Poststreik: Es geht um alle
Der unbefristete Arbeitskampf bei der Deutschen Post AG ist angelaufen. Zunächst sollen die Verteilzentren und dann auch die Brief- und Paketzustellung in den Ausstand einbezogen werden. »Dieser Streik soll möglichst schnell eine wirtschaftliche Beeinträchtigung bei der Post hervorrufen«, so ver.di-Verhandlungsführerin Andrea Kocsis. Das wird nicht leicht. Denn zum einen haftet die Post nicht dafür, dass die täglich 64 Millionen Briefe und 3,4 Millionen Pakete pünktlich beim Adressaten ankommen. Der Schaden kann also lediglich darin bestehen, dass Kunden zu konkurrierenden Paketdiensten abwandern. Zum anderen hat der Konzern einige Möglichkeiten, die Streikfolgen gering zu halten – und davon macht er trotz juristischer Einwände offenbar ausgiebig Gebrauch.
So sind die rund 40.000 Postbeamten nicht nur nicht zum Streik aufgerufen. Einige von ihnen werden auch »freiwillig« als Streikbrecher herangezogen. Rechtlich ebenso dubios ist der Einsatz von Leiharbeitern und Sonntagsarbeit, mit denen die Wirkung untergraben werden soll. Gerichte und Politik stärken dem einstigen Staatskonzern dabei den Rücken. So hat das Bonner Arbeitsgericht einen ver.di-Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen die Versetzung von Beamten auf bestreikte Arbeitsplätze abgelehnt. Und die Landesregierungen weigern sich, zum Beispiel in Hessen, gegen die illegale Anordnung von Sonntagsarbeit einzuschreiten.
Für ver.di ist der Konflikt bei der Post von entscheidender Bedeutung. Wenn es dem Konzern gelingt, seine Ausgliederungsstrategie umzusetzen, ist eine weitere Hochburg gewerkschaftlicher Organisation geschleift. Das zu verhindern, wird trotz des hohen Organisationsgrads nicht leicht. Denn die Konstellation ist kompliziert: Die Stammbeschäftigten sollen für ihre Kolleginnen und Kollegen kämpfen, die in billigere Tochtergesellschaften abgeschoben wurden oder werden sollen. Die Streikenden selbst sind davon scheinbar nicht betroffen. Die Unternehmensspitze könnte daher versuchen, Stammkräfte und prekär Beschäftigte gegeneinander auszuspielen. Wenn ihr eine solche Spaltung gelingt, hat der Konzern gewonnen.
Ver.di muss daher alles daran setzen, der Belegschaft klarzumachen: Es geht um alle. Wenn das Management mit seiner Taktik durchkommt, steht eher früher als später auch der Post-Haustarif zur Disposition. Leider haben sich die ver.di-Verhandlungsführer in dieser Hinsicht selbst eine schlechte Ausgangssituation verschafft. Ihr öffentlich lanciertes Angebot einer Nullrunde für alle und eines langsameren Stufenaufstiegs für Neueingestellte dürfte die Kampfmoral und Solidarität nicht gerade gesteigert haben.
Unverständlich ist auch, warum sich die Gewerkschaft nicht per Urabstimmung ein starkes Votum für den Arbeitskampf verschafft. Formell mag das nicht nötig sein. Die Legitimität dieses harten und wahrscheinlich langwierigen Streiks hätte ver.di damit aber erhöht.
Fact Sheet zum Tarifkonflikt bei der Deutschen Post AG
Fraktion DIE LINKE im Bundestag
linksfraktion.de, 09.06.2015
Der aktuelle Tarifkonflikt bei der Deutschen Post AG ist kein gewöhnlicher. Der DPAG geht es gut: 2014 erzielte sie einen hohen Gewinn von 2,07 Mrd Euro, das operative Ergebnis stieg um 3,5% gegenüber 2013. Die Dividende für die Aktionäre wird daher auch um über 6% erhöht. Doch bis zu 20.000 Beschäftigte will die DPAG aus dem Haustarif raushaben und lagert sie deshalb aus.
Dabei haben die Beschäftigten für einen Vertrag zum Schutz vor Fremdvergaben bereits auf viel Geld verzichtet. Daher nutzte die DPAG einen Trick: Sie hat die Zahl der befristeten Beschäftigten kontinuierlich erhöht. Nun wird ein Teil der zu den Konditionen des Haustarifvertrages der Deutschen Post AG befristet Beschäftigten vor die Wahl gestellt, die Arbeit zu verlieren oder die gleiche Arbeit zu schlechteren Bedingungen bei den neu gegründeten Regionalgesellschaften (DHL Delivery GmbHs) fortzusetzen. In Hessen macht das beispielweise nach 15 Beschäftigungsjahren 30 Prozent weniger Gehalt aus.
Die DPAG hat dazu im Januar 2015, parallel zur bundesweit bestehenden Niederlassungsstruktur, 49 Regionalgesellschaften für die Paketzustellung gegründet. Dort sind in einem ersten Schritt 5000 Zustellbezirke eingerichtet worden. 5500 Mitarbeiter arbeiten dort seit 1.4. zum Tarifvertrag der Logistikbranche. 80% hatten vorher einen befristeten Vertrag bei der DPAG.
Ver.di wehrt sich gegen diesen offensichtlichen Versuch der DPAG, auf Kosten der Beschäftigten noch mehr Gewinn einzuheimsen. Ver.di fordert als Ausgleich eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 auf 36 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Die Friedenspflicht endete am 1. April. Ende Mai laufen zudem die Entgelttarifverträge aus. Die Lohnforderung von ver.di beläuft sich dabei auf 5,5%.
Die ersten Warnstreiks haben bereits stattgefunden, die Beteiligung war mit über 20.000 Beschäftigten sehr gut. Am 1. und 2. Juni sollen die Verhandlungen fortgesetzt werden.
Basisdaten Deutsche Post AG
(Daten 2014, aus diversen Quellen)
Beschäftigte
Beschäftigte DP AG gesamt (Kopfzahl): 180 000
Davon: Beamte (Kopfzahl): 40 000
Davon Azubis und DHS (Kopfzahl): 3 000
Von den insgesamt zirka 136 000 Tarifkräften hat die Hälfte Besitzstand (49,9% mit, 50,1% ohne, Stand 11/14)
In Vollzeit arbeiten 63 Prozent, in Teilzeit 37 Prozent
Zustellung (Kopfzahlen)
Briefzusteller (Brief und Verbund): 86 000
Paketzusteller: 14 700
Veränderungen:
2010 waren es 80 000 Briefzusteller, 2014 sind es 86 000 – also ein Plus von 7 Prozent.
2010 waren es 10 000 Paketzusteller, 2014 sind es 14 700 – also ein Plus von 33 Prozent.
Befristungen:
Befristete gesamt: 24 000
Davon sog. „Befristete Stammkräfte“: 15 000
Davon sog. „Aushilfen/Abrufkräfte“: 9 000
Splittung der Befristeten Stammkräfte (ca. 15 000) auf die einzelnen Bereiche
Stationäre Bearbeitung Brief: = 6,8 %
Zustellung Brief: 11,17 %
Stationäre Bearbeitung Paket: 20,5 %
Zustellung Paket: 25 %
Betriebliche Organisation
Niederlassungen Brief und entsprechend DHL Delivery GmbHn: 49
Zu den 49 NL Brief gehören:
Briefzentren 82
Paketzentren 33
Zustellbezirke Brief gesamt: 51 000
Davon reine Briefzustellung: 21 000
Davon Verbund: 30 000
Paketzustellbezirke: 9 800
Davon fremd vergeben: 990
Tarifabschlüsse
Tarifverhandlungen 2013:
Entgelt: Laufzeit vom 1. April 2013 bis 31. Mai 2015 (26 Monate). 1. Erhöhungsschritt zum 1. August 2013 um 3,1 Prozent, 2. Erhöhungsschritt zum 1. Oktober 2014 um 2,6 Prozent. Es gab einen Arbeitskampf.
Tarifverhandlungen 2012:
Entgelt: Laufzeit vom 1. Januar 2012 bis 31. März 2013 (15 Monate): Erhöhung zum 1. April 2012 um vier Prozent.
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Den letzten großen Arbeitskampf geb es bei der Deutschen Post AG im Frühjahr 2008. Damals wollte das Unternehmen die Wochenarbeitszeit auf 41 h verlängern. Das wurde verhindert. Der Ausschluss von Fremdvergabe und von Kündigungen wurde verlängert, es wurden Lohnerhöhungen von vier und drei Prozent durchgesetzt. Mit insgesamt 30 Streiktagen war diese Auseinandersetzung die härteste seit dem Kampf der damaligen Postgewerkschaft um die so genannten Kölner Verträge Mitte der 90er Jahre.