Rechtsextreme Netzwerke in Polizei und Bundeswehr: NSU 2.0
»Sie müssen wissen, es gibt einen Eisberg, und wir sehen einen kleinen Teil und den größeren sehen wir nicht«, beschrieb 1964 Hessens Generalstaatsanwalt Fritz Bauer die braunen Seilschaften in der Justiz der Nachkriegsjahre.
Heute steht der Spruch auf einer Gedenktafel gegenüber dem Polizeirevier 1 an der Einkaufsstraße Zeil im Herzen Frankfurts. Sechs Polizeibeamte dieser Dienststelle wurden zwischenzeitlich suspendiert, gegen sie wird wegen Volksverhetzung ermittelt. Fünf Männer und eine Frau sollen seit geraumer Zeit über einen Messenger-Dienst rechtsradikales Gedankengut, Hakenkreuze und Hitler-Bilder ausgetauscht und sich über Menschen mit Behinderungen sowie Migranten menschenverachtend geäußert haben.
Die rechte WhatsApp-Gruppe ist aufgeflogen, nachdem die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz, die im Münchner NSU-Prozess[1] die Familie des ersten NSU-Mordopfers Enver Simsek in der Nebenklage vertreten hat, im Sommer Anzeige erstattet hatte. Die Anwältin hatte ein mit »NSU 2.0« unterzeichnetes Fax erhalten mit der Aufforderung, das Land zu verlassen (»verpiss Dich!«), du »Miese Türkensau!« machst Deutschland nicht kaputt. Es folgte die Drohung: »Als Vergeltung schlachten wir deine Tochter«. »Im Schreiben standen der Name meiner Tochter und unsere Privatadresse. Daten, die nicht im Telefonbuch stehen und auch sonst nicht öffentlich sind«, sagt Basay-Yildiz.
Dieser Drohbrief führte zu der rechtsextremen Chatgruppe, die zum fraglichen Zeitpunkt Zugriff auf den Polizei-Computer hatte, mit dem die Melderegisterdaten der Anwältin abgerufen werden konnten. Deren Mitglieder gerieten ins Visier des ermittelnden Staatsschutzes. Festplatten, Handys wurden beschlagnahmt. Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurden nicht nur in Frankfurt Büros von Polizisten durchsucht, sondern auch in einer Dienststelle im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Dem Vernehmen nach gibt es noch weitere Verdachtsfälle in anderen Dienststellen, in denen Polizisten mit »rechtsradikalem Gedankengut« aufgefallen sein sollen.
Die bisherigen Wortmeldungen zu diesem Skandal überraschen nicht: Jetzt müsse lückenlos aufgeklärt werden, die Verantwortlichen gehörten vor Gericht, jedoch kein Generalverdacht gegen die Polizei. Die Frage, ob die Sicherheitsbehörden eine Rechtsextremismus-Problem haben, wird meist ausgeklammert oder verneint. In einer Antwort Mitte November auf eine Kleine Anfrage der LINKEN zu diesem Thema erläuterte die Bundesregierung, dass es »vereinzelte Bestrebungen« gebe, »rechtsextremistische Positionen unter Polizeibeamten zu vermitteln, die im alltäglichen Dienst bei der Verfolgung allgemeinkrimineller Straftaten eingesetzt sind«. Das Problem wird individualisiert (»Fehlverhalten«) und als Versuch der Einflussnahme von außen gedeutet.
Dabei werden in immer kürzeren Abständen Vorgänge bekannt, in denen Sicherheitsorgane mit fremdenfeindlichen oder rechtsradikalen Äußerungen bzw. Handlungen in Verbindung gebracht werden. Ähnliche Chats wie in Frankfurt hat es immer wieder gegeben. Beamte aus Mecklenburg-Vorpommern tummelten sich in dubiosen Chatgruppen, gegen deren Mitglieder sogar die Bundesanwaltschaft wegen Terrorverdachts ermittelte. Zuletzt hatte im Oktober in Sachsen ein ehemaliger Polizeischüler öffentlich gemacht, wie in seinem Umfeld gehetzt wurde: »Wir sind aus Cottbus, und nicht aus Ghana, wir hassen alle Afrikaner«, hieß es dort.
Als die sächsische Polizei im Dezember 2017 einen neuen Panzerwagen bekam, entdeckten Journalisten in den Sitzbezügen ein an Nazisymbole erinnerndes Logo. Zwei SEK-Beamte aus Sachsen trugen im Sommer 2018 in Berlin in eine Dienstliste für einen Kollegen »Uwe Böhnhardt« ein, den Namen eines der NSU-Mörder. Im Herbst wurde bekannt, dass Polizisten mit Soldaten der Bundeswehr, auch aus der Elitetruppe KSK, Netzwerke gebildet haben und über einen Umsturz fantasieren. Bei einer Schießübung soll auf einem Wanderpokal der Name »Mehmet Turgut« gestanden haben. Turgut war eines der Mordopfer des NSU.
Alles nur Einzelfälle, wiegeln die Innenminister ab. Mit welcher Berechtigung? »Einzelfall« hat man in den letzten Jahren allzu oft im Hinblick auf rechtsextremistische Straftaten gehört – und genauso oft hat es sich herausgestellt, dass davon keine Rede sein konnte. In der Antwort auf die Anfrage der LINKEN berichtet die Bundesregierung für die Bundespolizei, dass zwischen 2012 und 2018 insgesamt 17 Vorfälle von Rassismus bzw. Rechtsextremismus bekanntgeworden sind, in sieben Fällen wurden die Beamten entlassen.
Konkret ging es um rechtsextreme Äußerungen, Propaganda, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Allerdings, so eine Sprecherin des Bundeskriminalamts, werde keine Statistik über rechtsextreme Vorfälle in der Polizei geführt. Rechtsaußen- und fremdenfeindliche Einstellungen bei Polizisten seien zwar kein »systematisches Verhaltensmuster«, aber keineswegs Einzelfälle, heißt es bereits in einer Studie aus dem Jahr 1996, die die Innenministerkonferenz zur Kenntnis genommen hatte, schreibt das Neue Deutschland am 17.12.2018.
Für den in Zürich lehrenden Kriminologen Dirk Baier ist »die Polizei eine für Recht und Ordnung stehende Organisation«, was dazu führe, dass sie diejenigen anziehe, »die autoritär denken«. So geht Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg, davon aus, dass es sich bei den Vorgängen in Frankfurt nicht um einen Einzelfall handelt. »Innerhalb der Polizei gibt es durchaus Milieus, die sich in solche Positionen versteigen und darin gefallen, extreme Ansichten zu teilen«, sagte Behr dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, räumte in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse ein: »Ich weiß, dass ein größerer Teil dieser vielen Menschen, die einen Eid auf unsere Verfassung geschworen haben, sich heimlich radikalisiert haben.«
Der Enttarnung der rechten Polizei-Chat-Gruppe waren Enthüllungen über ein deutschlandweites »Hannibal«-Netzwerk vorausgegangen. Die taz[2] veröffentlichte im November Recherchen über eine Gruppierung von Bundeswehrsoldaten, Polizisten, Richtern, Beamten und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes, die sich in einem bundesweiten Netzwerk zusammengeschlossen haben sollen. Bei persönlichen Treffen und in Gruppenchats besprachen sie laut taz das Verhalten im Katastrophenfall, wenn staatliche Strukturen zusammenbrechen könnten. Für den Fall des »Tag X« sollen sie einen Umsturz geplant haben. In den Chats sei auch die Rede davon gewesen, dann Politiker und Aktivisten aus dem linken Spektrum zu töten.
Auslöser war ein Bericht des Focus über Ermittlungen des Bundeskriminalamts. Demnach soll der frühere Luftwaffenoffizier Horst S. am 13. Juli 2017 zwei Ermittlern des Staatsschutzreferates militärisch präzise von den Plänen einer »Schattenarmee« innerhalb der Bundeswehr berichtet haben, die sich auf den Ausbruch eines Bürgerkrieges vorbereite. Der Gruppe sollen Soldaten der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) angehören. Ein Teil der Planungen soll dem Focus zufolge über den Verein »Uniter« gelaufen sein, der gegründet wurde, um die Soldaten des KSK bei der Rückkehr ins Zivilleben zu betreuen, gleichzeitig versteht er sich als Think Tank zur »Entwicklung nationaler und internationaler Schutzkonzepte«.
Für die taz-Rechercheure, die ein Jahr lang in der rechtsextremen Prepper-Szene[3] geforscht haben, ist Andrè S., Codename Hannibal, ehemaliger KSK-Elitekämpfer, stationiert in der Graf-Zeppelin-Kaserne im württembergischen Calw, eine zentrale Figur. Nachdem mehrere Medien über ein rechtsextremes Untergrundnetz aus Bundeswehrsoldaten berichtet haben, beschäftigt sich nun auch die Justiz mit den Vorwürfen. Der Generalbundesanwalt ist bei seinen Ermittlungen zu der angeblichen »Schattenarmee« auf eine Liste mit Namen vermeintlicher politischer Gegner gestoßen.[4] Unter dem Begriff »Gladio«, der in den 1990er Jahren enttarnten (NATO-)Schattenarmee, finden sich Parallelen zu heute.
Das Ganze erinnert an den Fall des Oberleutnants Franco A.,[5] der sich beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als syrischer Flüchtling ausgegeben und gemeinsam mit einem Bekannten Waffen und Munition gelagert hatte. In seinen Unterlagen sollen sich Listen potenzieller Opfer befunden haben, entsprechend wirft ihm die Bundesanwaltschaft vor, einen rechts-terroristischen Anschlag geplant zu haben. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen befürchtete damals, es gebe rechtsradikale Netzwerke in der Truppe. Ihre Feststellung in einem Interview, dass die Soldaten ein »Haltungsproblem« haben, sorgte für einen öffentlichen Aufschrei, aber nicht für eine grundsätzliche Debatte über die Rolle von Soldaten, Polizei und Geheimdiensten im Zusammenhang mit dem Rechtsterrorismus.
Das Internetportal Belltower News beklagte zu Recht das weitgehend konformistische Schweigen der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit. Tatsächlich haben Politiker und Parteien auf die Recherchen von Focus und taz bislang nur verhalten reagiert. Immer noch werden rechte Übergriffe »als Dumme-Jungs-Streiche« verharmlost und »rassistische Morde als Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten« kleinredet, heißt es treffend in dem gerade erschienenen Buchband »Der NSU-Prozess. Das Protokoll«.
Der Frankfurter Skandal um die »rechtsradiale WhatsApp-Gruppe« in der Polizei und die Vorgänge um die sogenannte »Schattenarmee« in der Bundeswehr brauchen vor allem eins: rückhaltlose, öffentliche Aufklärung. Jedes Wegschauen, Verharmlosen oder Vertuschen ermutigt und bestärkt jene, die Verfassung, Recht und Gesetz schützen sollen, sie aber in der Praxis unterminieren.
[1] Die Gruppe um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hatte zwischen 2000 und 2007 bundesweit neun Migranten und eine Polizistin ermordet und 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle verübt. Im Sommer waren die Hauptverdächtigen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Siehe hierzu Antonia von der Behrens (Hrsg.): Kein Schlusswort. Nazi-Terror, Sicherheitsbehörden, Unterstützernetzwerk. Plädoyers im NSU-Prozess, Hamburg 2018; sowie demnächst Benjamin-Immanuel Hoff/Heike Kleffner/Maximilian Pichl/Martina Renner (Hrsg.): Rückhaltlose Aufklärung? NSU, NSA, BND – Geheimdienste und Untersuchungsausschüsse zwischen Staatsversagen und Staatswohl. Hamburg 2019.
[2] Martin Kaul/Christina Schmidt/Daniel Schulz: Rechtes Netzwerk in der Bundeswehr, »Hannibals Schattenarmee«, taz, 16.11.2018.
[3] Der Begriff Prepper kommt vom englischen »to prepare«. Damit sind Menschen gemeint, die sich auf einen Umsturz oder eine Katastrophe vorbereiten, Lebensmittel sowie Waffen horten und sich in Chat-Netzwerken organisieren.
[4] In der Bundeswehr wurden im Zeitraum 2008 bis 2018 rund 200 Personen als Rechtsextremisten eingestuft. Fast alle mussten die Armee verlassen.
[5] Otto König/Richard Detje: Augenrechts! Rechtsextremismus in der Bundeswehr, Sozialismus Aktuell 14.5.2017.