Wahl am 14. Juni: Wie groß darf das kleine Übel sein?
Viele Wählerinnen und Wähler fragen sich, wen sie am 14. Juni bei der Oberbürgermeister- und Landratswahl wählen sollen. Und etliche stellen sich wieder einmal die Frage, ob sie überhaupt noch zur Wahl gehen sollen. Wir können die Menschen gut verstehen, denn es ist der politischen Linken in der Region nicht gelungen, eine echte Alternative zu den Kandidaten zu präsentieren. Dies ist ein Versäumnis und stellt eine Schwäche dar, dass sich die politische Linke nicht auf eigene Kandidaten verständigen konnte.
So stellen sich – sehen wir von den persönlichen Ambitionen des Kandidaten Höll und der Zufallskandidatur der Rest-Piraten ab – mit den Bewerber/innen der SPD und CDU Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl, die sich in wesentlichen Fragen der Politik vor Ort nur unwesentlich unterscheiden:
- Vom Bund über die Länder bis in den Kreistag und das Stadtparlament haben SPD und CDU gemeinsam die Schuldenbremsen und Rettungsschirme durchgesetzt, die den Einstieg in die Austeritätspolitik im öffentlichen Bereich und eine Folge der durch die Bankenrettung verursachten öffentlichen Verschuldung darstellen.
- Ähnlich ist die Lage im Wohnungsbau. Beide Parteien haben auf Bundes-, Landesebene und vor Ort über Jahrzehnte eine Politik betrieben, die einseitig auf die Förderung privaten Wohneigentums ausgerichtet ist und den sozialen Wohnungsbau zum Stillstand gebracht hat. Immer mehr zeichnet sich ab, dass um den innerstädtischen Kern erweiterte Zonen der Exklusion geschaffen werden, die ausschließlich gehobenen Wohnansprüchen genügen.
- In der Folge fehlen Wohnungen für niedrige Einkommen, für Transferleistungsbezieher und Flüchtlinge. Sie werden faktisch gezwungen, immer größere Teile ihrer knappen Mittel zum Lebensunterhalt für die Kosten der Unterkunft zuzuzahlen, was sie in ihrer sozialen Existenz gefährdet.
- Bis heute stehen alle Versprechen, mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz in der Stadt durchzusetzen, auf dem Papier. Lächeln ist noch keine Politik. Noch nie zuvor wurden Bürgerinteressen so häufig missachtet wie in der laufenden Legislatur: s. Landesgartenschau, Poppe-Areal, Lärchenwäldchen, Bebauung RKH usw. Obwohl durch Gerichte mehrfach gerügt, hält der Magistrat an seiner Linie fest, die Öffentlichkeit bei zahlreichen Parlamentsdebatten auszuschließen.
- Erstmals seit 40 Jahren war es in der vergangenen Wahlperiode den Neonazis möglich, von einem maßlosen Polizeieinsatz geschützt durch Gießen und den Landkreis (Allendorf/Lda. und Grünberg) zu ziehen und ihre unsäglichen Parolen abzusondern. Seitdem hat das Treiben faschistischer, ausländerfeindlicher und antisemitischer Gruppen und Personen in der Region zugenommen.
Vor diesem Hintergrund spricht wenig dafür, den Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien des Berliner Parteienkartells die Stimme zu geben. Das kleinere Übel zu wählen – dieser Lösungsvorschlag, konnte nie und kann auch heute nicht davon absehen, dass wohl niemand freiwillig, wenn er seinen Verstand nutzt, auf eigene Ziele und Ansprüche verzichtet. Es gibt nichts Gutes im Schlechten.
Manche von uns werden der Wahl fernbleiben, andere werden ungültig stimmen (kein Kreuz oder ein großes über den ganzen Stimmzettel). Keine, keiner der Kandidatinn/en steht für Alternativen zur vorherrschenden neoliberalen Politik.
Viel wichtiger ist es aus unserer Sicht jedoch, nicht nur alle paar Jahre ein Kreuzchen zu machen, oder auch nicht zu machen, sondern selbst aktiv zu werden.
Überlassen wir nicht den “Stellvertretern” die Politik, selbst Politik machen, das ist unsere Empfehlung!
Reinhard Hamel / Michael Janitzki / Stefan Walther