Von den Vorteilen der “intellektuellen Demut”
Besserwisser neigen zur Überschätzung ihres Wissens und ihrer kognitiven Fähigkeiten – und sind wahrscheinlich unangenehmere Zeitgenossen
Es scheint mitunter so zu sein, dass diejenigen, die am wenigsten wissen, überzeugt sind, gut informiert zu sein. Kürzlich hatten Wissenschaftler eine Studie veröffentlicht, nach der Facebook-Benutzer, denen es reicht, nur die Vorschau von verlinkten Artikeln im Newsfeed zu lesen, ihr dadurch gewonnenes Wissen gerne überschätzen. Sie seien getrieben von Gefühlen und suchten diese, es reiche ein kurzer Blick, um von ihrem angeblichem Einblick in Sachverhalte überzeugt zu sein, ohne weiter nach wirklicher Korrektheit suchen oder den gesamten Artikel lesen zu müssen. Es fehlt ein Bewusstsein über die Begrenztheit ihres Wissens.
Das lässt sich auch andersherum ausdrücken und folgt den Spuren von Sokrates, dessen Leitspruch gewesen sein soll: “Ich weiß, dass ich nichts weiß.” Was nicht heißen soll, die Scheuklappen beruhigt zu schließen, sondern mit eigenem Denken und Hinterfragen zu versuchen, den Dingen auf den Grund zu gehen. Ein bisschen einfacher ausgedrückt, scheint es so zu sein, dass die Menschen, die sich und anderen gegenüber eingestehen können, dass ihr Wissen und ihre Anschauen nicht richtig sein können, also hinterfragbar sind, eigentlich mehr wissen und schlauer sind als die Wahrheitsverkünder, die von der Richtigkeit ihrer Meinungen und ihres Wissens überzeugt sind.
Psychologen unter Leitung von Elizabeth Krumrei-Mancuso von der Pepperdine University sprechen in ihrem Beitrag im Journal of Positive Psycholog von einer “intellektuellen Demut” der Menschen, die zur Selbstkritik imstande sind, weil sie akzeptieren, falsch liegen zu können. Das bedeutet letztlich auch, dass sie neugierig und bereit sind, Neues zu erfahren oder zu lernen. Wer sich intellektuell verbarrikadiert, will eben auch nichts mehr wissen und lehnt Neues ab, weil er seinen Ansichten zu sehr vertraut.
Um zu erkunden, welche Auswirkungen “intellektuelle Demut” auf das Wissen oder das Lernen hat, führten die Psychologen fünf Befragungen mit insgesamt 1200 Versuchspersonen durch. So wurden Versuchspersonen beispielsweise um die Einschätzung ihrer Problemlösungsfähigkeiten im Vergleich mit anderen Menschen gefragt und dann einem entsprechenden Test ihrer kognitiven Fähigkeiten unterzogen. Dabei stellte sich heraus, dass die “Nicht-Alles-Wisser” gerne ihre kognitiven Fähigkeiten unterschätzen, während die “Alles-Wisser” sie überschätzen. Mehr Männer gehören zu den Alleswissern als Frauen.
Die Lage ist allerdings nicht ganz einfach. In einem weiterem Test mit Studenten schnitten die Alleswisser, die zu Beginn ihres Studiums nach ihrer Selbsteinschätzung gefragt wurden, etwas besser im Notendurchschnitt ab als die Selbstzweifler. Wer leicht lernt oder weiß, dass er gute Noten erhält, ist naheliegenderweise deswegen auch von sich überzeugter. Allerdings gab ein anderer Test, der Allgemeinwissen untersuchte, dass “intellektuelle Demut” mit einem besseren Allgemeinwissen sowie mit höherer kognitiven Reflexivität und geringerer Selbsteinschätzung einhergeht.
Insgesamt ergab sich für die Wissenschaftler das Bild, dass “intellektuelle Demut” mit einer besseren Selbsteinschätzung des eigenen Wissens zusammenhängt, auch wenn die eigenen Fähigkeiten mitunter zu niedrig eingeschätzt werden. Zudem ergaben sich Korrelationen mit reflektiven Denken, intellektueller Motiviertheit, Neugier, intellektueller Offenheit und offenen Denken. Die intrinsische Lernbereitschaft ist höher, während die Neigung zum Bestrafen anderer (Vigilantismus) geringer ist.
Es gibt allerdings keine Verbindung mit besseren kognitiven Fähigkeiten. Man kann also intellektuell verschlossen sein und sich selbst überschätzen, aber genauso schlau wie die Demütigen sein. Es könnte also sein, was die Wissenschaftler vermuten, dass “intellektuelle Demut” mit gelernten Fähigkeiten und Wissensleistungen (kristalliner Intelligenz), aber nicht mit der Problemlösungsfähigkeit (fluider Intelligenz) zusammenhängt. Intellektuell Demütige – ein extremes Gegenbeispiel wäre Donald Trump – sind nicht gescheiter, sondern wohl einfach selbstreflexiver und umgänglicher, wahrscheinlich also die sympathischeren Menschen, die auf wissen wollen, was andere denken.
Florian Rötzer, telepolis, 5.4.19