Rechte der Natur & alles gegen die Klimaerhitzung! Haushaltsrede im Kreistag
In diesem Jahr gab es zwei richtungsweisende Gerichtsentscheidungen, die beim Umgang mit dem Thema Klimakatastrophe einiges verändern könnten.
Am 26. Mai verurteilte ein Bezirksgericht in Den Haag den niederländisch-britischen Ölriesen Shell dazu, den CO2-Ausstoß seiner Geschäftstätigkeit bis 2030 um 45 Prozent zu senken.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verpflichtete Ende April in einem Beschluss den Gesetzgeber zu konkreten Maßnahmen des Klimaschutzes noch vor 2030 und zu einer Festlegung der Einsparpotentiale bis 2040 bzw. 2050. Staatliche Handlungen oder Unterlassungen, deren Folgen erst in 20 Jahren oder noch später eintreten werden, dürfen die „intertemporalen Freiheitsrechte“ der Bürger nicht beschränken, so das Gericht.
Das BVG-Urteil war ein großer Moment in der Rechtsgeschichte. Man könnte fast sagen: Die Erdatmosphäre ist auf dem Weg, rechtsmündig zu werden. Die Konsequenzen dieser Erweiterung von subjektiven Rechtsansprüchen sind noch nicht abzusehen.
Wird der peruanische Bauer, der vor dem Oberlandesgericht Hamm gegen RWE klagt, weil sein Dorf von einem schmelzenden Gletscher bedroht ist, eine Entschädigung erhalten, weil RWE für 0,47 Prozent des globalen Co2-Ausstoßes verantwortlich ist? Eine Verurteilung wäre ein harter Schlag für alle globalen Emittenten und würde Tausende Klagen nach sich ziehen. Wir alle wissen, im nächsten Jahr wird wohl auch über die hessische Klima- und Umweltschutzpolitik verhandelt. Das nur zwei Beispiele für zahlreiche Klimaklagen, die eingereicht wurden.
„Follow the Science!” das war und ist die Parole Greta Thunbergs und der FFF. Jetzt können wir eine weitere hinzufügen: „Follow the law!“
Aber die Rechtswissenschaft beginnt erst, die Umrisse eines Zukunftsstaates zu skizzieren. Umweltrecht, das nur die negativen Folgen des Kapitalismus sanktioniert, ist noch das Recht der alten Epoche; das ökologische Gesetzbuch, das Wirtschaft und Gesellschaft für die solare Welt regelt, das bleibt noch zu entwickeln. „Die Verfassung des Anthropozäns“, sagt der Staatsrechtler Jens Kersten, „sollte die Natur als ein Rechtssubjekt begreifen, das seine Rechte selbständig einfordern, einklagen und durchsetzen kann.“ Damit würden Pflanzen und Tiere zu Rechtssubjekten, juristischen Personen, und könnten ihre Rechte gegenüber anderen juristischen Personen wie Aktiengesellschaften geltend machen, die ja auch nichts Anderes als Kapitalkonglomerate sind. Warum soll die Natur schlechter gestellt sein als finanzstarke wirtschaftliche Akteure?
Die Erfahrung zeigt: Die Natur aus menschlichen Interessen heraus zu schützen – wegen zukünftiger Generationen oder weil die Umweltverschmutzung unsere Gesundheit beeinträchtigt – bleibt dem anthropozentrischen Denken verhaftet und hat, das zeigen alle Daten, wenig gebracht. Der einzige Ausweg ist, die Natur nicht den Menscheninteressen unterzuordnen, sondern ihr eigene Rechte zukommen zu lassen.
Ein Recht der Bäume und Meere, das klingt noch utopisch, aber damit würde mit einem Verständnis von Natur Schluss gemacht, das prägend fast für die gesamte zweitausendjährige Geschichte des christlichen Abendlandes war: nämlich, dass es sich bei Tieren und Pflanzen, bei Ökosystemen, um Gegenstände, Sachen handelt, denen kein subjektives Recht zukommen könne, sie seien eben lediglich Objekte staatlichen Handelns.
Wie diese neue ökologische Rechtsordnung aussehen soll, darüber gibt es in der Rights-of-Nature-Bewegung unterschiedliche, mehr oder minder systemkritische Ansichten. Für Mitglieder des internationalen Netzwerks „Global Alliance for the Rights of Nature“, dem weltweit Tausende Juristen beigetreten sind, ist das Pariser Klimaabkommen, dessen Einsparvorgaben das Bundesverfassungsgericht für verfassungsrechtlich verbindlich erklärte, Ausdruck des gegenwärtig herrschenden „Klimakapitalismus“, wie er in den Plänen der EU und auch der neuen BR fixiert ist. Denn der Handel mit Emissionszertifikaten oder auch die Co2-Bepreisung zur Erreichung der Pariser Klimaziele setzte das alte Paradigma fort, dass Klima, Ökosysteme und Tiere Handelswaren sind. Damit werde sich am wachsenden Energiebedarf und Ressourcenverbrauch wenig ändern. Das große Versprechen, das Credo der neuen Koalition, den Wohlstand zu erhalten und gleichzeitig die Erderwärmung aufzuhalten setzt fort, was schon den Wahlkampf dominierte: Liebe Leute, macht so weiter, ihr müsst euer Leben, euer Ernährungs-, Konsum- und Mobilitätsverhalten nicht ändern. Wir werden das Klima auch so in den Griff bekommen. Eine fatale Illusion oder Lüge – wie man es nimmt.
Die Kritik an derartigen Positionen sind nicht nur in den Camps von Umweltaktivisten oder an Universitäten zu hören. Denn inzwischen haben Gerichte und Gesetzgeber in verschiedenen Regionen der Welt der Natur, Tieren oder einzelnen Ökosystemen subjektive Rechte zuerkannt. So in einigen Ländern Lateinamerikas, in Australien, Neuseeland, Indien oder Bangladesch. Verankert wurden die Rechte der Natur in den Verfassungen von Ecuador, Bolivien, Uganda usw. Aber auch hierzulande tut sich was: In Bayern werden gegenwärtig Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt, um im Art. 101 der bayerischen Verfassung der Natur Rechte zuzuschreiben.
Sicher sind faire Rechte für die Natur noch nicht die Lösung aller Probleme. Aber sie wären ein weiteres Feld umfassender tiefgehender gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und stellen einen Bruch dar mit dem mechanistischen Weltbild, das seit dem Beginn der Neuzeit in Europa dominiert, dem Glauben daran, dass technikdeterminierte Lösungen alles ermöglichen – egal, ob es um das Klima, die Mobilität, die Gesundheits- oder Altenpflege, das Lernen in der Schule oder die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger mit Nahrung geht. Max Horkheimer hat das vor gut 50 Jahren als „instrumentelle Vernunft“ bezeichnet und dabei auch das instrumentelle Verhältnis der (westlichen) Kultur zur Natur angeprangert, wonach die Natur, einschließlich der Tiere, heute „als ein bloßes Werkzeug des Menschen“ aufgefasst werde und sie „Objekt totaler Ausbeutung“ seien.
Anrede!
Ich habe nicht vor, noch einmal mit Zahlen und Beispielen den Ernst der Lage zu beschreiben. Das alles liegt vor. Kaum jemand zweifelt noch an der Notwendigkeit schnellen Handelns. Allein, es geht nicht vorwärts. Heute kommt das Unheil nicht nur aus irgendwelchen Untaten oder Katastrophen, sondern ist Ergebnis eines verbreiteten Stillstands, der durch Bürokratie, mangelnde Agilität und Hilflosigkeit der Regierenden befördert wird. Das meinte Greta Thunberg mit ihrem „Bla, Bla, Bla …“ und ist Grund dafür, dass viele junge Menschen die Schnauze voll haben.
Auch spielt eine Rolle, dass sich die dramatischsten Folgen der Erderhitzung für Menschen vor allem noch weit weg im globalen Süden konzentrieren. Viele sprechen deswegen zu Recht von Klimaapartheit.
Aber das Problem der Klimagerechtigkeit stellt sich auch sozial: In Deutschland verursachten die reichsten zehn Prozent der Haushalte 26 Prozent der Emissionslast; die untere Hälfte war zuletzt für 29 Prozent der Emissionen verantwortlich. Das reichste ein Prozent sparte nichts ein, hingegen reduzierte die untere Hälfte ihre Emissionen um ein Drittel. Bei den Haushalten mit mittleren Einkommen in Deutschland betrugen die Einsparungen immerhin 12 Prozent. Auch zwischen den europäischen Staaten ist die Emissionslast höchst ungleich verteilt. Allein zehn Prozent der Haushalte mit den höchsten Einkommen in vier reichen Mitgliedsstaaten – das sind in Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien zusammengenommen 28,8 Millionen Menschen – emittieren mehr als die Bevölkerung von 16 ärmeren EU-Mitgliedsstaaten. Legt man das 1,5-Grad-Erderwärmungsziel zugrunde, müsste die untere Hälfte der Haushalte ihre Emissionslast in etwa halbieren; das reichste Prozent hätte seine Last hingegen auf ein Dreißigstel zu reduzieren (siehe Ivanova/Wood 2020; Oxfam 2020). Zugespitzt formuliert bedeutet dies, dass die Produktion von Luxusartikeln für die oberen Klassen und deren Konsum zu einer Haupttriebkraft des Klimawandels geworden sind, unter dessen Folgen europa- und weltweit vor allem diejenigen Bevölkerungsgruppen zu leiden haben, die häufig unter Zwang am meisten zur Reduktion von Emissionen beigetragen haben. Dieses Gerechtigkeitsproblem ist nicht gelöst und es ist auch nicht absehbar, dass die Ampelkoalition es überhaupt angeht.
Auch für uns im Landkreis stellt sich die Frage: Tun wir das Notwendige? Und da habe ich nicht nur ernste Zweifel, sondern bin überzeugt, dass dies nicht der Fall ist. Jeder sollte mal den aktuellen Haushalt nehmen und mit den Zahlen vergangener vergleichen. Da gibt es – was Umwelt, Klima, Naturschutz, Förderung erneuerbare Energie, ÖPNV usw. angeht – kaum bedeutsame finanzwirksame Unterschiede zu dem Haushalt, sagen wir von vor 10 Jahren. Es hat sich nichts geändert, alles geht seinen gewohnten Gang. Von den über 400 Mio. des Ergebnishaushalts werden weniger als ein Prozent dafür verwendet – es ist nicht einmal ein halbes Prozent. Das ist in jeder Hinsicht unzureichend und eine Fortsetzung des Business-as-usal. Deswegen werden wir den Haushalt ablehnen. Klar, es gibt viele schöne Pläne und Ziele, aber Politik beginnt dort, wo Wirklichkeit, das reale Leben, verändert, verbessert wird.
Oder anders formuliert: In den letzten knapp 15 Jahren hat unser Land(kreis) drei große Krisen zu bewältigen gehabt:
Die Finanzkrise 2008/9, die große Zuwanderung 2015/16 und jetzt die Pandemie. Jedes Mal wurden außerordentliche Anstrengungen unternommen: Die Kräfte der Verwaltung wurden gebündelt und auf diese Aufgaben konzentriert, Millionen wurden jeweils bewegt (eingespart bei der Finanzkrise, mobilisiert bei den beiden folgenden Krisen). Ich frage: Wo ist die vergleichbare Anstrengung des LK, um der Klimaerhitzung zu begegnen, deren Folgen in jeder Hinsicht gravierender sein werden. Wir sprechen nicht zufällig von der Jahrhunderaufgabe. Soll es so weitergehen, wie es in der gegenwärtigen Pandemie meist war? Es wird erst entschlossen gehandelt, wenn die Menschen auf der Intensivstation liegen?
Müssen wir nicht jetzt, auch schon im nächsten Jahr, zusätzliche Millionen ausgeben:
- um PV Anlagen selbst zu bauen und bei Bürgern zu fördern,
- um das Klimageld auf den Weg zu bringen,
- schnell die Attraktivität des ÖPNV zu erhöhen, um zusätzliche Bündel, On-Demand-Verkehre zu den Bahnstationen und Bürgerbusse einzurichten,
- Projekte für die Einrichtung kommunaler Car-Sharing-Systeme zu unterstützen,
- die Kommunen finanziell bei der Ausweisung von neuen Naturschutzgebieten und naturbelassenen Feldern, Wiesen und Wälder zu entlasten?
Sicher – das kostet Geld. Genauso sicher ist, der Haushalt gibt es nicht her. Also geht es nur so, wie es auch im Land oder im Bund geht:
- Kreditfinanzierung
- Sondervermögen
- Bürgerfonds und -anlagen
Damit müssen wir uns beschäftigen. Warum soll das nicht auch für den LK möglich sein. Es kann nicht sein, dass ausgeglichene Haushalte dem Erreichen der Ziele im Kampf gegen die Klimaerhitzung übergeordnet werden. Ist das – den Kontext des jüngsten BVG-Urteils im Kopf – überhaupt noch verfassungskonform? Was nützen uns schwarze Nullen, wenn wir mit drei und mehr Grad in die zweite Hälfte des Jahrtausends gehen?
Wir plädieren für eine entschiedene Auseinandersetzung mit den diversen neoliberalen Vorschriften und Verordnungen (z. B. gerade den Haushalt betreffend), die dauerhaft eine rückwärtsgewandte, radikal monetaristische Politik fortschreiben wollen. Auch der KV der CDU hat ja noch vor wenigen Monaten im »Handelsblatt« aufgrund der Belastungen eine Verfassungsregelung gefordert, die »begrenzt für die kommenden Jahre« einen neuen Korridor für die Neuverschuldung verankert. Es bleibt ein großes historisches Versagen, dass SPD und Grüne den diversen Schuldenbremsen in den Verfassungen zugestimmt haben. Sie blockieren jetzt wichtige Veränderungsprozesse.
Wir plädieren also für offensive, aktive Haushalts- und Investitionspolitik, weil nur so schnell das Notwendige auf den Weg gebracht werden kann.
Reinhard Hamel