Zum Ausgang der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen: VERSCHIEDENE FACETTEN DES ALLGEMEINEN RECHTSRUCKS
1.
Die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen haben das ebenso eindeutige wie erwartete Ergebnis: Die „Ampelparteien“, die in Berlin die Bundesregierung stellen, sind politisch aufgerieben und auf einstellige Ergebnisse reduziert worden. Die FDP, die in Berlin drei der wichtigsten Ministerien anführt, erhält nur noch ein Prozent der Stimmen. Eine größere Abstrafung der führenden Parteien der herrschenden Klasse in Deutschland gab es in der Geschichte bisher nicht.
Nicht nur dieses Ergebnis zeigt, dass überwiegend bundespolitische Themen wahlentscheidend waren: Die Sozialpolitik der Ampel, die Frage von Migration und Flucht sowie die Rolle von Deutschland und der EU in den aktuellen Kriegen, vor allem in der Ukraine.
2.
War die sich in schlechten Wahlergebnissen ausdrückende Delegitimierung der Bundesregierung in früheren Wahlen vor allem durch eine stetig sinkende Wahlbeteiligung gekennzeichnet, so ist bei diesen Wahlen eine nächste Stufe der Delegitimierung erreicht: Die Wahlbeteiligung ist in Sachsen und Thüringen auf einem historischen Höchststand. Das bisherige Parteiensystem ist zusammengebrochen und eine neue politische Vertretung der herrschenden Klasse muss mühsam ausgehandelt werden.
3.
Wahlsiegerinnen sind zwei nationalistische Parteien, die mit unterschiedlichen „Deutschland-zuerst“-Programmen angetreten sind: Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) und das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW).
Die AfD hat sich ein weiteres Mal erfolgreich mit einer Angstkampagne und nationalistischer Hetze gegen angeblich unkontrollierte Migration in Szene gesetzt. Sie ist in beiden Bundesländern mittlerweile tief in der Gesellschaft verankert und hat ihren Ruf, die Partei zu sein, die das sagt und machen will, was sich die anderen Parteien nicht trauen, gestärkt und positiv besetzt.
Das BSW mobilisiert zu den gleichen Themen und teilweise im gleichen Duktus wie die AfD zu „unkontrollierter Migration“ und „kein Geld in den nicht-deutschen Kriegen verpulvern“. Das wird kombiniert mit drei moralisch-ideologischen Faktoren: Der „Zauber“ einer unverbrannten Neupartei; die Erbin einer ehemals als „ostdeutsche Kümmererpartei“ verankerten LINKEN, die sich an das „grün-versiffte Berlin-Deutschland“ verkauft hat; das Image einer nicht korrupten und von einer Führerin straff geführten Partei der klaren Worte.
4.
Das BSW hat ein Ziel erreicht, das historisch in kapitalistischen Klassengesellschaften stets solchen Parteien als scheinbar objektive Aufgabe gesetzt wird: Die Zerstörung selbst der schwächsten Formen von sozialistischer, klassenbezogener politischer Gegenwehr in unabhängigen linken Parteien. Die Partei DIE LINKE ist in Sachsen fast pulverisiert, in Thüringen auf das Niveau einer mittelprächtigen Kleinpartei reduziert worden.
Es ist unbestritten, dass die jahrelang in Sachsen und Thüringen verfolgte Politik der LINKEN, nur „sozialstaatliche“ Korrekturkraft von SPD und GRÜNEN und eifrige Mitgestalterin und Mitverwalterin des Kapitalismus sein zu wollen, egal ob in der Regierung oder als Regierung spielende Opposition, in hohem Maße diese Zerstörung, die das BSW jetzt vollenden konnte, selbst mit vorangetrieben hat. Das fürchterliche Selbstverständnis des BSW „rechts von der SPD und links von CDU“ angeblich ideologiefreie, klassenneutrale Politik zu betreiben, hat vorerst gewonnen.
5.
Nicht erfolgreich war das BSW in seiner vollmundig vorgetragenen Zielsetzung, die AfD entscheidend zu schwächen. Im Gegenteil konnte sich die AfD durch die Gemeinsamkeit mit dem BSW in den beiden zentralen Fragen als seriöse und „differenziert“ zu betrachtende Normalo-Partei inszenieren. So bleibt als Resultat der Wahlen die Etablierung eines gemeinsamen, tief gehenden Rechtsrucks in der Gesellschaft, in dem die AfD den verbal rohen und rechtsradikalen, das BSW den „linken“ Flügel in ansonsten friedlicher Gemeinsamkeit darstellen.
6.
Die LINKE hat sich erwartungsgemäß als das dargestellt, was sie ist: Eine Partei der Mitgestaltung an der herrschenden Politik, die allerdings zunehmend nicht mehr gebraucht wird. Eine wortgewaltige Partei mit zum Teil radikalen Programmen, die aber in jeder konkreten Politik zeigt, dass sie diese Programme selbst nicht ernst nimmt. Und schließlich eine Partei, die es fertigbringt, zu den beiden den Wahlkampf bestimmenden Themen Aufrüstung und Krieg sowie Migration und Flucht keine Meinung zu haben und nur noch rumzueiern. So etwas wird bei Wahlen abgestraft und in der Politik nicht mehr wahrgenommen.
Helfen wird hier nur ein grundlegender Neubeginn, wie er in zahlreichen Papieren und Anträgen, insbesondere von der Antikapitalistischen Linken, skizziert wird.
7.
Dieser LINKEN ist dringend zu raten, sich in der absehbaren Zukunft auf eine laute und radikale Oppositionsrolle einzustellen. Eine Koalitionsteilnahme – sei es in Form einer Regierungsbeteiligung oder einer vertraglich vereinbarten Duldung – wäre der nächste Sargnagel für die LINKE. Denkbar sind in beiden Bundesländern nur Formen einer Minderheitsregierung, bei denen die LINKE nur den Maßnahmen und der Politik zustimmt, die mit ihrem Programm vereinbar sind – das wird bei CDU-geführten Regierungen nicht viel sein.
Das jetzt wahrscheinlich von diversen Schlauköpfen ausgegrabene „Argument“, man müsse eine CDU-Regierung stützen, um die AfD zu verhindern, ist haltlos. Eine CDU-Regierung mit den Vorhaben, die im Wahlkampf verkündet wurden – nicht nur zum Thema Migration – wird die AfD nur noch mehr stärken.
8.
Ein bitteres und überragendes Ergebnis der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen steht nämlich leider schon fest:
Es hat eine breite Einheitsfront aus Nationalist:innen, Faschist:innen, Neokonservativen und “Normaldeutschen” den Sieg eingefahren. Eine Schreckensgemeinschaft aus AfD, CDU und BSW. Die ums parlamentarische Überleben kämpfenden SPD, FDP und GRÜNE strampeln in ihrer Angst auch nur in der ekligen Brühe aus Ressentiments, Nationalismus und Rassismus.
Alle diese Parteien haben die letzten Tage des Wahlkampfs mit einer Einheitsparole bestritten, die fast eine dunkle, die Choreografie bestimmende Macht im Hintergrund vermuten lässt: “Solingen muss in der Migrationspolitik die Zeitenwende sein”.
9.
Eine Regierung aus diesen Parteien, egal in welcher Kombination, wird für die migrantische Bevölkerung, für Geflüchtete und alle, die sich mit ihnen solidarisieren, zu einer wirklichen Bedrohung. “Mit aller Macht abschieben”, die zynischsten Abkommen und Erpressungen gegenüber den brutalen Regimes diverser “Aufnahmeländer”, ökonomischer Terror gegen die, die trotzdem hierbleiben und ideologischer Dauerbeschuss mit der jeweiligen Variante des “Deutschland zuerst” – das werden die nächsten Monate bringen.
Alle Linken und Demokrat:innen, Verteidiger:innen von Menschen- und Völkerrecht und humanitär denkenden Menschen sind in dieser Situation dringend aufgefordert, Gegenwehr und Unterstützung zu organisieren.
Ein Herbst und Winter der Solidarität – das ist das Mindeste, was in diesem dunklen Deutschland, wie schon im Sommer 2015 einmal, organisiert werden muss!
10.
Ob eine Regierung mit der AfD zustande kommt, oder ob die Bekundungen zu einer “roten Linie” noch halten – es wird in jedem Fall eine blutrote Linie geben. Mit ihr wird AfD-Politik umgesetzt, entweder mit der AfD in der Regierung oder deckungsgleiche CDU/BSW/SPD-Politik mit einer begeisterten AfD in der Opposition.
11.
Ein letztes Mal der Hinweis: Im BSW agieren Leute, die bis vorgestern noch als “Linke” herumspazierten. Sie zögern nicht eine Sekunde, mit der CDU gemeinsam zu regieren, wenn es der “Zeitenwende nach Solingen” und den eigenen Karrieren und Pfründen nützt.
12.
Der lauten Opposition zur Kriegspolitik durch das BSW ist im Übrigen nicht zu trauen. Die Preisgabe dieser Opposition gegen die Kriegspolitik in Berlin und in der EU wird – auch das sei noch einmal vorhergesagt – das erste Opfer sein, was das BSW im Wunsch nach der “Zeitenwende in der Flüchtlingspolitik” bereit ist zu zahlen. Es ist keine große politische Kunst für die in diesen Dingen erfahrenen CDU und SPD, einen solchen Schwenk mit ideologischen Beteuerungen, mit “Prüfaufträgen” an die Bundespolitik und sonstigem parlamentarischen Gehampel zu kaschieren.
Thies Gleiss, Köln, 02. September 2024