Plan C: Varoufakis startet neue Bewegung in Berlin
Aktivisten-Netzwerk soll am 9. Februar gegründet werden / »DiEM 25« will als »dritte Alternative« zwischen Renationalisierungsirrweg und »anti-demokratischen EU-Institutionen« wirken
Die neue europäische Bewegung des früheren griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis soll am 9. Februar in Berlin starten. Der Ökonom hatte die Gründung bereits seit längerem angekündigt. Es gehe ihm keineswegs darum, eine neue Partei zu starten, hatte Varoufakis immer wieder erklärt – vielmehr gehe es um eine »dritte Alternative« zwischen der falschen Strategie, in den »Kokon der Nationalstaaten« zurückzustreben und dem ebenso falschen Kurs, sich »anti-demokratischen EU-Institutionen« zu unterwerfen.
Die als paneuropäisch angekündigte Bewegung habe »ein einziges, radikales Ziel: die EU zu demokratisieren«, so Varoufakis schon vor einigen Tagen in der italienischen Zeitung »L’Espresso«. Man wolle versuchen, »die Energie der pro-europäischen, radikalen Kritiker der Institutionen in Brüssel und Frankfurt« zu bündeln, um einen »Zerfall der EU zu verhindern«, so der Ex-Minister.
Europäer sollen auf die Straße gehen
Varoufakis hatte sich bereits in der Vergangenheit von Positionen distanziert, die aus der Kritik am krisenpolitischen Regime in Europa heraus auf einen Ausstieg aus der Eurozone oder der EU orientierten. »Wir sollten nicht wieder zurück zum Nationalstaat gehen wollen«, hatte er unter anderem gegenüber »neues deutschland« erklärt. »Doch wir sollten nicht auf das Ende der Eurozone hinstreben. Wir sollten versuchen, die Eurozone zu reparieren.« Dafür müssten »die Europäer aktiv werden und auf die Straße gehen. Sie müssen die Politiker dazu drängen, die Sachen anders zu machen«.
Zwischenzeitlich hatte sich Varoufakis auch an Debatten über einen möglichen »Plan B« beteiligt. Eine im November in Paris geplante Konferenz konnte wegen der Terroranschläge nicht stattfinden. Einige der angekündigten Teilnehmer konnten sich in der französischen Hauptstadt immerhin über das weitere Vorgehen verständigen: Man wolle sich nun im Januar 2016 in Paris treffen, der »Kampf für einen Plan B in Europa« sei jeden Tag mehr denn je notwendig. Deshalb strebe man eine »dauerhafte Konferenz« an, heißt es in einer unter anderem von der Globalisierungskritikerin Susan George, von Italiens Ex-Finanzminister Stefano Fassina und vom früheren SPD- und Linkspartei-Vorsitzenden Oskar Lafontaine unterzeichneten kurzen Erklärung.
Der Name von Varoufakis stand nicht darunter. Der »Plan B« schließt an die Einschätzung an, die Erpressung von SYRIZA durch die Gläubiger hätte verhindert werden können, wenn in Athen mit einer praktizierbaren Alternative gedroht hätte werden können. Einige haben dazu den Grexit von links als Möglichkeit bezeichnet, von anderen wurde eine rein währungspolitische Strategie als falsch zurückgewiesen. Und wiederum andere haben erklärt, das Problem der europäischen Linken liege weniger in einem fehlenden »Plan B« als in einem unzureichenden »Plan A«.
Zusammenbruch des Euro würde Rechtsruck verschärfen
Kommt nun also ein »Plan C«? Varoufakis hat seine Überlegungen in der spanischen Zeitung »El Diario« noch einmal historisch untermauert. Er verwies gegenüber dem Blatt auf den Zusammenbruch des Gold Standards 1929. So wie damals könnten ein Zusammenbruch des Euro und die fortlaufende Krise »zu Hoffnungslosigkeit, Depression, Angst« führen – laut dem Griechen alles Faktoren, »die Renationalisierung, den Aufstieg des Ultranationalismus, das Wiederaufleben von Rassismus und letztlich die Rückkehr von Neonazis« befördern.
Der Gedanke dahinter hat die politische Agenda von Varoufakis stets beeinflusst. Das Motiv in drei Sätzen: Der Zusammenbruch des kapitalistischen Europa, wie wir es derzeit kennen, öffnet nicht das Fenster in eine andere, eine bessere Welt, sondern würde in die Katastrophe führen. Die Möglichkeit einer Alternative offen zu halten heiße also, man müsse das Falsche verteidigen, um Zeit für die Arbeit am Richtigen zu gewinnen.
Ausführlich hat dies Varoufakis bei einer Konferenz 2013 in Zagreb erläutert – die deutsche Übersetzung seines Vortrags gibt es hier. Es ist ein Gedanke, der anschlussfähig ist auch in der aktuellen Debatte darüber, ob die Parteien der Linken und der Mitte über eine Art historischen Kompromiss nachdenken sollten – weil, so hat es der frühere Linksfraktionschef Gregor Gysi unlängst formuliert, »wir alle verlieren werden, wenn es uns nicht gelingt, ein funktionierendes, überzeugendes, linkes Projekt gegen die Rechts-Entwicklung in Europa und in Deutschland auf die Beine zu stellen«.
Es geht nicht um Parteipolitik – im Gegenteil
So sehr aber auch Varoufakis die Sorge darum treibt, die gegenwärtige Krisenpolitik in Europa sowie die sozialen und politischen Auseinandersetzungen, die auf dem Rücken der vor Not, Krieg und Verfolgung Flüchtenden derzeit geführt werden, könnten den Aufstieg von rechten Parteien befördern, so wenig geht es ihm selbst um Parteipolitik. Die angestrebte paneuropäische Bewegung sei ja gerade eine Antwort auf die Erkenntnis, dass selbst Politiker in Regierungen nicht wirklich an der Macht sind. Dies gelte auch für »Premierminister, Präsidenten und Finanzminister von leistungsfähigen EU-Staaten«, deren Politik von einer europäischen »Schattenwelt aus Bürokraten, Bankiers und nicht gewählten Beamten« bestimmt werde. Auch das Europäische Parlament sei »nur ein Feigenblatt«, der »Europas Mangel an authentischer, parlamentarischer Demokratie« verstecken solle.
Varoufakis glaubt, es gebe kein anderes Mittel als eine wahrhaft proeuropäische Bewegung, »um die schreckliche Rückkopplung« zwischen aufsteigendem Autoritarismus und verfehlter Wirtschaftspolitik zu brechen – eine Rückkoppelung, so der Ökonom, die Europa zerstören werde und dem Ultranationalismus die Tür öffnet, wenn jetzt nicht gegengesteuert wird. Und dazu, das ist auch eine Botschaft des Griechen, haben die etablierten Parteiensysteme und parlamentarischen Rahmenbedingungen nicht die Kraft.
Erst einmal gehe es nun darum, die Bewegung zu gründen. Dass dies Anfang Februar in Berlin geschehen soll, ist freilich auch ein Symbol – die Rettung Europas vor der falschen, in Deutschland orchestrierten Krisenpolitik soll in der Hauptstadt über die Bühne gehen, die bisweilen unverhohlen ihre auf Exportnationalismus gründende Vormachtstellung auszubauen versucht ist.
Die Richtung ändern: Erst Europa, dann der Rest
Detaillierte Pläne auch zu der Frage, wie man die angestrebte Demokratisierung der EU-Institutionen bewerkstelligen möchte, verrät Varoufakis noch nicht – es sei auch die Aufgabe der neuen Bewegung, der in ihr wirkenden Aktivisten, das Gespräch darüber noch zu führen. Der Ex-Minister glaubt an einen paneuropäischen Konsens, der dann einen jeweiligen politischen Ausdruck in den einzelnen EU-Staaten finden wird. Dies könnten in einzelnen Ländern dann sogar neue Parteien sein, sagte Varoufakis gegenüber »El Diario« – oder Bewegungen, die Bündnisse mit bestehenden Parteien schließen.
Entscheidend sei eines, und das gehe über alle anderen Fragen: Die neue paneuropäische Bewegung werde nicht mehr in die Richtung des aktuellen Modus laufen – Politik wird von der nationalstaatlichen Ebene her gedacht und dann in unzureichenden europäischen Institutionen auf transnationales Niveau befördert. Die neue Bewegung, von der Varoufakis sagt, sie werde auf einem »radikalen Internationalismus« gründen, soll überall zuerst das Europäische adressieren, soll das Demokratiedefizit der EU ins Zentrum rücken – und erst dann in die »nationalen, regionalen und lokalen Wahlprozesse« hinabsteigen.Auf die Frage, was die neue Bewegung nun als nächstes machen werde, sagte Varoufakis in »El Diario«, man stehe noch ziemlich am Anfang, es seien »sehr frühe Tage«. 2016 werde es darum gehen, »Wurzeln in jeder Stadt, in jedem EU-Mitgliedsstaat« zu schlagen. Es sei »ein wirklich utopisches Unterfangen«, sagte Varoufakis. »Aber wenn wir scheitern, erwartet eine schreckliche Dystopie unser gespaltenes, delegitimiertes Europa.«
Tom Strohschneider, nd. 2.1.15