Schöpferische Zerstörung: Dieser Begriff, den im vorigen Jahrhundert der Ökonom Joseph A. Schumpeter in die Sprache seiner Wissenschaft einführte, benennt die Ersetzung veralteter Produkte und Verfahren durch modernere. Kapital, das in ihnen angelegt war, wird vernichtet, sofern es nicht schnell genug in die neuen Bereiche zu transferieren ist.
Offenbar bereitet sich gegenwärtig wieder einmal ein solcher Umschwung vor: die Ablösung des Verbrennungsmotors durch Elektro-Antriebe. Dabei bilden sich Grundprobleme der deutschen Wirtschaftsverfassung im nationalen und internationalen Kontext ab.
Die Manipulationen von Abgaswerten durch Volkswagen 2015 enthüllten nicht etwa deutsche, sondern US-amerikanische Behörden und Forscher. Schon zwei Jahre, bevor Donald Trump als Präsident drohend einen protektionistischen Wirtschaftskrieg anzudeuten begann, unter anderem gegen die Bundesrepublik, hatten die USA Anlass, sich gegen deren Handelsübergewicht zu wehren. Heute zeichnet sich zudem ab, dass der Verkauf deutscher Autos in China auf Hindernisse stoßen könnte: Es geht das Gerücht, dass China in der Entwicklung von Elektromotoren weiter sei als das Land von VW, Daimler und BMW. Peking steuert auf eine Quote für alternative Antriebe zu; wer nicht acht, bald zehn und dann zwölf Prozent seiner Verkäufe mit Elektro- und Hybridantrieben bestreitet, dem drohen künftig Strafen. SPD-Chef Martin Schulz fordert Ähnliches für Europa, sein Genosse Sigmar Gabriel aber mühte sich als Außenminister zuletzt intensiv, um bei Chinas Regierung eine Schonfrist für deutsche Hersteller herauszuholen. Für diese wird es in jedem Fall sehr ungemütlich auf dem weltgrößten Automarkt.
Hierzulande haben also vielmehr solche Hiobsbotschaften aus den USA und China als die Kraft der Umweltbewegung und das Fahrverbotsurteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart die Abgas-Praktiken der Industrie medienwirksam skandalisieren können. Es geht um den Export-Überschuss als Garant von Arbeitsplätzen, nationaler Wohlfahrt wie innenpolitischer Ruhe. Der heiligen Kuh des deutschen Wirtschaftsmodells droht die Schlachtung.
FDP fordert Privatisierung
Inzwischen ist bekannt, dass nicht nur VW, sondern auch Daimler, BMW, Porsche und Audi bei den Abgaswerten getrickst und zudem mutmaßlich kartellrechtlich verbotene Absprachen getroffen haben, offenbar im Unterschied zu Ford und Opel, die in ausländischem Besitz sind. Am heftigsten aber entlädt sich der Zorn über VW. Dieser Konzern ist insofern Wiederholungstäter, als er 2005 in eine saftige Korruptionsaffäre um Personalvorstand Peter Hartz und Betriebsratschef Klaus Volkert geriet. Schuld am Filz, posaunt vor allem die FDP, sei das ganze VW-Modell: Das Land Niedersachsen hält einen Anteil von 20,2 Prozent. Ein noch heute geltendes, zwischendurch angefochtenes, aber erfolgreich verteidigtes Gesetz aus dem Jahr 1960 legt fest, dass in der Hauptversammlung kein Eigentümer mehr als 20 Prozent der Stimmen hat, auch wenn sein Anteil höher ist. Niedersachsen besitzt also eine Sperrminorität. Die IG Metall hat großen Einfluss im Unternehmen, dieses wiederum auf die Landespolitik. Also fordert FDP-Chef Christian Lindner die Vollprivatisierung von VW.
Dabei erhellt überhaupt nicht, was die niedersächsischen Sitten und Gebräuche zur Abgasmanipulation und den Kartellvergehen beigetragen haben. Nicht nur der Draht aus der Staatskanzlei in Hannover zum VW-Management ist kurz, sondern auch der der baden-württembergischen Landesregierung zu Porsche und Daimler sowie der der bayerischen zu Audi und BMW. Auf dem Diesel-Gipfel von Anfang August traten die Konzerne geschlossen und erfolgreich gegenüber dem ohnehin willfährigen Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) auf. Womöglich ist der Einfluss der Unternehmen auf die Politik in München und Stuttgart sogar noch effizienter als in Hannover, weil nicht institutionalisiert und insofern diskreter. Wenn Winfried Kretschmann (Grüne) für Diesel-Autos argumentiert, nimmt man ihm ab, dass er dies aus tiefstem Herzensgrund tut und keinen Notenwechsel und kein Telefonat mit Daimler-Boss Dieter Zetsche braucht. Machtvolles Co-Management der IG Metall gibt es auch in den Auto-Werken Baden-Württembergs und Bayerns. Ob das in der zukünftigen Industrie 4.0 so sein wird, wird sich zeigen – Bernd Osterloh, der heutige VW-Betriebsratsvorsitzende, berichtet mit positiver Betonung: Beim mit dem Management abgesprochenen sozialverträglichen Abbau von Arbeitsplätzen befinde man sich „im Plan“. Das klingt nicht offensiv. Es mag sein, dass die Angriffe auf das VW-Modell und die Gewerkschaften langfristig nicht aussichtslos sind.
Dass explizit VW ins Visier genommen wird, erklärt sich daraus, dass der Konzern als ein Fremdkörper aus vergangenen Zeiten gilt: ein Relikt des Korporatismus, des engen Zusammenwirkens von Industriemanagement, Gewerkschaften und Staat. Dies wirkt wie eine Provokation in einer Wirtschaftsordnung, über die im Neoliberalismus die Börse Herrschaft beansprucht.
Sie geht in der Diesel-Krise keineswegs leer aus. Der Deutschland-Chef für das Investment-Marketing bei JP Morgan berichtete dem Handelsblatt, dass Private-Equity-Fonds sich auf eine Schnäppchen-Jagd nach im Kurs sinkenden Aktien der Auto-Branche vorbereiten. Mit ihnen könne in den nächsten Jahren erfolgreich spekuliert werden: Zwar wird sich der Elektromotor sehr wahrscheinlich durchsetzen, auf dem Weg dorthin aber wird es noch ein Hin und Her geben, etwa weil die nötige Infrastruktur – Aufladestationen – zu langsam wächst. Kanzlerin Angela Merkel spricht von möglichen „anderen Antriebstechnologien“ neben dem E-Motor. Nachgedacht wird über „künstliche Kraftstoffe“ oder neue Beimischungen zum Diesel, die diesen schadstoffarm machen können. Jede solche Nachricht kann gesunkene Kurse wieder steigen lassen, bevor den Letzten die Hunde beißen.
Schöpferische Zerstörung bedeutet stets zugleich Renovierung. Der landschaftsverbrauchende motorisierte Individualverkehr – ob mit oder ohne E-Motor – steht nicht in Frage. Das fahrende Publikum wird sich trotz allen aktuellen Ärgers als loyale Massenbasis der Autokonzerne erweisen und zusammen mit ihnen ein Bündnis gegen den Umweltschutz bilden.
So werden bei allem technischem Wandel auch gegenwärtig unverändert die alten Rechnungen im Kampf um die verschiedenen Varianten der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik präsentiert.
Georg Fülberth, freitag, 35/17