union und SPD, das Kurzarbeitergeld – gestaffelt nach der Bezugsdauer – auf bis zu 80% und für Kurzarbeiter*innen mit Kindern auf bis zu 87% zu erhöhen, ist hier noch nicht mit eingerechnet.
Mitte März hatte das Bundesarbeitsministerium noch geschätzt, dass es aufgrund der Corona-Krise bis zu 2,35 Mio. Kurzarbeiter geben werde und dafür mit Kosten von rund 10 Mrd. Euro gerechnet. In Folge der großen Finanz- und Wirtschaftskrise hatte die BA zwischen 2009 und 2012 rund 8,5 Mrd. Euro dafür ausgezahlt.
Einbruch bei gemeldeten Arbeitsstellen und Stellenzugängen
Ein wichtiger Indikator für die Veränderungen am Arbeitsmarkt ist der Bestand an gemeldeten Arbeitsstellen bzw. Stellenzugängen. Der ist im Mai saisonbereinigt weiter deutlich gesunken, und zwar um 44.000, nach -67.000 im April und -11.000 im März. Nicht saisonbereinigt belief sich der Bestand im Mai auf 584.000 Arbeitsstellen. Das waren 208.000 oder 26% weniger als vor einem Jahr, nach 169.000 oder -21% im April.
Die Stellenzugänge, die ein besserer Indikator für die Einstellungsdynamik der Betriebe sind als die Bestandszahlen, haben sich im Mai auf niedrigem Niveau gefangen. In saison- und kalenderbereinigter Rechnung sind sie von April auf Mai um 25.000 gestiegen, nach -79.000 im April. Nach den Ursprungszahlen wurden im Mai 102.000 Stellen gemeldet, das waren 67.000 oder 40% weniger als im Mai des Vorjahres. Im April hatte der Rückgang noch 109.000 oder 59% betragen.
Laut BA hat der Bestand an gemeldeten Arbeitsstellen im April saisonbereinigt um 66.000 abgenommen, nach -10.000 im März und -6.000 im Februar. Nicht saisonbereinigt belief sich der Bestand im April auf 626.000 Arbeitsstellen. Das waren 169.000 oder 21% weniger als vor einem Jahr, nach -106.000 oder -13% im März.
Deutlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit
Die Arbeitslosenzahl ist auf insgesamt 2.813.000 gestiegen. Die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit), die auch Veränderungen in der Arbeitsmarktpolitik und kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit berücksichtigt, hat sich im Mai saisonbereinigt um 170.000 erhöht, nach +235.000 im April. Dass die Arbeitslosigkeit saisonbereinigt erneut deutlich stärker gestiegen ist als die Unterbeschäftigung, hängt vor allem damit zusammen, dass infolge der Kontaktbeschränkungen der Einsatz von Arbeitsmarktpolitik deutlich zurückgegangen ist.
Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der Arbeitslosen im Mai um 577.000 oder 26% erhöht, nach +415.000 oder +19% im April, aber »nur« +34.000 oder +1% im März. Die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit) ist gegenüber dem Vorjahr um 383.000 oder 12% gestiegen, nach +260.000 oder +8% im April, aber »nur« +28.000 oder +1% im März.
Der Anstieg von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sind laut BA maßgeblich durch die Corona-Krise bestimmt. Sie dürfte die Arbeitslosigkeit bisher um schätzungsweise 578.000 erhöht haben – mit folgenden Komponenten:
- Anstieg der Arbeitslosigkeit um 162.000 (28% an dem Corona-Effekt), weil mehr Personen ihre Beschäftigung verloren oder ihre Selbständigkeit aufgegeben haben.
- Anstieg der Arbeitslosigkeit um 138.000 (24%), weil weniger Personen ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer Beschäftigung oder Selbständigkeit beenden konnten.
- Anstieg der Arbeitslosigkeit um 188.000 (33%), weil weniger Personen eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme absolvieren oder nicht als kurzfristig Arbeitsunfähige erfasst und stattdessen als arbeitslos geführt werden.
- Anstieg der Arbeitslosigkeit um 90.000 (16%) aus sonstigen Gründen. Hierunter fallen vor allem weniger Abmeldungen aus Arbeitslosigkeit, weil aufgrund der geringeren Kontaktdichte von Vermittlern und Arbeitslosen weniger Verfügbarkeitsüberprüfungen durchgeführt wurden.
Entwicklung in den Ländern
Die größten Zuwächse an Arbeitslosen gegenüber dem Vorjahr gibt es in Bayern und Baden-Württemberg mit 44% und 41%.Die geringsten Zuwächse weisen die ostdeutschen Flächenstaaten auf, den geringsten Vorjahresanstieg gab es in Sachsen-Anhalt und Brandenburg mit jeweils +15%.
Bemisst man den Corona-Effekt als Anteil an der Arbeitslosigkeit, waren in Deutschland 21% der Arbeitslosen vom Mai aufgrund der Corona-Krise arbeitslos. Dieser Anteil reicht von 15% in Bremen und im Saarland bis zu 28% in Bayern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch ohne Corona die Arbeitslosigkeit in den Ländern unterschiedlich hoch ist, wodurch der Anteil des Corona-Effekts in Ländern mit niedriger Arbeitslosigkeit wie Bayern und Baden-Württemberg tendenziell höher und in Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit wie Bremen und Saarland tendenziell niedriger ausfällt.
Mehr Entlassungen, weniger Neueinstellungen
Auch die Zahlen der mit Arbeitslosigkeit in Verbindung stehenden Entlassungen und Neueinstellungen zeigen, dass die Corona-Krise den Arbeitsmarkt bereits jetzt deutlich härter trifft als die Finanzkrise 2009. So haben sich allein im April dieses Jahres über 100.000 Personen mehr aus der Beschäftigung heraus arbeitslos gemeldet als im Vorjahresmonat. Damit fällt die Reaktion auf die Corona-Krise binnen nur eines Monats bereits deutlich stärker als im gesamten Jahresverlauf 2009. Es bleibt abzuwarten, wie lange sich diese Entwicklung fortsetzt.
Die Corona-Krise betrifft aber nicht nur Personen, die arbeitslos werden, sondern auch Menschen, die bereits arbeitslos sind und derzeit nur schwer wieder eine Beschäftigung finden. Im April dieses Jahres haben die Neueinstellungen aus Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Vorjahresniveau deutlich abgenommen (-78.000).
Perspektiven
Das IAB rechnet damit, dass die Zahl der Erwerbstätigen in den kommenden Monaten um rund eine Million Personen sinken und die Zahl der Arbeitslosen in den nächsten Monaten auf über drei Millionen steigen wird. Ob es 2. Halbjahr wieder zu einem Rückgang bei Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit kommt, hängt erstens davon ab, ob die wirtschaftliche Belebung weiter zunimmt, und zweitens von der Auflage und Dimension eines staatlichen Konjunkturprogramms, das einen wesentlichen Beitrag zur Wiederankurbelung und Reorganisation der gesellschaftlichen Wertschöpfung leisten muss.
Dazu gehören würden massive Investitionen in die soziale Infrastruktur (Krankhäuser, Schulen, Wohnungen) sowie Maßnahmen zur Eindämmung prekärer Beschäftigung ebenso gehören wie eine Erhöhung des Mindestlohns sowie die Verbesserung der sozialen Mindestsicherung.
Kurzarbeit sichert Arbeitsplätze, die sonst in der Krise verlorengehen würden. Dieses Instrument nützt den Unternehmen, weil der betriebliche Arbeitskörper zusammengehalten wird. Und Kurzarbeit hat auch für die Lohnabhängigen eine Brückenfunktion, weil die Rückkehr aus der Arbeitslosigkeit in ein Beschäftigungsverhältnis mit mehr Hürden verbunden ist.
Außerdem verursacht Arbeitslosigkeit gesellschaftlich weit höhere Kosten als das Kurzarbeitergeld. Und auch die gestaffelte Erhöhung des Kurzarbeitergeldes ist trotz der zusätzlichen Kosten richtig. Erstens hilft sie Menschen, ihre Miete oder auch Kreditraten zu bezahlen und stärkt die gesellschaftliche Nachfrage stärker als wenn das Arbeitslosengeld.
Insofern ist die Forderung nach einer Verbesserung des Kurzarbeitergeldes auch weiterhin wichtige. Allerdings besteht bei der gegenwärtigen Regelung trotz geplanter Aufstockung die Gefahr, dass Menschen aufgrund von Kurzarbeit in die Grundsicherung abrutschen können, also bei der Arbeitsagentur aufstocken müssen. Wir brauchen also zusätzlich eine Staffelung, die Geringverdiener*innen eine höhere Zahlung garantieren würde. Außerdem muss die Kurzarbeitsmöglichkeit auch auf Minijobber*innen und neu eingestellte Mitarbeiter*innen ausgeweitet werden.
Kurzarbeit darf nicht zum Allheilmittel werden, auch wenn sie Folgen der gegenwärtigen Krise abzufedern vermag. Entscheidend für die Belebung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses bleibt, ob durch die staatlichen Fördermaßnahmen nicht nur Brücken gebaut und Kaufkraft bei den Lohnabhängigen stabilisiert wird, sondern die gesellschaftliche Wertschöpfung wieder Fahrt aufnimmt.
3. Juni 2020 Joachim Bischoff/Bernhard Müller, sozialismus