Zulieferer für die Energiewende
Kanzler Scholz drängt die Staaten Afrikas auf Investitionskonferenz in Berlin zur Produktion grünen Wasserstoffs für Deutschland. Deutsche Wirtschaft fällt in Afrika immer mehr zurück.
BERLIN (Eigener Bericht) – Afrika soll sich stärker als bisher als Zulieferer für die deutsche Energiewende formieren. Mit diesem Ziel hat die Bundesregierung am gestrigen Montag eine Investitionskonferenz mit mehreren Staats- und Regierungschefs afrikanischer Länder durchgeführt. Hintergrund ist, dass Berlin mit einem rasant steigenden deutschen Bedarf an grünem Wasserstoff rechnet, den auch die Staaten Afrikas decken sollen. Ergänzend zieht die Bundesregierung die Einfuhr etwa mit grünem Wasserstoff erzeugten Stahls als Vorprodukt für die deutsche Industrie in Betracht. Den Rahmen der gestrigen Konferenz bildete der „Compact with Africa“, ein in Berlin entwickeltes Projekt, das die Zurichtung afrikanischer Volkswirtschaften nach den Vorgaben westlicher Investoren durchsetzen soll. Berlin sucht es darüber hinaus zu nutzen, um der deutschen Industrie wieder eine stärkere Position auf dem afrikanischen Kontinent zu verschaffen, wo deutsche Firmen zuletzt immer weiter zurückgefallen sind. Die aus Nigeria stammende WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala erklärt dazu: „Wenn wir mit China sprechen, bekommen wir einen Flughafen. Wenn wir mit Deutschland sprechen, bekommen wir eine Belehrung.“
Das Interesse der Wirtschaft
Das Interesse der deutschen Wirtschaft am Geschäft auf dem afrikanischen Kontinent ist nicht überwältigend, nimmt aber in jüngster Zeit offenbar zu. Das ergibt sich aus einer Studie, die die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG gemeinsam mit dem Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft in der vergangenen Woche vorgelegt hat. Demnach gaben bei einer Umfrage lediglich 22 Prozent aller befragten deutschen Unternehmen an, sie seien mit ihren Afrika-Aktivitäten zufrieden. Nur 29 weitere Prozent waren sehr zufrieden. Die eher geringe Zufriedenheit korrespondiert damit, dass lediglich 17 Prozent mit einem signifikanten Wachstum im laufenden Geschäftsjahr rechnen, 39 Prozent immerhin mit leichtem Zuwachs. Für den nächsten Fünfjahreszeitraum rechnen allerdings 78 Prozent mit einem leichten oder signifikanten Umsatzanstieg.[1] Mit Blick vor allem auf die Größe und das Wachstum des gesamtafrikanischen Marktes, aber auch auf die politisch gewollte, steigende Gefährdung des Chinageschäfts planen 30 Prozent aller befragten deutschen Unternehmen aktuell einen leichten, 15 Prozent einen signifikanten Ausbau ihrer Investitionen in Afrika. Bezogen auf die nächsten fünf Jahre haben dies sogar 38 Prozent (leichter Ausbau) respektive 28 Prozent (signifikanter Ausbau) vor.
In Rückstand geraten
Dabei zeigen Handels- und Investitionsstatistiken, dass die deutsche Wirtschaft in Afrika gegenüber der Konkurrenz in den vergangenen Jahren immer mehr in Rückstand geraten ist. So ist der deutsche Afrikahandel im ersten Halbjahr 2023 zwar um 9,2 Prozent auf einen Wert von 31,8 Milliarden Euro gestiegen. Doch liegt er damit nicht nur hinter dem Afrikahandel Chinas, sondern auch hinter demjenigen Indiens weit zurück; ersterer erreichte im Jahr 2022 ein Volumen von 282 Milliarden US-Dollar, letzterer wird in diesem Geschäftsjahr aller Voraussicht nach erstmals den Wert von 100 Milliarden US-Dollar übersteigen.[2] Zudem hat der Handel, bedingt vor allem durch die Inflation, lediglich beim Warenwert zugenommen; „die Absatzmengen“, teilt die Außenwirtschaftsagentur Germany Trade & Invest mit, „gingen dagegen teilweise zweistellig zurück“.[3] Die deutschen Investitionen in den Staaten Afrikas stiegen in den vergangenen zwei Jahrzehnten zwar um den Faktor 2,6. Frankreich hingegen steigerte seine Afrika-Investitionen im gleichen Zeitraum auf das Sechs-, China sogar auf das Neunzigfache. Mit einem Gesamtinvestitionsbestand von lediglich 11,5 Milliarden Euro rangiert Deutschland weit hinter Frankreich und den Niederlanden (je 49 Milliarden Euro), Großbritannien (45 Milliarden Euro) sowie China und den USA (je 40 Milliarden Euro).
Belehrung statt Unterstützung
Fortschritte insbesondere bei den Investitionen soll nun der Compact with Africa (CwA) bringen, der im Jahr 2017 auf deutsche Initiative gestartet wurde. Der Form nach handelt es sich dabei um ein Projekt, in dessen Rahmen die G20 mit ausgewählten afrikanischen Staaten zusammenarbeiten. Dabei sollen die beteiligten afrikanischen Länder – mittlerweile sind es 13 [4] – ihre Volkswirtschaften so transformieren, dass sie auswärtigen Investoren attraktivste Rahmenbedingungen bieten. Die beteiligten G20-Staaten wiederum sagen zu, Investoren zu motivieren und sich um die Unterstützung durch globale Finanzinstitutionen, etwa IWF sowie Weltbank, zu bemühen. Die Bundesregierung legt, seit sie den Namen des Projekts kurz vor seiner Gründung im Jahr 2017 von Compact „for“ Africa in Compact „with“ Africa änderte, Wert auf die Behauptung, sie begegne den beteiligten afrikanischen Staaten heute (!) „auf Augenhöhe“. In Regierungskreisen wurde dies auch unmittelbar vor der gestrigen Konferenz hervorgehoben. Der Wahrnehmung in den Ländern Afrikas entspricht die Behauptung nicht unbedingt. So konstatierte die aus Nigeria stammende Generaldirektorin der World Trade Organization (WTO), Ngozi Okonjo-Iweala, erst vor kurzem: „Wenn wir mit China sprechen, bekommen wir einen Flughafen. Wenn wir mit Deutschland sprechen, bekommen wir eine Belehrung.“[5]
„Fossil des Finanzglobalismus“
Experten ziehen sechs Jahre nach Verabschiedung des Compact with Africa eine ernüchternde Bilanz. So heißt es etwa, von „einer greifbaren Steigerung der Auslandsinvestitionen … über die [Compact-]Länder hinweg“ könne keine Rede sein. Es treffe zu, dass die Investitionen im vergangenen Jahr zugenommen hätten. „Zur Wahrheit“ gehöre aber auch, „dass ein Großteil davon auf Großprojekte für grüne Energie in Ägypten und Marokko zurückzuführen“ sei.[6] Kritiker des Compact, darunter der Ökonom und Afrikaexperte Robert Kappel, hielten erst kürzlich fest, „der Ansatz“ fördere „bestenfalls … Investitionen in Niedriglohnsektoren, von denen man sich schnell wieder entbinden kann, wenn … die Compact-Gemeinschaft ein neues Lieblingsland identifiziert“.[7] Wichtige „langfristige Investitionen“ jedoch, „verbunden mit Qualifizierungsprogrammen und einem Technologietransfer, der diesen Namen verdient“, blieben „dabei auf der Strecke“. Der Compact with Africa sei ohnehin „als eine internationale Kompromisslösung aus den Häusern der westlichen Finanzministerien zu verstehen“, die „kein inklusives Modell für mehr Beschäftigung, lokale Wertschöpfung und eine größere Rolle der afrikanischen Unternehmen“ biete. Kappel hatte bereits zuvor „die Abschaffung des Compact with Africa“ gefordert; dieser sei „ein Fossil des ergrauten Finanzglobalismus“.[8]
Wer die Kosten zahlt
Auf der gestrigen Berliner Investitionskonferenz, die im Rahmen des Compact with Africa abgehalten wurde, drängte Bundeskanzler Olaf Scholz die anwesenden afrikanischen Staats- und Regierungschefs dazu, sich stärker als bisher auf die Produktion grünen Wasserstoffs zu konzentrieren. Deutschland werde, um seine Energiewende zu realisieren, in Zukunft statt wie bisher Erdöl und Erdgas „grünen Wasserstoff in großen Mengen abnehmen“, versicherte Scholz.[9] Ergänzend sei die Bundesrepublik bereit, afrikanische Länder zu unterstützen, „lokale Wasserstoffwirtschaften und deren Wertschöpfungsketten aufzubauen“. Als Beispiel wurde ein Projekt in Namibia genannt, bei dem mit Hilfe grünen Wasserstoffs Eisen hergestellt werden soll, nicht zuletzt als günstiges Vorprodukt für die deutsche Industrie.[10] An dem Projekt ist das deutsche Unternehmen Enertrag beteiligt. Kritiker warnen, es trage zur Zerstörung „wichtiger Ökosysteme und der biologischen Vielfalt“ in Namibia bei; Namibia zahle damit die Kosten der deutschen Energiewende (german-foreign-policy.com berichtete [11]).
[1] Afrika: Ein Kontinent im Aufbruch. Afrika-Studie 2023. KPMG in Deutschland, Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft. Berlin 2023.
[2] Shashank Mattoo: Confident that India-Africa trade will cross $100 billion: EAM Jaishankar. livemint.com 14.06.2023.
[3] Michael Monnerjahn: Deutscher Außenhandel mit Afrika wächst. gtai.de 06.09.2023.
[4] Dem Compact with Africa sind bislang beigetreten: Ägypten, Äthiopien, Benin, Burkina Faso, Côte d’Ivoire, Demokratische Republik Kongo, Ghana, Guinea, Marokko, Ruanda, Senegal, Togo, Tunesien.
[5] Luisa von Richthofen: Germany adopts a new, humble Africa policy. dw.com 15.09.2023.
[6] Marina Zapf: „Compact with Africa”: Scholz will Investitionen in Afrika ankurbeln. capital.de 19.11.2023.
[7] Thomas Bonschab, Robert Kappel, Theo Rauch: Beschäftigungsorientierte Industriepolitik in Afrika und die Rolle der deutschen Privatwirtschaft. weltneuvermessung.wordpress.org 30.08.2023.
[8] Robert Kappel: Wo die Zukunft Afrikas liegt. weltneuvermessung.wordpress.org 06.12.2022.
[9], [10] Scholz: Nehmen grünen Wasserstoff in großen Mengen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 21.11.2023.
[11] S. dazu „Grüner Energie-Imperialismus“.